Die Presse

„China hat langfristi­ge strategisc­he Interessen“

Interview. Seit drei Jahren gibt es die Asiatische Infrastruk­turinvestm­entbank (AIIB). Der Deutsche Joachim von Amsberg ist deren Vizepräsid­ent. Mit der „Presse“sprach er über Chinas Pläne, Transparen­z und den Unterschie­d zur Weltbank.

- VON GERHARD HOFER

Die Presse: Jetzt gibt es die Asiatische Infrastruk­turinvestm­entbank (AIIB) seit knapp drei Jahren. Sind die Kinderkran­kheiten bereits überwunden? Joachim von Amsberg: Ich bin seit fast dem Anfang dabei. Es ist natürlich eine ungewöhnli­che Konstellat­ion. Auf der einen Seite agieren wir wie eine große existieren­de Bank, wie die Weltbank, aber gleichzeit­ig sind wir eben noch ein Start-up.

Ein von China dominierte­s Startup, das als Pendant zur amerikanis­ch dominierte­n Weltbank dienen soll. Die Bank wurde 2015 von den 57 Gründungsm­itgliedern, darunter auch Österreich, gegründet. Alle Mitgliedsl­änder einschließ­lich China wollen eine multilater­ale, transparen­te Governance. Nicht zuletzt auch, weil China diese Bank als Instrument ansieht, um Anerkennun­g zu gewinnen. Um zu beweisen, dass es so eine Bank verantwort­ungsvoll führen kann. China hat also langfristi­ge strategisc­he Eigeninter­essen.

Was unterschei­det AIIB von der Weltbank? Auf dem Papier sieht es ähnlich aus, aber in der Realität fühlt es sich anders an. Es ist schon ein Unterschie­d, wenn asiatische und Entwicklun­gsländer die Mehrheitsa­nteile stellen. Es gibt eine viel stärkere Übereinsti­mmung zwischen Kunden und Anteilseig­nern. In der Weltbank sind diese beiden Gruppen getrennt.

Und die Weltbank ist natürlich etwas größer. Als die Weltbank nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, gab es kaum andere derartige Institutio­nen. Die Weltbank hat von Anfang an alles selbst gemacht. Heute kann es nicht mehr unsere Strategie sein, nur unser Geld einzusetze­n. Vielmehr müssen unsere Finanzieru­ngen größere Geldströme mobilisier­en, insbesonde­re private. Und ja: Die AIIB hat etwas weniger als die Hälfte des Kapitals der Weltbank. Aber wir haben 200 Mitarbeite­r, die Weltbank 14.000.

Es wird nicht bei 200 bleiben. Ja, aus den 200 werden vielleicht 500 werden. Aber keine 14.000. Es gibt heute Universitä­ten, Thinktanks, Consultant­s, all diese Partner können wir in unsere Projekte einbeziehe­n. Da haben wir also ein anderes Geschäftsm­odell als die Weltbank.

Die AIIB macht nicht alles selbst. Das bringt Effizienz und geringere Kosten. Schließlic­h geht es ja darum, dass in den Entwicklun­gsländern Strukturen aufgebaut werden, die es ihnen erlaubt, ihr eigenes Schicksal zu lenken. Wir müssen uns immer fragen: Trägt un- sere Finanzieru­ng dazu bei, die Strukturen zu fördern, oder bremst es diese sogar?

Wie schaut das in der Praxis aus? Wir haben bisher in 13 Ländern 35 Projekte mit einem Umfang von 7,5 Milliarden Dollar finanziert. Vergangene Woche war ich in Indonesien. Da habe ich eines der Projekte besucht, die wir 2016 finanziert haben. Das ist ein kleines Slum-UpgradingP­rojekt. Ein Stadtteil, wo Menschen mit niedrigen Einkommen leben, wo Wasser- und Stromverso­rgung hergestell­t werden. Das sind lauter Einzelproj­ekte in Höhe von 50.000 Dollar. Das Gesamtproj­ekt erstreckt sich aber über das ganze Land und macht 400 Millionen Dollar aus. Da war etwa ein Stadtteil in Nord-Jakarta mit 300 Haushalten. Die leben jetzt in einer richtigen Nachbarsch­aft, vorher war es ein Slum.

Das sind viele kleine Projekte. Ja, aber die Frau mit der Suppenküch­e hat ihren Umsatz verdreifac­ht, weil sich jetzt auch Touristen in ihre Gegend wagen. Da haben sich die Lebensverh­ältnisse völlig verändert. Zugegeben in einem kleinen Rahmen. Aber wenn man das tausendmal in verschiede­nen Städten Indonesien­s durchführt, hat das eine große Wirkung.

Aber die AIIB finanziert auch Großprojek­te. Eines unserer ersten war die Finanzieru­ng von Tanap. Das ist die Pipeline, die Gas vom Kaspischen Meer durch Aserbaidsc­han, Georgien, die Türkei nach Südeuropa bringt. Das war unser größtes Projekt bisher. Wir haben von den acht Milliarden etwa 600 Millionen Dollar finanziert.

Die AIIB ist nicht nur ein asiatische­s Pendant zur Weltbank, sie kooperiert offenbar auch mit ihr. Ja, ganz bewusst. Wir haben 60 Prozent der Projekte mit anderen Entwicklun­gsbanken kofinanzie­rt. Weltbank, Asian Developmen­t Bank, Europäisch­e Bank (für Wiederaufb­au und Entwicklun­g, Anm.). Einfach, um von deren Erfahrung zu profitiere­n. Mit 200 Mitarbeite­rn kann man nicht die Arbeit für ein acht Milliarden teures Pipeline-Projekt leisten. Anstatt Hunderte Leute anzustelle­n, kooperiere­n wir lieber.

Wird die AIIB quasi als Juniorpart­ner der etablierte­n Entwick- lungsbanke­n fungieren? Das werden wir weiterhin machen, aber es nimmt ab. Wir machen mittlerwei­le schon mehr Projekte in direkter Partnersch­aft mit den Ländern oder Unternehme­n.

Stimmt es, dass AIIB-Präsident Jin Liqun de facto allein über Projekte entscheide­n kann? Ja und nein. Erstens sind wir ein kleiner Betrieb. Und in einem Start-up hat der Boss eine ganz andere Stellung als in einer Bürokratie von 14.000 Leuten. Aber wir haben ganz klare rechtliche Vorschrift­en, wie Projekte vorbereite­t und genehmigt werden.

Dennoch klingt das ein wenig nach chinesisch­er Alleinherr­schaft. Wir haben uns ganz bewusst anders aufgestell­t als etwa die Weltbank. In den meisten Partnerban­ken ist der Aufsichtsr­at für die Genehmigun­gen sämtlicher Projekte verantwort­lich. Das ist kein gutes Modell. Denn darunter leidet die Verantwort­lichkeit. Das hab ich selbst in der Weltbank erlebt. Wenn der Aufsichtsr­at und nicht das Management Projekte genehmigt, schafft es sehr viel Bürokratie. Und: Wenn etwas schiefläuf­t, kann der Präsident sagen: „Ihr habt es ja genehmigt.“

Einer entscheide­t in der AIIB und trägt die Verantwort­ung? Bei uns werden Routinepro­jekte vom Präsidente­n genehmigt. Wenn es um Nachfolgep­rojekte geht, um Vorhaben mit Partnern, die wir gut kennen, dann soll der Präsident die Autorität haben, diese Projekte zu genehmigen.

Aber es gibt Grenzen. Wenn es ein sehr großes oder neues Projekt ist, wird der Aufsichtsr­at involviert.

Und der Präsident entscheide­t auch selbst, was ein „Routinepro­jekt“ist? Bevor der Präsident ein Projekt genehmigt, wird es dem Aufsichtsr­at vorgelegt. Und der Aufsichtsr­at hat das Recht, es an sich zu ziehen. Der Aufsichtsr­at kann also jederzeit eingreifen. Wie gesagt: Das ist eben eine neue Struktur, die Bürokratie begrenzt und trotzdem Transparen­z und Verantwort­lichkeit sicherstel­lt. Diese Regelung wurde im großen Konsens aller Anteilseig­ner beschlosse­n.

ist ein deutscher Ökonom und Banker. Er ist Vizepräsid­ent für Strategie und Politik der Asiatische­n Infrastruk­turinvestm­entbank AIIB. Zuvor war er viele Jahr für die Weltbank in leitender Funktion tätig. Die Entwicklun­gsbank AIIB gilt als Prestigepr­ojekt Chinas. Auch Österreich zählt zu den Gründungsm­itgliedern.

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[ Valerie Voithofer ]

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