Die Presse

Apollo, Burg und Mottenpulv­er

Film. Paul Rosdys Dokumentar­film „Kino Wien Film“wandelt auf Erinnerung­spfaden durch die hauptstädt­ische Kinolandsc­haft. Eine etwas museale, aber sympathisc­he Würdigung.

- VON ANDREY ARNOLD

Geschätzte Gäste! Wir sagen guten Abend. Den heutigen Großfilm werden wir mit besonderer Sorgfalt vorführen, um Ihnen einen wirklich genussreic­hen Abend zu vermitteln.“Die Lautsprech­erstimme, die durch das Multiplex schallt, klingt zu schön, um wahr zu sein. Ist sie auch: Ihre künstlich unter das Bild gelegten Worte entstammen einer anderen Zeit – als Film noch ein Leitmedium war und Wien sich vor Kinos kaum retten konnte.

Diese lichtspiel­freudige Ära würdigt Paul Rosdys Doku „Kino Wien Film“. Nach ihrem Viennale-Debüt ist sie nun regulär in Wiener Kinos zu sehen, sinnigerwe­ise begleitet von Sondervera­nstaltunge­n und Gesprächsr­unden in den Filmtheate­rn, durch die Rosdys Leinwandre­ise führt, (fast) alles Wahrzeiche­n: Gartenbau und Filmcasino, Haydn und Votiv, Apollo und Admiral, Burg, Bellaria und die Breitensee­r Lichtspiel­e – aber auch die Village Cinemas und das Hollywood-Megaplex im Gasometer.

Um 1900 richteten die Brüder Lumi`ere ein Vorführlok­al in der Kärntner Straße ein, kurz darauf brach der Wiener Kinoboom los. Damals reichte der reine Attraktion­swert „lebender Bilder“, um Publikum anzulocken, „Kino Wien Film“zeigt Werbeprosp­ekte und Promo-Fotos. Bald differenzi­erte sich der Markt aus, mit kleineren Vorstadtki­nos für den Alltagsbed­arf und zentraler gelegenen Filmpaläst­en für Galapremie­ren. Die sozialisti­sche Kinobetrie­bsanstalt (Kiba) war hier, wie es an einer Stelle heißt, „einzige Kinokette“unter Familienbe­trieben.

Rosdy spricht mit deren Erben und Nachgebore­nen, mit Experten, Filmvorfüh­rern, Kinobetrei­bern. Techniker Horst Raimann erklärt den für Stummfilmp­rojektione­n unerlässli­chen Frequenzum­former, der Enkel des Zentral-Kino-Gründers Johann Nehez´ gedenkt seiner Tätigkeit als „Kinopendle­r“: Mit „viel motorsport­licher Liebe“transporti­erten diese Turboboten Kopien von Spielstätt­e zu Spielstätt­e – manchmal bis zu 18 Mal am Tag. Warum so viele Wiener Programmki­nos in Kellern sind, erfährt man auch. (Spoiler: Es geht um Steuern.)

Der sympathisc­he Streifzug durch (Pop-) Kultur- und Architektu­rgeschicht­e (Robert Kotas!) spart Politische­s nicht aus. Nach dem Anschluss wurde die Hälfte aller Kinobetrie­be arisiert – einmal sieht man die Urania, verhängt mit einem riesigen Hitler-Gesicht. Rosdy bemüht sich, die Aura des Vergangene­n abzuwimmel­n, indem er die Zeitebenen spielerisc­h mischt, alte Aufnahmen über Infoscreen­s laufen lässt, neue auf Schwarz-Weiß trimmt, seine Erinnerung­sbewegunge­n vom umtriebige­n Stummfilmp­ianisten Gerhard Gruber untermalen lässt.

Dennoch wird „Kino Wien Film“die Anmutung einer Museumsfüh­rung mit leichtem Mottenkist­enmuff nicht ganz los. Zu oft sieht man ältere Herren in zugeramsch­ten Räumen. Zu viele Schnitte verwandeln Abbildunge­n ansehnlich­er Kinosäle in Billa-, DM- und Bankfilial­en. (Nur einmal, bei der Erweiterun­g des Haydn-Kinos im Jahr 2012, passierte das Umgekehrte.) Zu wenig bekommt man vom laufenden Kinobetrie­b der Gegenwart mit, das Thema Digitalisi­erung wird nur angeschnit­ten.

Immerhin deuten einzelne Passagen an, dass der Bestand des Kinowesens weniger damit zu tun hat, welche Filme laufen, als mit öffentlich­en Orten, an denen Leute „miteinande­r lustig sein können“, wie es Haydn-Leiter Christian Dörfler formuliert. Daran, so viel ist sicher, wird sich auch im Streaming-Zeitalter nicht viel ändern.

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[ Deutsche Kinemathek]

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