Die Presse

Brecht bricht die stolzesten Herzen

Dokudrama. Arte und ARD senden Heinrich Breloers dreistündi­gen Zweiteiler über Brecht. Ein üppiges Fest für dessen VerehrerIn­nen.

- VON NORBERT MAYER Am 22. 3. auf Arte Teil eins 20.15 h, Teil zwei 21.45 h, die Doku „Brecht und das Berliner Ensemble“22.30 h. In der ARD am 27. 3.: 20.15, 21.45 und 23.45 h

Wie war er wirklich, dieser Bertolt Brecht, der sich bereits als frecher Abiturient in Augsburg während des Ersten Weltkriegs als Genie in der Nachfolge von Johann Wolfgang von Goethe deklariert­e? Er schrieb Gedichte wie kein anderer, wurde zum wichtigste­n deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunder­ts, verbrachte nach der Flucht vor den Nazis 16 Jahre im Exil, um schließlic­h bis zu seinem Tod 1956 in der DDR als eine Art Staatsdich­ter geduldet zu werden. Wie war er denn wirklich, dieser Verführer, den die Frauen liebten?

Die Schauspiel­erin Regine Lutz, die von ihm in Ostberlin gefördert wurde, die Wert darauf legte, dass sie nicht zu seinen Geliebten gehörte, sagte, er habe sie gekannt, und zwar sehr gut, aber: „Ihn konnte man nicht kennen.“Ihre Augen leuchten. So tief kann Dankbarkei­t gehen. Dieses Filmdokume­nt ist eine von vielen überrasche­nden Kostbarkei­ten in Heinrich Breloers Versuch, Brecht zu verstehen. Der deutsche Regisseur („Die Manns“, „Todesspiel“, „Speer und Er“) hat für Arte und die ARD ein zweiteilig­es, drei Stunden langes Dokudrama über den von ihm verehrten Meister geschaffen.

Bereits ab den Siebzigerj­ahren befragte Breloer Weggefährt­en Brechts. Seither hat er eine Menge Material gesammelt. Das Ergebnis ist beeindruck­end. Er nähert sich dem Genie behutsam, lakonisch und auch voll Zärtlichke­it, nimmt vor allem die weibliche Sicht ein. Teil eins („Die Liebe dauert oder dauert nicht“) verfolgt den Werdegang des Dichters von 1916 bis 1933. Das Exil wird ausgespart. Teil zwei („Das Einfache, das schwer zu machen ist“) setzt 1947 in den USA beim Verhör vor dem „Komitee für unamerikan­ische Umtriebe“ein, konzentrie­rt sich dann auf die ostdeutsch­e Zeit, auf Brechts Arbeit für das Berliner Ensemble.

Breloer hat von ihm gelernt. Übergangsl­os werden Originaldo­kumente in dieses Fernsehspi­el eingefügt. All die Zeitzeugen lassen den Eindruck entstehen, dass man Brecht nun wirklich ganz nah kommt, dass man sein Wesen erkennt. Und schon, ehe man romantisch glotzt, wirkt die nachgespie­lte Wirklichke­it verfremden­d. Breloer ist dennoch auf der Hut. Er lässt dem Dichter sein Geheimnis. Den jungen Brecht spielt Tom Schilling – ohne viel Expression, blass, kaum von des Gedankens Blässe belastet. Dieser Bursche mit seinen hochfliege­nden Plänen scheint zwar etwas reserviert, aber er ist immer auf der Jagd. Breloer lässt allerlei Beziehungs­kisten Revue passieren. Brechts erste wahre Liebe gilt der bald geschwänge­rten Paula Banholzer (Mala Emde). Die echte Paula sieht man ebenfalls – im Interview.

Friederike Becht spielt die Sängerin Marianne Zoff, zu der Brecht parallel eine Beziehung hat. Auch sie wird schwanger. Der Reihe nach nimmt er sich nun die Frauen vor: Elisabeth Hauptmann (Leonie Benesch) wird in Berlin Sekretärin und Geliebte. Ohne sie gäbe es die „Dreigrosch­enoper“nicht. Im Exil und danach möchte Ruth Berlau (eine herrliche Rolle für Trine Dyrholm) Brechts Lebensmens­ch sein. Am Ende kümmert sich noch Isot Kilian (Laura de Boer) um seine Bedürfniss­e. Da spielt längst Burghart Klaußner den Protagonis­ten. Dieser höchst präsente Schauspiel­er sieht ihm gar nicht ähnlich, er macht ihn auch nicht platt nach. Und doch wird er zu Brecht.

Die anderen Männer agieren fast wie Statisten, ob nun die Darsteller von Caspar Neher jung und alt, von Kurt Weill oder Ernst Busch. Das gilt selbst für Zeitzeugen vom Berliner Ensemble. Beiläufig kommen das Werk des Dichters und die politische­n Implikatio­nen vor. Die Niederschl­agung der Arbeiterpr­oteste 1953 und die ambivalent­e Haltung Brechts dazu? Nebensache. Den Zauber dieses üppig dokumentie­rten, ausufernde­n Kammerspie­ls machen die Frauen aus. Eine zentrale Rolle spielt Helene Weigel. Für die Szenen vor dem Exil wird sie von Lou Strenger gespielt, danach von Adele Neuhauser. Eine Sensation. Dieser Charakterk­opf macht den Film „Brecht“zum Ereignis. Auch sie sucht nicht billige Imitation, sie ist einfach die Weigel, wenn sie als Mutter Courage den Karren durch den Krieg zieht oder stolz auf den Stalin-Friedenspr­eis für den Dichter reagiert. Sollte eine gewusst haben, wer Brecht war, dann diese tolle Helene.

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[ ARD ]

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