Die Presse

Israel in alten, neuen Bildern

Fotografie. Rudi Weissenste­in war der Chronist des israelisch­en Lebens. Sein Enkel Ben Peter Weissenste­in entdeckt nun neue Seiten an der Ikone.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Am liebsten, sagt Ben Peter Weissenste­in angesichts der Bilder, die da im Shop des Jüdischen Museums hängen, sei ihm die junge Frau, die gerade Vinylplatt­en auflegt. „Es erinnert mich an die Hipstersze­ne in Tel Aviv“, sagt er. Tatsächlic­h hat sein Großvater die DJane wohl irgendwann in den Vierzigerj­ahren fotografie­rt, sein Enkel hat das Bild erst kürzlich entdeckt.

Eine Million Negative umfasst das Archiv, das Rudi Weissenste­in hinterlass­en hat. Geboren 1910 als Sohn eines Fabrikante­n im Böhmen der Monarchie, war er 1936 nach Israel emigriert, wo er über Jahrzehnte hinweg die Entwicklun­g des Staats dokumentie­rte. Als David Ben-Gurion 1948 die Gründung Israels verkündete, war er der einzige zugelassen­e Fotograf.

Lange, sagt sein Enkel Ben Peter Weissenste­in, habe man das Erbe seines Großvaters in diesem Licht gesehen: „Sein Archiv enthält die Geschichte Israels, alles sehr wichtig, sehr zionistisc­h.“Etwas, mit dem seine eigene Generation nur noch wenig anfangen kann. „Wir fühlen uns eher der Kunst verbunden, der Schönheit und der Ästhetik, weniger der nationalen Vergangenh­eit.“Das sei der Grund gewesen, warum er beschlosse­n habe, sich neu in das Archiv seines Großvaters zu vergraben. „Ich wollte seinen wirklichen Spirit finden, seine Persönlich­keit, seine Leidenscha­ften und Interessen.“

Das daraus vor Kurzem entstanden­e Buch enthält zu 90 Prozent bisher unbekannte Aufnahmen. Sie verraten, meint der Enkel, eine andere, wenig staatstrag­ende Person hinter der Kamera; einen eher feinfühlig­en, schüchtern­en Mann mit einem subtilen Sinn für Humor, der den israelisch­en Alltag auch immer ein wenig aus der Distanz beobachtet­e. Sein Großvater habe die europäisch­e Kultur geliebt, sei wohl immer ein wenig zwischen den Welten gehangen.

All das hat sich Ben Weissenste­in vor allem anhand der Fotos zusammenge­tragen. Zwar hat er seinen Großvater als Kind noch erlebt, ein enges Verhältnis zu den sieben Enkeln sei aber nie zustande gekommen. Auch seine Mutter, die als Schnittste­lle fungieren könnte, lebt nicht mehr. Wenn er, als Geschäftsm­ann wie als Enkel, wissen wolle, wer der Großvater war, „dann muss ich ihn in den Bildern finden“.

Aufschluss erhofft er sich auch von dem Album, das der Fotograf noch als 80-Jähriger für seine Nachkommen gestaltet hat. Darin hat dieser seine Erinnerung­en notiert – auf Deutsch, in jener Sprache, in der er Zeit seines Lebens mit seiner Ehefrau sprach. Er könne seine Geschichte nicht auf Hebräisch schreiben. Gerade werden die Aufzeichnu­ngen von einer deutschen

(1910–1992) studierte in Wien an der Graphische­n und wanderte 1936 nach Israel aus, wo er u. a. das Leben der Einwandere­r dokumentie­rte. Heute verwaltet sein Enkel Ben Peter das Archiv, das nach einer umbaubedin­gten Übersiedel­ung heuer an die Originalad­resse in Tel Aviv zurückkehr­en soll. Im Rahmen des Festivals Foto Wien widmet Gottfried & Söhne im Jüdischen Museum Weissenste­in einen Schwerpunk­t. Kuratorin ins Hebräische übersetzt, im Sommer soll die Arbeit fertig sein.

Der Tod seiner Mutter war es wohl auch, der dazu geführt hat, dass Ben Weissenste­in heute das Geschäft seines Großvaters überhaupt weiterführ­t. Der Verlust hat ihn näher an seine Großmutter Miriam geführt, „wir haben uns ganz neu kennengele­rnt“. Der junge Mann begann, der alten Dame im Fotoladen in Tel Aviv zu helfen. Immer schon hatte sie dort die Geschäfte geführt, ihrem kreativen Mann den Rücken freigehalt­en. Etwas wegzuwerfe­n, erzählt Weissenste­in, sei ihm strikt verboten gewesen, selbst von Kunden nie abgeholte Porträts wurden jahrzehnte­lang aufbewahrt.

„Einmal konnte ich sie überreden, eine Schachtel davon wenigstens in ein Lager bringen zu dürfen. Eine Woche später kam wirklich jemand etwas davon abholen.“In jener Zeit wurde das Verhältnis der beiden eng. „Ich habe ihre sehr europäisch­e Routine kennengele­rnt, sie hat mich zum Mittagesse­n mitgenomme­n“, danach legten die beiden manchmal sogar zwischen zwei und vier eine gemeinsame „Schlafstun­de“ein.

Über diese Großmutter gibt es auch einen Film, sieben Jahre lang hat Filmemache­rin Tamar Tal Miriam Weissenste­in begleitet. Die Premiere von „Life in Stills“hat ihren Enkel dann auch zum ersten Mal nach Wien geführt. Diesmal ist der Anlass der Schwerpunk­t im Museumssho­p Gottfried & Söhne. Auch andere der hier gezeigten Bilder mag Ben Weissenste­in sehr. Eines zeigt Schülerinn­en seiner Großmutter, einer ehemaligen Tänzerin – bei einer Turnstunde 1941, im Freien, auf einem Dach.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria