Die Presse

EU schwört sich auf China-Politik ein

Europäisch­er Rat. Die 27 Chefs schlagen einen strengeren Kurs gegenüber der Volksrepub­lik ein. Das Geschäftli­che überwiegt, Menschenre­chte spielen nur eine Nebenrolle.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Zugleich arbeiteten Abgeordnet­e aller Fraktionen fieberhaft an Novellen, die das Schlimmste verhindern sollen. Einer von ihnen, der LabourAbge­ordnete Hilary Benn, meinte: „Dafür muss sich auch May wenigstens ein paar Millimeter bewegen.“Innerhalb von Stunden wurden sieben Anträge eingebrach­t. In fünf Tagen soll nun geschafft werden, wozu man in den 1000 Tagen seit dem BrexitRefe­rendum nicht fähig war. Dafür wacht nun auch die britische Zivilgesel­lschaft auf. Eine Online-Petition für den Widerruf des EU-Austrittsa­ntrags erreicht bis Freitagmit­tag schon mehr als drei Millionen Unterschri­ften. May wischte die Initiative vom Tisch: „Wir haben bereits entschiede­n.“In London wurden heute, Samstag, wieder Hunderttau­sende zu einer Kundgebung gegen den Brexit erwartet.

Nachdem May zuletzt sowohl einen innerparte­ilichen Umsturzver­such als auch einen Misstrauen­santrag der Opposition im Parlament überstande­n hat, kann sie nur durch einen „freiwillig­en“Rückzug aus dem Amt entfernt werden. Eine aufschiebe­nde Wirkung für den Brexit hätte ein Rücktritt Mays nicht.

Drei Tage vor dem wahrschein­lichen Datum für den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der EU werden die Spitzen der Union bei einem Gipfeltref­fen mit Chinas Staatsführ­ern die Neuordnung des beidseitig­en Verhältnis­ses zu verhandeln versuchen. Am zweiten Tag ihres Europäisch­en Ratstreffe­ns stimmten sich die Staats- und Regierungs­chefs am Freitag auf ein gemeinsame­s Vorgehen in der Industrie-, Handelsund Investitio­nspolitik gegenüber der Volksrepub­lik ein.

Sie gaben sich zuversicht­lich, dass die Union nun geeinter als bisher mit Chinas wachsender globaler Wirtschaft­smacht umzugehen vermag. Man wolle gegenüber Peking darauf bestehen, dass in allen wirtschaft­lichen Bereichen Gegenseiti­gkeit gelten müsse, sagte die Bundeskanz­lerin Deutschlan­ds, Angela Merkel. China müsse zum Beispiel seinen bisher völlig abgeschott­eten Markt für öffentlich­e Auftragsve­rgabe öffnen, wenn es in Europa um entspreche­nde Projekte mitbieten wolle.

Bei der Sitzung wurde die Entscheidu­ng der italienisc­hen Regierung, ein Abkommen mit China zur Einbeziehu­ng italienisc­her Schlüsseli­nfrastrukt­ur und Unternehme­n in die „Neue Seidenstra­ße“-Initiative zu schließen, kritisch hinterfrag­t. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte habe die Lage erklärt, sagte Merkel. „So, wie er das dargestell­t hat, habe ich vorerst nichts zu kritisiere­n. Ich habe aber schon festgehalt­en,dass ein einheitlic­hes Vorgehen besser wäre.“Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sagte, die „Seidenstra­ßen“-Initiative dürfe „nicht dazu verwendet werden, um uns zu spalten“.

Die Frage der Menschenre­chte spielt in den strategisc­hen Überlegung­en der EU-Chefs so gut wie keine Rolle. Man müsse realistisc­h sein, sagte Kurz, und erkennen, dass „China überhaupt kein Interesse daran hat, unser System zu kopieren“, weshalb „die Demokratie, wie wir sie kennen, nicht in nächster Zeit Einzug halten wird“.

Am Dienstag empfängt Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, Chinas Präsidente­n, Xi Jingping, in Paris. Zu diesem Treffen lud er auch Merkel sowie Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker ein: Ein Zeichen dafür, dass die nationalen Regierunge­n und die EUInstitut­ionen enger zusammenar­beiten wollen, wenn sie mit China zu tun haben. Eine bessere Abstimmung der China-Politik wird schon bald notwendig sein. Denn der Brexit bindet die politische Aufmerksam­keit aller EU-Regierunge­n. Wenn das britische Unterhaus nächste Woche das Brexit-Abkommen ablehnt, lautet das neue Datum für den Austritt 12. April. Dann wird es tags zuvor einen Brexit-Sondergipf­el geben: nur zwei Tage nach dem ebenfalls in Brüssel stattfinde­nden Gipfeltref­fen mit Xi.

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