Knifflige Wahl für eine desillusionierte Ukraine
Präsidentenwahl. Das Vertrauen in die Regierenden hat ein neues Tief erreicht. Staatschef Poroschenko ist angeschlagen, Newcomer Selenskij frohlockt.
Wer auch immer die Präsidentenwahl in der Ukraine am 31. März gewinnt, eines ist sicher: Eine einfache Amtszeit wird er oder sie nicht haben. Die Euphorie, die nach dem Sieg des Maidan vor fünf Jahren in der Gesellschaft geherrscht hat, ist verflogen. Nie waren die Ukrainer skeptischer gegenüber ihrer eigenen Regierung als heute.
Eine aktuelle Umfrage des Gallup-Instituts illustriert das eindrücklich: Nur neun Prozent der Befragten haben Vertrauen in die Regierenden – einer der weltweit niedrigsten Werte. Vor fünf Jahren lag der Anteil immerhin noch bei einem Viertel.
Desillusionierung nach einer Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs ist kein spezifisch ukrainisches Phänomen. Doch in dem 42 Millionen Einwohner zählenden Land stellen sich viele Fragen schärfer als anderswo in Europa. Die Ukraine ist heute ein Land in einem unerklärten Krieg mit Russland. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Vor fünf Jahren versprachen prowestliche Reformer eine klare Annäherung an Europa, Demokratisierung, Korruptionsbekämpfung und Wohlstand für alle. Fünf Jahre später stellt die Mehrheit der Ukrainer diesen Kurs zwar nicht infrage. Unklar aber ist, welche Persönlichkeit und politische Kraft (im Herbst folgen Parlamentswahlen) die vielen offenen Punkte erfüllen kann.
Dieses Misstrauen bekommt Präsident Petro Poroschenko zu spüren, der vor fünf Jahren mit dem Versprechen eines „neuen Lebens“für die Ukrainer angetreten ist. Von seinem angeknacksten Image könnten zwei andere profitieren: der Newcomer und Komiker Wolodymyr Selenskij, der zurzeit in allen Umfragen führt, und die frühere Premierministerin Julia Timoschenko, die Prognosen auf dem dritten Platz sehen. Da voraussichtlich keiner der insgesamt 39 Kandidaten mehr als die Hälfte der Stimmen im ersten Wahlgang erreichen kann, ist eine Stichwahl am 21. April sehr wahrscheinlich.
„Kandidaten gibt es viele, Präsidenten nur einen“– so lautet der Slogan von Amtsinhaber Poroschenko, der sich staatstragend inszeniert und vor der Unerfahrenheit (Selenskij) und Unberechenbarkeit (Timoschenko) seiner Mitbewerber warnt. Er wirbt mit dem bisher Erreichten: der Autokephalie der ukrainischen orthodoxen Kirche, der Stärkung der Armee sowie der Verankerung des EU- und Nato-Beitritts in der Verfassung. 2023 soll die Ukraine ein EU-Beitrittsansuchen stellen. Fünf Wirtschaftsbereiche, darunter IT, Landwirtschaft und Logistik, will er bis dahin strategisch fördern. Doch ein zentrales Versprechen konnte Poroschenko nicht einlösen: die rasche Beendigung des Krieges in der Ostukraine. Zudem hat die Verwicklung hoher Beamte in Korruptionsskandale auch sein Image angepatzt – und den Eindruck hinterlassen, der Staatschef würde zu wenig gegen Korruption tun.
„Es gibt Erfolge im Kampf gegen Korruption, aber nicht genügend“, sagt dazu der Kiewer Politologe Olexij Haran. Gleichzeitig Seit 2014 Präsident der Ukraine. Er hat das Land in Krisenzeiten zusammengehalten – aber zu wenig gegen Korruption getan. verteidigt er den Staatschef bis zu einem gewissen Grad: Der ukrainische Präsident sei anders als sein russischer Kollege eben nicht „allmächtig“– und daher nicht für jede Unbill verantwortlich. Fazit: „Für ihn werden die Wähler stimmen, die mehr rational als emotional entscheiden.“Der Kandidat des geringeren Übels also, der Petro Poroschenko für viele schon vor fünf Jahren im Zweikampf gegen Julia Timoschenko war.
Timoschenko greift den Mann im Präsidentenamt indes frontal an. Sie verspricht die Senkung der Gas- und Stromtarife, die aufgrund der IWF-Anforderungen für die Verbraucher stark angestiegen sind. Und sie setzt auf eine Verfassungsreform, die im Grunde auf eine Stärkung der großen Parteien im Parlament hinausläuft.
Der wahre Herausforderer aber heißt Wolodymyr Selenskij. Der 41-jährige Komiker hat bisher den Staatschef nur auf der Bühne und in seiner Serie „Diener des Volkes“verkörpert. Politisch ist er ein unbeschriebenes Blatt, diffus sein Programm. Wie die beiden anderen Kandidaten spricht er sich für eine weitere West-Integration aus, tritt für Korruptionsbekämpfung und Digitalisierung ein. Sein Vorteil ist seine Unerfahrenheit. „Er zieht die Protestwähler an“, sagt Politologe Haran. Und davon gibt es – wie eingangs erwähnt – gerade jetzt viele.
Haran sieht trotz des Risikos angesichts eines künftigen Komiker-Präsidenten „kein apokalyptisches Szenario“: „Selenskij wird einfach Zeit brauchen zu verstehen, was es bedeutet, Präsident der Ukraine zu sein.“