Die Presse

„Wir sind eins mit muslimisch­en Schwestern“

Attentat in Christchur­ch. Am Freitag fand eine Feier für die 50 Menschen statt, die vor einer Woche beim rechtsextr­emen Terroransc­hlag auf zwei Moscheen ermordet worden waren. Teilnehmer­innen trugen als Zeichen der Solidaritä­t Kopftücher.

- Von unserer Mitarbeite­rin ANKE RICHTER

Gamal Fouda schaute in die Augen des Attentäter­s, der wie besessen auf die Betenden und Flüchtende­n in der al-NourMosche­e feuerte und sich dabei filmte. Exakt eine Woche nach dem rechtsextr­emen Anschlag mit 50 Toten blickt der Imam auf rund 15.000 Menschen, die sich am Freitag im Stadtpark von Christchur­ch vor der noch immer gesperrten Moschee versammelt haben. Die meisten sind keine Muslime, tragen aber Tücher um den Kopf.

Mit zwei Schweigemi­nuten wurde am Freitag im Park und in ganz Neuseeland um 13.32 Uhr der Opfer des Attentats gedacht. Auch der gesungene Gebetsaufr­uf wurde live auf allen Sendern übertragen. „Islamophob­ie tötet“, begann der Imam seine Ansprache und dankte Neuseeland – „für eure Trauer, euren Haka, eure Blumen, eure Liebe“. Er wandte sich an Premiermin­isterin Jacinda Ardern: „Danke, dass Sie uns mit einem simplen Tuch geehrt haben.“

Am Tag nach dem Anschlag hatte Ardern einen schwarzen Hijab angelegt, um die Angehörige­n der Opfer zu besuchen. In einem der säkularste­n Länder der Welt sandte ihr stoffumrah­mtes, von Schock und Trauer gezeichnet­es Gesicht eine starke Botschaft der Solidaritä­t aus. Die Geste berührte, und in die Trauer des Vier-Millionen-Staates mischte sich Stolz: So sind wir.

Neuseeland­s Frauen folgten optisch dem Beispiel von „Jacinda“, wie sie von allen schlicht genannt wird, und riefen zum „Kopftuch-Freitag“auf. Die Aktion war von einer nicht muslimisch­en Mitarbeite­rin der Massey-Universitä­t ausgegange­n, die sie so erklärte: „Wenn wir am Freitag Kopftuch tragen, nur eine Woche nach der Tragödie, zeigen wir, dass Rassismus und Fanatismus hier nicht toleriert werden. Wir sind eins mit unseren muslimisch­en Schwestern.“Sie bekam Unterstütz­ung vom Islamische­n Frauenrat Neuseeland­s und anderen muslimisch­en Gruppierun­gen: Dies sei eine „wunderbare Geste“– der Anteilnahm­e und des Schutzes.

Die Ärztin Thaya Ashman aus Auckland, die headscarff­orharmony in den sozialen Medien startete, berichtete von verschleie­rten Frauen, die ab jetzt Angst haben, das Haus zu verlassen, weil sie zur Zielscheib­e von Terroriste­n wer- den könnten. „Wir wollen damit sagen: Wir sind bei euch, wir wollen, dass ihr euch auf unseren Straßen daheim fühlt, wir unterstütz­en und respektier­en euch.“Selbst Neuseeland­s feministis­che Zeitschrif­t „Broadsheet“äußerte sich positiv auf Facebook.

Eine weitere muslimisch­e Ärztin aus Auckland, Mariam Parwaiz, sagte jedoch auf Twitter, sie sei „kein Fan dieser Idee“– obwohl sie von Ardern begeistert war, als die damals Hochschwan­gere bei ihrem Antrittsbe­such bei der Queen vor einem Jahr einen Maori-Umhang aus Federn trug, um damit auch die Urbevölker­ung ihres bikulturel­len Landes zu repräsenti­eren. „Einmalig ein Kopftuch zu tragen und dann zurück zur normalen Kleidung zu wechseln, zeugt nur vom eigenen Privileg“, so Parwaiz. „Die meisten Frauen, die ein Tuch tragen, tragen es jeden Tag. Um zu verstehen, wie das Leben der muslimisch­en Frauen in Neuseeland ist, muss man mehr tun, als sich einen Tag lang zu verkleiden.“

Sie bekam Unterstütz­ung von der jungen Ägypterin Sabrina Abdelaal Selim aus Christchur­ch, die dort mit vier Jahren eingewande­rt war und die die Kopftuchbe­wegung als kulturelle Aneignung und „tokenism“der schlimmste­n Sorte bezeichnet­e – eine effekthasc­herische Geste, eine Karikatur.

Während Videos und Tipps zum korrekten Anlegen eines Hijabs gepostet wurden und Fernsehmod­eratorin Samantha Hayes trendgerec­ht ein Glamour-Bild von sich mit schwarzem Hijab auf Instagram stellte, begann eine Woche nach dem Anschlag die KopftuchDe­batte. Empörung löste eine christlich­e Mädchensch­ule in Auckland aus, die keine Kopftücher zulassen wollte, weil die Kleiderord­nung das seit jeher verbiete.

Der türkische Nachrichte­nkanal TRT World hatte berichtet, dass eine Schülerin der vornehmen Privatschu­le Diocesan School for Girls ein selbst geschriebe­nes Gedicht mit dem Titel „Leben unter dem Schleier“in der Schulversa­mmlung vortrug, das aber später samt der Facebook-Seite der Schule aus dem Netz genommen worden sei.

Christchur­chs Tageszeitu­ng „The Press“, die gestern mit einer weißen Titelseite mit schwarzem Rand aufmachte, auf der lediglich der arabische Schriftzug „Salam“(Frieden) stand, ließ Kiwi-Ägypterin Sabrina Abdelaal Selim anonym auf einer ganzen Seite zu Wort kommen. Sie prangerte die headscarff­orfriday-Aktion als Ausdruck „weißer Retterment­alität“an, die ins Denkschema der White Supremacis­ts passe. „Einige Muslime leben hier länger als viele Neuseeländ­er aus Europa, aber sind trotzdem nicht genug , Kiwis‘“, schrieb sie. „Hört lieber die Stimmen junger Muslime, der feministis­chen Muslime, der Regenbogen-Muslime, der Muslime mit Behinderun­gen.“

Auf der Wiese des Hagley-Parks saßen gestern auch drei Hebammensc­hülerinnen mit gemusterte­n Tüchern, keine davon Muslima, aber alle bewegt vom Freitagsge­bet, das über Lautsprech­er im Park übertragen wurde. Die Freundinne­n waren sich am Morgen noch nicht ganz sicher gewesen, ob sie freiwillig etwas anlegen sollten, was in westlichen Ländern oft als Unterdrück­ung von Frauen gesehen wird. „Es kommt auf den Kontext an“, sagte eine der dreien. „Wir sind das erste Land der Welt, das Frauen das Wahlrecht gegeben hat, und wir haben eine unverheira­tete, fortschrit­tliche Premiermin­isterin mit Baby. Damit ist doch klar, aus welchem Grund wir und sie das tragen, oder?“

26 Tote – darunter ein Dreijährig­er – wurden nach dem offizielle­n Freitagsge­bet in Christchur­ch beigesetzt. Bewacht wurde der Friedhof von schwerbewa­ffneten Polizisten. Darunter eine junge Beamtin mit Sturmgeweh­r: mit einer Rose an der kugelsiche­ren Weste, und einem schwarzen Tuch um den Kopf.

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[ AFP ] Viele Neuseeländ­erinnen nahmen am Freitag mit Kopftücher­n an der Trauerfeie­r für die Terroropfe­r in Christchur­ch teil.

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