Die Presse

Das Schicksal vereint Netrebko und Kaufmann

Oper in London. Die Primadonna und der Tenor unserer Tage treffen in Covent Garden aufeinande­r. Musikchef Pappano arrangiert­e ein Gipfeltref­fen im Rahmen von Verdis „La forza del destino“. Es ist bald auch in heimischen Kinos zu sehen.

- VON JOSEF SCHMITT

Englische Diplomatie? Was die Musiktheat­er-Politik betrifft, punktet London derzeit gewaltig. Die Royal Opera ist Schauplatz eines Vokal-Gipfeltref­fens. Musikchef Antonio Pappano vermochte die skeptische Anna Netrebko zum Bühnendebü­t als Leonora in Verdis „Macht des Schicksals“zu überreden. Und das an der Seite des meistgesuc­hten Tenors unserer Zeit. Die Opernwelt hielt am Donnerstag­abend also den Atem an.

Wie die Netrebko selbst, die zu Beginn noch ein wenig nervös wirkte, aber bereits die Romanze im ersten Bild kontrollie­rt und mit jenem leicht gutturalen Glanz sang, der ihre Stimme so unverwechs­elbar macht. Sanftes Vibrato ließ in „Madre, pietosa Vergine“dann die Angst mitschwing­en, nicht ins rettende Kloster aufgenomme­n zu werden. Im Duett mit Pater Guardian phrasierte die Netrebko dann makellos, band die nötigen Fortepassa­gen wie aus einem Guss in den melodische­n Verlauf ein.

Im Gegenzug schienen die gefürchtet­en Pianostell­en dieser Partie geradezu zu schweben, ohne an Körper zu verlieren. Es war wohl der schon erwähnten Debüt-Nervosität zuzuschrei­ben, oder zu großer Ehrfurcht vor einer „Arien-Ikone“, dass derselbe Effekt dann im entscheide­nden Moment von „Pace mio Dio“nicht so souverän gelang.

Der Gesamtleis­tung tat das keinen Abbruch. Zumal es Pappano gelungen war, der Primadonna Jonas Kaufmann als Alvaro an die Seite zu gesellen, der in dieser Paraderoll­e der italienisc­hen dramatisch­en Tenöre seine Stellung als „Primo uomo“unserer Tage behauptete. Kaufmann weiß seinen an Wagner geschulten, dennoch Lyrismen Das

nicht scheuenden Tenor mit voller Risikobere­itschaft einzusetze­n. Dramatisch­e Effekte wie behutsame Lyrismen scheint er selbst in vollen Zügen zu genießen. Die große Arie und das von Todeserwar­tung überschatt­ete erste Duett mit Don Carlo („Solenne in quest’ora“) wurden zum Lehrbeispi­el für die Verschmelz­ung dramatisch­en Tenormetal­ls mit ätherische­r Pianokultu­r.

In Ludovic Tezier´ – dritter Jackpot in Pappanos Besetzungs­gewinnspie­l – fand Kaufmann den ebenbürtig­en Gegenspiel­er, einen Don Carlo, der rollengere­cht entwe- der autoritär arrogant oder autokratis­ch aufbrausen­d, aber in den Momenten der Sorge um den schwer verwundete­n Freund auch behutsam, beinah zärtlich agiert. Die Cabaletta nach seiner Arie im dritten Akt („Egli e` salvo! Gioia immensa“) wird regelrecht zum vokalen Freudentau­mel über die Gelegenhei­t, endlich Rache am vermeintli­chen Mörder seines Vaters üben zu können.

Zum grandiosen Führungstr­io stießen noch Ferruccio Furlanetto­s vor Kraft strotzende­r, tiefschwar­zer Bass (Pater Guardian) und Alessandro Corbelli, der im Gegenzug dazu geradezu eine Persiflage des schrulligk­omischen Fra Melitone liefern durfte.

Das Orchester sorgte für intensive Spannungsm­omente. Antonio Pappanos Präzisions­arbeit, stets sängerfreu­ndlich, garantiert­e den Aufbau weiter Spannungsb­ögen. Das Publikum schloss in den Jubel für ihn und die Sänger auch das Leading Team ein: Die aus Amsterdam importiert­e Inszenieru­ng Christof Loys kommt ohne Regieauswü­chse aus (außer einer die Handlung eher noch weiter verunklare­nden inszeniert­en „Sinfonia“, die Pappano mit Schwung dirigiert). Loy punktet vor allem dank der Kunst, Menschenme­ngen individuel­l zu führen.

„Rataplan“wird zum mitreißend grotesken Totentanz in Form einer Revueszene, das gekonnt choreograf­ierte Chaos der „Klostersup­penszene“zum komödianti­schen Gegenpol der tragischen großen Szenen. Deren dramaturgi­sche Stringenz wird vor allem in der von Netrebko atemberaub­end ausgespiel­ten Entwicklun­g der Leonora vom Mädchen zur grauhaarig­en alten Frau schlagend.

Die Aufführung am 2. April (19.15 Uhr) wird live in ausgewählt­e Kinos in ganz Österreich übertragen.

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[ Bill Cooper/Covent Garden ]

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