Die Presse

Prophet Grillparze­r

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I m Jubel über Wien als lebenswert­este Stadt der Welt (© Mercer) wurde ein Aspekt übersehen, ein ganz wesentlich­er. Es ist die Tradition, liebe Leute! Die Gewohnheit zu verkleiner­n, zu verschiebe­n, bis sich auch das größte Problem von selbst löst – das macht uns so liebenswer­t. Der depressive, beruflich stark unterforde­rte Hofrat Franz Grillparze­r hat in seinem Bureau in der Johannesga­sse schon 1823 vorausgese­hen, wie die ÖVP-Spitze Anno Domini 2019 die heiße Kartoffel namens Orban´ anfassen wird: „Allein, was nottut und was Gott gefällt, Der klare Blick, der off ’ne, richt’ge Sinn, Da tritt der Österreich­er hin vor jeden, Denkt sich sein Teil. Und lässt die andern reden!“Aber es ist ja nicht nur die Volksparte­i mit ihrem freundlich­en Jungobmann, der über den Wassern zu schweben scheint. Auch die Wiener Stadtregie­rung – und mit ihr die bürgerlich­e Opposition – hat das edle Prinzip der Prokrastin­ation als äußerst kommode Lebensart entdeckt. Zores mit dem Heumarkt? Jetzt, da die beiden einzigen grünen Hochhausfa­ns ins politische Nirwana absiedeln, kann man das tun, was am angenehmst­en ist: nachdenken. Zwei Jahre lang. Kann auch länger dauern. Viel länger. (hws)

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