Mehr Staat, weniger privat: Vorwärts, wir gehen zurück!
Zwei Rechtsparteien auf Linkskurs? ORF, Asylwesen, Wirtschaft, Thinktanks – alles unter staatlichen Fittichen. ÖVP verabschiedet sich von Schüssel-Doktrin.
Er soll offenbar so lang wie möglich unbemerkt bleiben, deshalb wird er auch so unauffällig und in kleinen Dosen vollzogen: der Schwenk der Regierung in Richtung Staatskontrolle. Das ist für eine Partei wie die ÖVP durchaus überraschend, schien sie sich doch bis jetzt eher der ehemaligen SchüsselDoktrin „Mehr privat, weniger Staat“(Buchtitel: 1985) verschrieben zu haben. Ihre Anhänger werden glauben, dass sie noch danach handelt. Bei einer Partei wie der FPÖ mit ihrer Begeisterung für Ungarns Viktor Orban´ ergibt die Liebe zu Staatseinfluss schon mehr Sinn. Außerdem: Einen Pakt mit der russischen Staatspartei unterschreibt man nicht als Verfechter privater Initiativen in Wirtschaft und Gesellschaft.
Auch wenn nun die Entscheidung über die Abschaffung der GIS-Gebühren für den ORF auf 2021 verschoben worden ist, so unterstrich die Debatte der vergangenen Wochen doch eine Tendenz, von der die Regierung hofft, dass sie nicht zu viel Aufsehen erregt: einen stärkeren staatlichen Zugriff auf den ORF, damit die Regierung ihn an der kurzen Leine des Staatsbudgets hat und ihn jährlich von ihrem Wohlwollen abhängig machen kann. So schnell kann die Regierung gar nicht spinnen, dass nicht die Mehrheit der Menschen das erkennen würde.
Es ist unerheblich, ob der Plan aus wahltaktischen Gründen jetzt fallen gelassen wurde, um der FPÖ die Einlösung eines Wahlversprechens für 2022 zu schenken, oder ob sich die Regierung erst etwas einfallen lassen muss, um den Widerstand der Bundesländer zu überwinden. Die Begehrlichkeit des Staatseinflusses bleibt, die Finesse mancher Vorgängerregierungen, diese zu verschleiern, fehlt. Wird im Überschwang der Umfragen vielleicht auch gar nicht mehr als notwendig erachtet.
Wieder einmal kann man Innenminister Herbert Kickl für seine Ehrlichkeit danken: Nach dem Ministerrat diese Woche gab er jene „GesmbH im Staatseigentum“bekannt, die künftig als „Bundesagentur für Betreuungsleistung und Unterstützung“, die Beratung und Betreuung im Asylwesen verstaatlichen wird. Asylwerber, so Kickl, haben in Hinkunft von den 572 neuen Beamten „realistische Einschätzungen statt realitätsferner Illusionen“zu erwarten. Alles werde billiger, wenn der Staat Asylwerber versorgt und nicht private Einrichtungen, wenn sich der Staat um Einsprüche kümmert und nicht externe Rechtsberater: „Wir werden private Berater nicht mehr zahlen“, so Kickl. Statt Verschärfung für Asylwerber heißt es nun also Verstaatlichung. Klingt besser. Nur wer wird die Einsparungen kontrollieren?
Kräftig legte der Staat alias Regierung vor einigen Wochen im Wirtschaftsbereich Hand an bei der Umwandlung der Staatsholding Öbib in die Österreichische Beteiligungs AG. Das fiel jedenfalls dem Korrespondenten des deutschen „Handelsblatts“, Hans-Peter Siebenhaar, auf: „Österreichs Regierung greift stärker in die Wirtschaft ein“. Die konservativ-rechtspopulistische Regierung nehme ihre Beteiligungen stärker unter ihre Fittiche.
Der Regierung dürften da auch diverse Rücktritte auf Aufsichtsgremien ganz gelegen kommen – ob offen aus Protest gegen den stärkeren staatlichen Zugriff wie Ex-Siemens-Chef Peter Löscher oder leise. Ökonom Christian Keuschnigg äußerte im „Handelsblatt“seine Zweifel an den Kompetenzen und Kenntnissen mancher Regierungsvertreter: „Leider habe ich da meine Sorgen . . .“Immerhin geht es um Konzerne wie OMV, Telekom Austria, Verbund, Post und Casinos Austria. Überraschend ist nicht die personelle Umfärbeaktion, diese gab es immer unter jeder Regierung. Seltsam nur, von welcher politischen Seite sie jetzt kommt.
Oder auch wieder nicht. Schließlich wurde auch das Denken verstaatlicht – in der Think-Austria-Abteilung des Bundeskanzleramts seit einem Jahr und in der Stelle „Denk zukunftsreich“im Vizekanzleramt. Bei so viel staatlichem Denken, wer braucht da private Experten?