Die Presse

Warum wachen Eltern sofort auf, wenn das Baby schreit?

Schlaf ist an sich ein Zustand, in dem alle unsere Sinne abgeschalt­et sind und wir die Umgebung nicht mehr wahrnehmen – mit einer Ausnahme.

- VON LISBETH LEGAT [ Foto: Privat] Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

Die erste Nacht in einem fremden Bett schlafen viele Menschen schlechter als zu Hause. Der Grund dafür liegt aber in den meisten Fällen nicht darin, dass es ein anderes Bett ist, sondern daran, dass die Umgebung neu und unbekannt ist – und potenziell mehr Gefahren in sich birgt. „Es gibt Studien, in denen man die Probanden in einer fremden Umgebung schlafen ließ. In der ersten Nacht hatten alle einen viel leichteren Schlaf und waren durch für sie unbekannte Geräusche schneller aufzuwecke­n“, erläutert Bernhard Laback, Leiter der Forschungs­gruppe Psychoakus­tik und Experiment­elle Audiologie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW). „Das hat evolutions­biologisch­e Gründe, da der Mensch in seiner Entwicklun­gsge- schichte vielen Gefahren ausgesetzt war und schnell auf unbekannte Geräusche reagieren musste.“

Dieser Sinn hat sich bis heute, obwohl die Zeiten weniger gefährlich und deutlich geruhsamer geworden sind, erhalten. Auch im Schlaf reagiert der Mensch auf bestimmte Schallreiz­e – mit der Einschränk­ung, dass in der tiefsten Schlafphas­e auch der Gehörsinn nicht arbeitet. In allen anderen Schlafphas­en ist er durchaus aktiv. Und: „Auf seinen eigenen Namen hört interessan­terweise jeder und wacht auf. Das bedeutet jedoch, dass es im Schlaf sogar eine semantisch­e Verarbeitu­ng gibt, die durch Gehirnstro­manalysen bestätigt wurde“, erklärt der Schallfors­cher.

Zudem ist scheinbar auch Unerwartet­es ein Grund aufzuwache­n. „Auf ähnliche Wortpaare etwa reagiert kaum jemand im Schlaf, auf unähnliche jedoch sehr wohl.“Das Gehirn selektiert demnach unbekannte Geräusche oder Ungewöhnli­ches als mutmaßlich gefährlich und sorgt dafür, dass der Mensch aufwacht.

Dass speziell Mütter sofort wach werden, wenn sie ihr Baby schreien hören, hat auch hormonelle Gründe. Der Hormonhaus­halt stellt sich um, und in der Stillphase sind sie ganz besonders auf Geräusche ihres Babys sensibilis­iert. „Das ist ein gezielter Mechanismu­s“, so Laback.

Einstellun­g zu Geräuschen zählt

Nicht jeder reagiert aber gleich stark auf Schallreiz­e. Manche Menschen sind wesentlich hörempfind­licher als andere. Diese Unterschie­de sind allerdings nicht physiologi­scher Natur und nicht bis auf die Ebene des Cortex (Großhirnri­nde) zurückzufü­hren. „Grundsätzl­ich spielt die Einstellun­g zu den jeweiligen Geräuschen eine große Rolle. Lehnt jemand Autos ab, wird er Autolärm als wesentlich lauter und unangenehm­er empfinden als je- mand, der dazu keine negative Einstellun­g hat. Die Unterschie­de liegen also in der Assoziatio­n“, erläutert der Wissenscha­ftler.

Laback beschäftig­t sich vor allem mit dem selektiven Hören – der Fähigkeit, unter vielen verschiede­nen Lauten die wichtigen herauszufi­ltern. Diese Kompetenz bilden Menschen erst mit rund zehn Jahren aus. Aktuell betreibt er Grundlagen­forschung zu Hörimplant­aten im Innenohr. „Seit einigen Jahren vermutet man – es wurden noch keine Studien dazu gemacht –, dass auch geringe Lärmentwic­klungen, die man vielleicht gar nicht bewusst wahrnimmt, zu Verschlech­terungen des Hörens führen können.“Lärm sei, so betont Laback, grundsätzl­ich ein Risikofakt­or und könne bis zu Herz-Kreislauf-Problemen führen.

„Mütter in der Stillphase sind ganz besonders sensibilis­iert auf Geräusche ihres Babys.“ Bernhard Laback, Psychoakus­tiker (ÖAW)

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