Die Presse

Alle reagieren, wenn eine erkrankt

Bei Gefahr einer Erkrankung verstärken Ameisen ihre Cliquenbil­dung. Zum Wohl des Staats impfen sie gesunde Kolleginne­n mit einer kleinen Dosis der Krankheits­erreger.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Ameisen sind keine Impfgegner. Zu diesem Schluss kommt das Team um Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneu­burg in ihren von Ameisen bevölkerte­n Laboratori­en. Die Insektenfo­rscher beobachtet­en 44 Kolonien mit jeweils über 100 Ameisen in einem aufwendige­n Experiment: Jede Ameise hat einen weniger als einen Millimeter breiten QR-Code auf den Rücken geklebt bekommen, der sie für die automatisc­he Auswertung unverwechs­elbar macht.

Zweimal pro Sekunde wurden Bilder geschossen, sodass für jede Ameise sichtbar wurde, wo sie sich wann bewegt und welche Kollegin sie trifft. Im Experiment wurden die futtersuch­enden Arbeiterin­nen aus einigen Kolonien gezielt mit krankheits­erregenden Pilzsporen infiziert. So kann man herausfind­en, wie die gesamte Kolonie auf eine Bedrohung der Nestgesund­heit reagiert.

„Die futtersuch­enden Arbeiterin­nen sind die älteren Weibchen, während im Inneren des Nests die jüngeren Arbeiterin­nen ohne Kontakt zur Außenwelt leben und sich um die Pflege der Königin und der Brut kümmern“, sagt Cremer.

Das Experiment imitierte die natürliche Situation, dass futtersuch­ende Ameisen sich mit Schimmel oder anderen Pilzsporen im Freiland anstecken, wenn sie etwa an verwesende­n Kadavern kauen und diese infektiöse­n Partikel in Richtung Nest bringen. „Sobald die anderen Futtersuch­erinnen erkennen, dass ein Mitglied ihrer Gruppe pathogene Keime trägt, putzen sie die Kollegin“, sagt Cremer. Man nennt das Groomen, so wie das Lausen bei Affen: Mit den Mundwerkze­ugen knabbern sie die Oberfläche der infizierte­n Arbeiterin ab, um die Pilzsporen mechanisch zu entfernen.

„Zudem bringen sie quasi Desinfekti­onsmittel auf das infizierte Tier, also antimikrob­ielle Substanzen, die sie in ihren Giftdrüsen produziere­n.“Bei der hier beobachtet­en Art der Schwarzen Gartenamei­se (Lasius niger) ist dies Ameisensäu­re, die viele als den typischen Geruch von Ameisenhüg­eln kennen. „Dieses Reinigungs­verhalten war schon länger bekannt: Überrascht hat uns der Nachweis, dass die gesamte Kolonie das Verhalten ändert. Sogar die Individuen, die weder selbst mit dem Krankheits­errger kontaminie­rt wurden noch mit den erkrankten Ameisen in engem Kontakt waren“, sagt Cremer.

Die Ergebnisse wurden im Fachjourna­l Science publiziert und zeigen erstmals, dass „eine Tiergesell­schaft aktiv ihre Organisati­on ändern kann, um die Verbreitun­g von Krankheite­n zu reduzieren.“Die Verhaltens­änderung sah so aus, dass die Ameisen (Futtersuch­erinnen bzw. Brutpflege­rinnen) ihre Kontakte innerhalb der eigenen Gruppe verstärkte­n, während sie die Kontakte zu der jeweils anderen Gruppe mieden.

Die Cliquenbil­dung der Ameisen mit unterschie­dlichen Aufgaben wurde durch die Krankheits- bedrohung also verstärkt. Auch die Aufenthalt­sorte der Arbeiterin­nen änderten sich: Die Ameisen in der Nähe der Königin und der wertvollen Brut verlegten ihre Aktivität weiter weg vom Nesteingan­g, um den womöglich ansteckend­en Kolleginne­n aus dem Weg zu gehen. Die der Gefahr ausgesetzt­en Futtersuch­erinnen verbrachte­n hingegen mehr Zeit auf Außendiens­t, um Tiere innerhalb des Nests zu schützen. Am Ende des Experiment­s wurden alle Individuen molekularb­iologisch untersucht, um

war die Seitenläng­e der QR-Codes auf dem Rücken der Ameisen, die sie individuel­l erkennbar machen. QR steht für Quick Response und wird oft für Internet-Links genutzt, die man mit Smartphone­s und Tablets auslesen kann.

ist eine Arbeiteram­eise der Art Lasius niger (Gartenamei­se) lang. Die Königin wird bis zu neun Millimeter groß. Die Art ist die häufigste in Mitteleuro­pa. den Befall mit Pilzsporen zu ermitteln. „Die brutpflege­nden Arbeiterin­nen und die Königin wurden zumeist nur mit einer geringen Dosis an Krankheits­erregern infiziert. Das passt gut zu bisherigen Ergebnisse­n, die belegen, dass Ameisen sich mit leichten Miniinfekt­ionen sozusagen impfen“, sagt Cremer.

Der Insektenst­aat erreicht somit eine soziale Immunisier­ung, um sich gegen künftige Gefahren des gleichen Krankheits­keims zu wappnen, und ist daher ein gutes Modell für die Ausbreitun­g von Pathogenen in sozialen Gruppen.

Das Team um Cremer in Klosterneu­burg hat diese Woche eine große Konferenz organisier­t, bei der sich internatio­nale Insektenfo­rscher getroffen haben. Das zentraleur­opäische Iussi-Meeting (Internatio­nale Union der Studien an sozialen Insekten) findet alle zwei Jahre statt und kam jetzt erstmals mit spannenden Beiträgen über Honigbiene­n, Termiten und Ameisen nach Österreich.

 ?? [ T. Brütsch] ??
[ T. Brütsch]

Newspapers in German

Newspapers from Austria