Alle reagieren, wenn eine erkrankt
Bei Gefahr einer Erkrankung verstärken Ameisen ihre Cliquenbildung. Zum Wohl des Staats impfen sie gesunde Kolleginnen mit einer kleinen Dosis der Krankheitserreger.
Ameisen sind keine Impfgegner. Zu diesem Schluss kommt das Team um Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg in ihren von Ameisen bevölkerten Laboratorien. Die Insektenforscher beobachteten 44 Kolonien mit jeweils über 100 Ameisen in einem aufwendigen Experiment: Jede Ameise hat einen weniger als einen Millimeter breiten QR-Code auf den Rücken geklebt bekommen, der sie für die automatische Auswertung unverwechselbar macht.
Zweimal pro Sekunde wurden Bilder geschossen, sodass für jede Ameise sichtbar wurde, wo sie sich wann bewegt und welche Kollegin sie trifft. Im Experiment wurden die futtersuchenden Arbeiterinnen aus einigen Kolonien gezielt mit krankheitserregenden Pilzsporen infiziert. So kann man herausfinden, wie die gesamte Kolonie auf eine Bedrohung der Nestgesundheit reagiert.
„Die futtersuchenden Arbeiterinnen sind die älteren Weibchen, während im Inneren des Nests die jüngeren Arbeiterinnen ohne Kontakt zur Außenwelt leben und sich um die Pflege der Königin und der Brut kümmern“, sagt Cremer.
Das Experiment imitierte die natürliche Situation, dass futtersuchende Ameisen sich mit Schimmel oder anderen Pilzsporen im Freiland anstecken, wenn sie etwa an verwesenden Kadavern kauen und diese infektiösen Partikel in Richtung Nest bringen. „Sobald die anderen Futtersucherinnen erkennen, dass ein Mitglied ihrer Gruppe pathogene Keime trägt, putzen sie die Kollegin“, sagt Cremer. Man nennt das Groomen, so wie das Lausen bei Affen: Mit den Mundwerkzeugen knabbern sie die Oberfläche der infizierten Arbeiterin ab, um die Pilzsporen mechanisch zu entfernen.
„Zudem bringen sie quasi Desinfektionsmittel auf das infizierte Tier, also antimikrobielle Substanzen, die sie in ihren Giftdrüsen produzieren.“Bei der hier beobachteten Art der Schwarzen Gartenameise (Lasius niger) ist dies Ameisensäure, die viele als den typischen Geruch von Ameisenhügeln kennen. „Dieses Reinigungsverhalten war schon länger bekannt: Überrascht hat uns der Nachweis, dass die gesamte Kolonie das Verhalten ändert. Sogar die Individuen, die weder selbst mit dem Krankheitserrger kontaminiert wurden noch mit den erkrankten Ameisen in engem Kontakt waren“, sagt Cremer.
Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Science publiziert und zeigen erstmals, dass „eine Tiergesellschaft aktiv ihre Organisation ändern kann, um die Verbreitung von Krankheiten zu reduzieren.“Die Verhaltensänderung sah so aus, dass die Ameisen (Futtersucherinnen bzw. Brutpflegerinnen) ihre Kontakte innerhalb der eigenen Gruppe verstärkten, während sie die Kontakte zu der jeweils anderen Gruppe mieden.
Die Cliquenbildung der Ameisen mit unterschiedlichen Aufgaben wurde durch die Krankheits- bedrohung also verstärkt. Auch die Aufenthaltsorte der Arbeiterinnen änderten sich: Die Ameisen in der Nähe der Königin und der wertvollen Brut verlegten ihre Aktivität weiter weg vom Nesteingang, um den womöglich ansteckenden Kolleginnen aus dem Weg zu gehen. Die der Gefahr ausgesetzten Futtersucherinnen verbrachten hingegen mehr Zeit auf Außendienst, um Tiere innerhalb des Nests zu schützen. Am Ende des Experiments wurden alle Individuen molekularbiologisch untersucht, um
war die Seitenlänge der QR-Codes auf dem Rücken der Ameisen, die sie individuell erkennbar machen. QR steht für Quick Response und wird oft für Internet-Links genutzt, die man mit Smartphones und Tablets auslesen kann.
ist eine Arbeiterameise der Art Lasius niger (Gartenameise) lang. Die Königin wird bis zu neun Millimeter groß. Die Art ist die häufigste in Mitteleuropa. den Befall mit Pilzsporen zu ermitteln. „Die brutpflegenden Arbeiterinnen und die Königin wurden zumeist nur mit einer geringen Dosis an Krankheitserregern infiziert. Das passt gut zu bisherigen Ergebnissen, die belegen, dass Ameisen sich mit leichten Miniinfektionen sozusagen impfen“, sagt Cremer.
Der Insektenstaat erreicht somit eine soziale Immunisierung, um sich gegen künftige Gefahren des gleichen Krankheitskeims zu wappnen, und ist daher ein gutes Modell für die Ausbreitung von Pathogenen in sozialen Gruppen.
Das Team um Cremer in Klosterneuburg hat diese Woche eine große Konferenz organisiert, bei der sich internationale Insektenforscher getroffen haben. Das zentraleuropäische Iussi-Meeting (Internationale Union der Studien an sozialen Insekten) findet alle zwei Jahre statt und kam jetzt erstmals mit spannenden Beiträgen über Honigbienen, Termiten und Ameisen nach Österreich.