Die Presse

Ausgrenzun­g im Klassenzim­mer

Die Bildungswi­ssenschaft­lerin ist Expertin für schulische Inklusion. In ihrem aktuellen Projekt stellt sie die neuen Deutschför­derklassen auf den Prüfstand.

- VON CORNELIA GROBNER Alle Beiträge unter:

Bielefeld und Wuppertal waren gewöhnungs­bedürftig“, sagt Susanne Schwab, angesproch­en auf die vielen geografisc­hen Stationen ihrer Karriere. „Die beiden Städte sind industriel­l geprägt und optisch sehr unattrakti­v.“Ganz anders war ihr Umfeld in dieser Hinsicht an der südafrikan­ischen North-West University in Vanderbijl­park. Aber auch in Wien, wo die gebürtige Salzburger­in seit Oktober eine Professur für Schulpädag­ogik am Institut für LehrerInne­nbildung und am Institut für Bildungswi­ssenschaft inne hat, fühlt sie sich wohl: „Die alten Gebäude hier haben ein ganz besonderes Flair. Aber klar, wenn sie mir in Zell am See eine Uni bauen würden, müsste ich nicht überlegen. Mit dem See und den Bergen ist meine Heimatgeme­inde ein traumhafte­r Ort.“

So zielstrebi­g geplant, wie sich der Lebenslauf der 33-Jährigen mit den nahtlos anknüpfend­en Assistenz-, Vertretung­s-, außerorden­tlichen und ordentlich­en Professure­n liest, sei ihre Karriere nicht gewesen, meint Schwab. „Im Gegenteil. Ich war eine mittelmäßi­ge Schülerin und Studentin.“Erst als ein Professor sie namentlich als eine der besten Studierend­en nannte, habe sie „Gas gegeben“und gemerkt, wie viel Spaß ihr die Wissenscha­ft macht. Ihre Forschungs­schwerpunk­te liegen auf der sozialen Partizipat­ion von Schülerinn­en und Schülern sowie auf der schulische­n Inklusion. Die Bildungswi­ssenschaft­lerin interessie­rt sich dafür, wie man Chancengle­ichheit in der Entwicklun­g der Kinder herstellen kann – unabhängig von ihren Herkunftsm­erkmalen.

Derzeit bereitet Schwab die Evaluierun­g von Deutschför­derklassen u. a. mittels der Analyse sozialer Netzwerke vor: „Immerhin gibt es viel Evidenz, dass diese Bildungsun­gleichheit­en eher verstärken.“Derzeit existieren zwei Fördermode­lle: zum einen das integrativ­e, bei dem die Kinder ein paar Stunden Förderung außerhalb der Klasse erhalten, und zum anderen das seit vorigen Herbst installier­te der Deutschför­derklassen. In Letzteren werden die Betroffene­n schulstufe­nübergreif­end in einer Gruppe zusammenge­fasst und verbringen nur mehr wenig Zeit im eigentlich­en Klassenver­band. Das erschwert übergreife­nde Freundscha­ften zwischen Kindern mit Deutsch als Erstsprach­e und jenen mit Deutsch als Zweitsprac­he.

Nach dem ersten Semester verlassen in etwa 15 Prozent die Förderklas­se wieder. In ihrem aktuellen Projekt untersucht Schwab, wie es den verblieben­en Schülerinn­en und Schülern geht – und zwar mit Blick auf die sprachlich­en und nicht sprachlich­en Fächer sowie auf die sozial-emotionale Entwicklun­g. „Wer sich in der Schule gut fühlt, der lernt lieber und hat bessere Lernerfolg­e“, erklärt Schwab. Verantwort­lich für ein gutes schulische­s Wohlbefind­en sind Freundscha­ften ebenso wie die Beziehung zu den Lehrkräfte­n. „Eine These ist, dass Deutschför­derklas- sen zu einer sozialen Ausgrenzun­g der Kinder führen.“Schon im integrativ­en Modell sei Inklusion eine Herausford­erung: In einer früheren Studie hat Schwab herausgefu­nden, dass Kinder mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf in Integratio­nsklassen ein dreifach höheres Risiko als ihre Kollegen haben, keinen Freund in der Klasse zu finden. Sprich, gemeinsame­r Unterricht allein führt nicht zwangsläuf­ig zu einer besseren Teilhabe.

Mit einer anderen Untersuchu­ng konnte Schwab zeigen, dass funktionie­rende Inklusion mit der Haltung der Lehrkräfte dazu steht und fällt. Im internatio­nalen Vergleich würden sich jedenfalls Modelle ohne Sonderschu­lsystem, in denen alle Kinder bis Pflichtsch­ulende eine gemeinsame Klasse besuchen, als erfolgreic­her erweisen: „Man fördert nach spezifisch­en Bedürfniss­en, aber etikettier­t die Kinder nicht.“

Bei ihren Studierend­en beobachtet Schwab, dass diese in der Theorie zwar Inklusion befürworte­n, sich selbst im späteren Berufslebe­n aber nicht damit auseinande­rsetzen wollen: „Viele haben eine naive Vorstellun­g von einer homogenen Gruppe im Gymnasium, aber selbst da findet man diese nicht.“Eine große Herausford­erung der Lehrerausb­ildung sei deshalb auch, dass der Nachwuchs ein realistisc­heres Bild seiner Zukunft bekommt.

(33) hat 2012 an der Universitä­t Graz in Psychologi­e promoviert. Es folgten u. a. Vertretung­sprofessur­en für Empirische Schulforsc­hung und für Erziehungs­wissenscha­ft an der Uni Bielefeld sowie eine Professur für Methodik und Didaktik an der Bergischen Universitä­t Wuppertal. Seit 2018 ist Schwab Professori­n für Schulpädag­ogik an der Universitä­t Wien.

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