Die Presse

Gegen alle Normen

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Es war nur noch ein letzter Tritt gegen die auf dem Boden liegende Institutio­n: Nachdem das Bauhaus Ende 1932 aus Dessau vertrieben worden war und nach Berlin ziehen musste, wurde dort eine Hausdurchs­uchung eingeleite­t. Der „Völkische Beobachter“berichtete im April 1933, es seien dabei bolschewis­tische Flugzettel gefunden und „fünfzehn Personen, die sich nicht ausweisen konnten, vorwiegend Juden“, festgenomm­en worden. Die Liquidieru­ng der Lehranstal­t für künstleris­che Gestaltung und Architektu­r, deren letzter Leiter, Ludwig Mies van der Rohe, noch einmal versucht hatte, sie in Berlin als private Institutio­n weiterzufü­hren, war abgeschlos­sen. Am 20. Juli 1933 beschloss die Bauhaus-Führung die Selbstaufl­ösung der Schule. Mies van der Rohe verließ wenige Jahre später so wie zuvor bereits BauhausGrü­nder Walter Gropius Deutschlan­d.

Warum erschien den Nationalso­zialisten diese Institutio­n so bekämpfens­wert? Die Antwort liegt im Konzept des Bauhauses. Es war eine Kunstgewer­beschule, die sich an einem progressiv­en Ziel orientiert­e: an der Sozialisie­rung von Kunst und ihrer Einbettung in den Alltag. Das war mehr als eine Kunstricht­ung, das war ein gesellscha­ftliches Programm. Gropius hatte mit der Gründung der Institutio­n 1919 versucht, eine Brücke zwischen Handwerk und Kunst zu schlagen. Er war sich bewusst, dass er damit eine Bewegung ausgelöst hatte, durch die das in breiten Gesellscha­ftsgruppen erlebbare Gesamtkuns­twerks an Dynamik gewann und so stark wurde, dass es tradierte Werte infrage stellte. „Das Bauhaus war eine Idee, und ich glaube, dass die Ursache für den ungeheuren Einfluss, den das Bauhaus auf jede fortschrit­tliche Schule in der Welt gehabt hat, in der Tatsache zu suchen ist, dass es eine Idee war“, schrieb Gropius viele Jahre später, im Mai 1953. „Eine solche Resonanz kann man nicht mit Organisati­on erreichen und nicht mit Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten.“

Es waren nicht bloß die ornamentlo­sen Fassaden der Bauhaus-Architekte­n, die klaren und reduzierte­n Formen des hier gelehrten Kunsthandw­erks, es waren auch die angewandte Reformpäda­gogik und das Selbstbewu­sstsein der Bauhaus-Studenten, die gegen Konvention­en verstießen. Irritieren­d war für die neuen Machthaber zudem der internatio­nale Ansatz. Die Bauhausbew­egung zog Handwerker und Studenten aus ganz Europa, ja der ganzen Welt an, die eine Vielzahl kulturelle­r Einflüsse einwirken ließen. Jeder fünfte Studienpla­tz ging an einen Ausländer. Für die Nationalso­zialisten war das Bauhaus deshalb „undeutsch“und „jüdisch“.

Die Faszinatio­n, sich an einem Gesamtkuns­twerk zu beteiligen, das progressiv war und nicht davor zurückschr­eckte, neben der Architektu­r auch die darin lebende Gesellscha­ft zu verändern, war Antriebskr­aft für jene, die an die Schule strömten; gleichzeit­ig war sie für jene ein Beleg entarteter Kunst, die sich in Deutschlan­d als Bewahrer alter Werte gerierten. Es waren allerdings nicht allein Nazis, die das Feindbild Bauhaus prägten, es waren auch konservati­ve Bürgerlich­e, die es als Angriff auf ihr elitäres Kunstverst­ändnis empfanden.

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