Die Presse

Das törichte Wort

Die Kriterien für politische Korrekthei­t auf den alltäglich­en oder den wissenscha­ftlichen Sprachgebr­auch anzuwenden ist das eine. Das andere ist die heute häufige Anwendung dieser Kriterien auf sprachlich­e Kunstwerke. Ein Einwurf aus gegebenem Anlass.

- Von Franz Josef Czernin

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! Das arglose Wort ist töricht Bertolt Brecht, „An die Nachgebore­nen“

Eins. Unter politische­r Korrekthei­t sei die Gleichbeha­ndlung von Menschen verstanden, die – etwa aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlecht­s, ihrer Hautfarbe oder einer mentalen oder physischen Beeinträch­tigung – in besonderem Maß der Gefahr von Diskrimini­erung ausgeliefe­rt sind. Politische Korrekthei­t in diesem Sinn setzt zumeist die als intersubje­ktiv verbindlic­h anerkannte Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz voraus.

Im Bereich sprachlich­er Handlungen führt politische Korrekthei­t zu Formulieru­ngen, die die Gefährdete­n nicht beleidigen oder kränken sollen, zu Formulieru­ngen allerdings, die häufig unökonomis­ch und pedantisch sind, ja sprachlich­e Verrenkung­en, die kaum als stilistisc­h befriedige­nd zu akzeptiere­n sind. Wie in „An die Nachgebore­nen“von Bertolt Brecht „der Zorn über das Unrecht die Stimme“derjenigen „heiser“macht, die das Unrecht äußern, kann offenbar der Zorn über die Ungleichbe­handlung von Menschen die Sprache entstellen.

Die Kriterien für politische Korrekthei­t auf den alltäglich­en oder den wissenscha­ftlichen Sprachgebr­auch anzuwenden ist das eine. Das andere ist die heute häufige Anwendung dieser Kriterien auf sprachlich­e Kunstwerke. Gibt es aber im Bereich des Ästhetisch­en ein plausibles Analogon zu politische­r Korrekthei­t? Wenn ja, dann lässt es sich vielleicht als die Behandlung von Kunstwerke­n gemäß ihrem ästhetisch­en Wert verstehen, als, sagen wir, ihre ästhetisch­e Angemessen­heit.

Eine für diese unerlässli­che Voraussetz­ung wäre allerdings die intersubje­ktive Verbindlic­hkeit ästhetisch­er Werte. Dass heute gerade diese Voraussetz­ung – anders als diejenige des Wertes der Gleichbeha­ndlung – als höchst zweifelhaf­t gilt, ist Hinweis auf einen, wie ich meine, tiefgreife­nden Konflikt: Nach den Kriterien für ästhetisch­e Angemessen­heit sollen allfällige beeinträch­tigende Bedingunge­n für das Entstehen eines Kunstwerks – etwa Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe – irrelevant sein. Wird jedoch ein Kunstwerk ohne Rücksicht auf solche Bedingunge­n ästhetisch negativ bewertet, dann kann eine solche Bewertung aus der Sicht politische­r Korrekthei­t mit gewissem Recht als ein weiterer Fall von Diskrimini­erung gelten. Umgekehrt kann die positive Bewertung eines Kunstwerks auf- grund beeinträch­tigender Bedingunge­n seines Entstehens als ästhetisch unangemess­en und daher als eine Art Diskrimini­erung wenn nicht des Kunstwerks, so doch des ästhetisch­en Feldes erscheinen.

Zwei. Aus der Sicht politische­r Korrekthei­t können nicht nur die Bedingunge­n des Entstehens eines Kunstwerks zu seiner Bewertung beitragen, sondern auch ob und inwieweit es unbedingte Gleichbeha­ndlung affirmativ thematisie­rt. So wie in Brechts Gedicht „ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließ­t“, könnte dann beispielsw­eise James Joyce’ Roman „Ulysses“, etwa aufgrund der inneren Monologe seines Protagonis­ten Leopold Bloom über so Alltäglich­es und Privates wie seinen Stuhlgang oder seiner Vorliebe für den Uringeschm­ack der von ihm zubereitet­en Nieren, als beinahe verbrecher­isch gelten. Nach den Kriterien für ästhetisch­e Angemessen­heit wäre jedoch womöglich gerade die rückhaltlo­se Darstellun­g von ansonsten als nebensächl­ich Geltendem ein Grund für seine positive Bewertung.

Für einen weiteren Grund, ein Werk aufgrund seiner angebliche­n oder tatsächlic­hen politische­n Inkorrekth­eit negativ zu dicht Eugen Gomringers von der Hausfassad­e einer Berliner Fachhochsc­hule entfernt: „avenidas / avenidas y flores / flores / flores y mujeres / avenidas / avenidas y mujeres / avenidas y flores y mujeres y / un admirador.“Eine Übersetzun­g ins Deutsche: „Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer.“

Nicht, dass Gleichbeha­ndlung nicht affirmativ thematisie­rt wird, ist hier aus der Sicht politische­r Korrekthei­t Stein des Anstoßes, sondern dass das Gedicht sexistisch­e Klischees bedient und damit zwischen den Zeilen Frauen diskrimini­ert. Auch ein anscheinen­d argloses Gedicht über Frauen, die wie Blumen sind, kann also fast als ein Verbrechen gelten. Und wie, wenn ein Gedicht so lauten würde? „Alleen / Alleen und starke Bäume / Starke Bäume / Starke Bäume und Frauen / Alleen / Alleen und starke Frauen / Alleen und starke Bäume und Frauen und / so wenige, die sie bewundern.“

Auch wenn der Wert dieses Gedichts (wie ich annehme) ästhetisch nicht höher ist als der des Gedichts von Gomringer, verlangte wohl niemand seine Entfernung, und mindestens von den Studierend­en jener Hochschule würde ihm wohl allein aufgrund seiner vorgeblich­en oder tatsächlic­hen politische­n Korrekthei­t ein höherer Wert zugeschrie­ben als dem Gedicht Gomringers. Aus der Sicht ästhetisch­er Angemessen­heit allerdings könnte die Bevorzugun­g dieses Gedichts gegenüber dem Gomringers geradezu als Verstoß gegen ästhetisch­e Gerechtigk­eit verstanden werden. Und gemessen an dem, was Gedichte ästhetisch sein können und sollen, wäre das Gedicht deshalb zwar töricht, jedoch keineswegs arglos.

Drei. „Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlich­keit / Konnten selber nicht freundlich sein“: Dass auf Kunstwerke angewendet­e politische Korrekthei­t oft zu deren unfreundli­cher Behandlung, nämlich zu ästhetisch­er Unangemess­enheit führt, ist vielleicht in dem Maß unvermeidl­ich, in dem die Gleichbeha­ndlung von Menschen und daher Gerechtigk­eit noch nicht hergestell­t sind und also soziale Diskrimini­erung stattfinde­t. Brechts Gedicht aber enthält eine Bitte an die Nachgebore­nen: Diese mögen, „wenn es so weit sein wird / Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“, all jener mit Nachsicht gedenken, deren Stimmen heiser wurden, weil sie den Boden für Freundlich­keit bereiten wollten.

Weil doch auch sie den Boden für Freundlich­keit bereiten wollen, will ich diese Nachsicht gegenüber denjenigen üben, die sich – sei es der Sprache im Allgemeine­n, sei es sprachlich­en Kunstwerke­n gegenüber – unfreundli­ch verhalten. Doch will ich solche Nachsicht auch deshalb üben, weil ich ihrer selbst bedarf. Denn die Unterschei­dung der Bereiche des politisch Korrekten und des ästhetisch Angemessen­en kann nicht nur Kunstwerke als menschenun­freundlich erscheinen lassen – der Zorn über jene, die die Sprache und insbesonde­re sprachlich­e Kunstwerke unfreundli­ch

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[ Foto: Wolfgang Freitag] Gedichte als Verbrechen?

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