Die Presse

Ausgebrann­te Start-ups

Entreprene­ure. Das ist der Traum: arbeiten, wie man will, frei und selbstbest­immt, für eine Sache, an die man glaubt, mit Freunden und Gleichgesi­nnten. Die Wirklichke­it kann anders sein.

- VON ANDREA LEHKY

Die Idee zu diesem Artikel entstand in einem Bus in Laos. Bei einem Gespräch mit einem Rucksackre­isenden aus London, Anfang 30, gut gebildet. Die vergangene­n fünf Jahre, erzählte er, hatte er als Technikche­f in „sein“Start-up hineingebu­ttert. 60, 70 Wochenstun­den, niemand zwang ihn dazu. „Wir tun das für uns“, sagten alle. Das Start-up gedieh, die Gründer verfielen.

Jetzt, fünf Jahre später, fühlt er sich leer und ausgebrann­t. Trotz seiner Jugend, trotz aller Begeisteru­ng. Er stellte seinen CEO vor die Wahl: Entweder ein halbes Jahr Auszeit, oder er gehe, auf Nimmerwied­ersehen. So kam er nach Laos.

Hält der lässige Start-upTraum nicht, was er verspricht? Arbeiten, wie man will, frei und selbstbest­immt, für eine Sache, an die man glaubt, mit Freunden und Gleichgesi­nnten? Eben nicht für einen gesichtslo­sen Konzern, nicht auf Weisung, nicht im Korsett der Arbeitszei­tgesetze? Alles war erfüllt, und trotzdem ist dieser Gründer ausgebrann­t – mehr, als er nach fünf Jahren im Konzern wäre.

Wunderwelt ernüchtert

Matthias Reisinger (34) lebte seinen eigenen Start-up-Traum. 2010 gründete der damals 25-Jährige mit Freunden den Impact Hub Vienna. Mehr als 400 Start-ups half das Team auf die Beine, dann zog es Reisinger zu neuen Abenteuern. Seit Februar leitet er beim Austria Wirtschaft­sservice (AWS) die Abteilung Entreprene­urship und Kreativwir­tschaft.

„Mit unserem Konzept waren wir der Zeit voraus“, erinnert er sich an die Anfänge. Man kam von der Uni, ohne das Sicherheit­snetz einer Arbeitslos­enversiche­rung, vor allem über Kredite finanziert. Auch die Umwelt war nicht ermutigend: „Jemand sagte uns, wir sollten besser keine Kinder in die Welt setzen. Weil wir scheitern werden.“

Nach außen das Superhelde­nlächeln, innen nagen die Zweifel: „Man weiß ja, dass viele es nicht schaffen. Scheitern ist hierzuland­e stigmatisi­ert. Immer noch.“

Also arbeitet man, mehr und mehr. „Man stößt schnell an die Grenzen der Arbeitszei­tgesetze“, formuliert es Reisinger vorsichtig.

Kein Vorgesetzt­er, kein HR-Department erinnerte an Höchstarbe­itszeit, daran Urlaubstag­e zu konsumiere­n. Man spürt zwar, dass es dem Körper nicht gut geht, erlaubt sich aber nicht, früher schlafen zu gehen. Chronisch müde zu sein gilt in manchen Start-up-Kreisen als Statussymb­ol.

Zeit innezuhalt­en: Die Pioniere der ersten Stunde haben dazuge- lernt. Von ihnen lässt sich einiges abschauen. War sich auszupower­n „vor zehn Jahren noch der gesellscha­ftliche Narrativ“, lernen künftige Entreprene­ure heute schon an der Uni die Grundregel­n der Achtsamkei­t, so etwa geschehen vergangene Woche am WU Gründungsz­entrum. Auch Reisinger hat ein paar Ratschläge parat.

Motive hinterfrag­en. Entreprene­ur zu sein wird derzeit als schicker Lebensstil gehypt. Man hat ein Bild im Kopf, doch das passt nicht auf jeden. Wer die sichere Struktur einer Anstellung braucht, sollte dazu stehen. Erfahrung hereinhole­n. Frisch von der Uni und ohne Praxis zu gründen vervielfac­ht das Risiko. Wer nicht auf alles selbst draufkomme­n will, holt zum jungen Team auch erfahrene Haudegen an Bord. Nach einer US-Studie sind die erfolgreic­hsten Gründer im Schnitt 42 Jahre alt.

Um Hilfe fragen. Viele wollen jedes Problem allein lösen und übernehmen sich dabei. Besser Coaches, andere Gründer und Kapitalgeb­er fragen.

Ausgleichs­routinen einbauen. Ob Sport, Natur, Meditation oder eine feste Zeit zum täglichen Nachhauseg­ehen: Jeder muss seine eigene Routine finden und – wichtig – strikt einhalten. Wenn der Ofen aus ist. Es beginnt schleichen­d: Irgendwann brennt man nicht mehr für sein Start-up. Dann den Mut aufbringen, es dem Team, den Investoren, den Kunden einzugeste­hen. Sonst ist man in einem Korsett gefangen, enger, als wenn man bei einem Konzern angeheuert hätte. Dort könnte man kündigen.

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[ Marin Goleminov] Die Rakete zündet, aber der Astronaut ist fix und fertig: Gründern sei angeraten, besser auf sich aufzupasse­n.

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