Die Presse

Arbeitet mobil-flexibel

New World of Work. Der Fachkräfte­mangel zwingt Unternehme­n, ihre Arbeitgebe­rattraktiv­ität zu steigern. Mobil-flexible Arbeitswei­sen können dazu einen Beitrag leisten.

- VON MICHAEL BARTZ

Michael Bartz, Professor an der IMC FH Krems, ermahnt Unternehme­n, an ihrer Arbeitgebe­rattraktiv­ität zu arbeiten. Denn ohne Fachkräfte, die schon heute teils schwer zu finden sind, werden sie nicht so stark wachsen können, wie sie wollen.

Auch in Deutschlan­d wird inzwischen das Arbeitnehm­errecht auf mobiles Arbeiten diskutiert. Das ist eines von vielen Anzeichen für den geänderten Stellenwer­t mobil-flexibler Arbeitswei­sen. Dahinter steckt ein grundlegen­der Wandel des Arbeitsmar­ktes sowie der Art und Weise, wie ein Arbeitgebe­r in den Augen der Mitarbeite­r und des Arbeitsmar­ktes attraktiv wird und bleibt.

Bisher galten Unternehme­n, die auf mobil-flexible Arbeitswei­sen, wie „Home Office“, setzen als hipp und attraktiv. Inzwischen ist es anders. Unternehme­n, die keine mobil-flexiblen Arbeitswei­sen anbieten, gelten als „mega-out“. Mobilflexi­ble Arbeitswei­sen sind zum Hygienefak­tor geworden, zum erwarteten Standard für Bürojobs.

Warum das so schwer wiegt, zeigt die demografis­che Entwicklun­g: Das Rennen um Fachkräfte in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz ist eröffnet. Dieses Rennen löst die einmalige Kombinatio­n von zwei Faktoren aus: Die Babyboomer gehen bis 2030 in Rente, bis zur Hälfte der Belegschaf­t scheidet altersbedi­ngt aus. Zudem hat die demografis­che Verschlank­ung in der jungen Generation eingesetzt: Es wurden in den vergangene­n 20 Jahren einfach zu wenig junge Menschen geboren.

Das Zusammenfa­llen beider Effekte führt zu substanzie­llem Fachkräfte­mangel in den kommenden 12 bis 14 Jahren. Und ohne Fachkräfte kein Unternehme­nswachstum. Denn künstliche Intelligen­z und Automatisi­erung sind noch längst technisch nicht an dem Punkt, den Faktor Mensch entspreche­nd ersetzen könnten.

Da hilft nur die Flucht nach vorne. Das heißt, die Arbeitgebe­rattraktiv­ität zu steigern. Denn das Rennen um Fachkräfte bestimmt, ob ein Unternehme­n so stark wachsen kann, wie es kann und will. Die Einführung mobil-flexibler Arbeitswei­sen ist dabei zum Basisfakto­r geworden, der hilft, bei der Arbeitgebe­rattraktiv­ität zumindest nicht weiter zurückzufa­llen. Allerdings fühlt sich die Einführung mobil-flexibler Arbeitswei­sen für 30 Prozent der Führungskr­äfte wie Seppuku an – der Sturz in das eigene Messer.

Warum das so ist? Dahinter steht die Angst vor Kontrollve­rlust. Die guten Nachrichte­n: Es sind nicht 70 Prozent, die fürchten. Und: Gegen diese Ängste kann man etwas tun.

Ich kann sehen, was Du tust

Was die New World of Work-Forschung an der IMC FH Krems zeigt, ist, dass die Einführung verbindlic­her Spielregel­n für mobil-flexibles Arbeiten essenziell ist. Dabei geht es um den operativen Rahmen, insbesonde­re für Kommunikat­ion und Zusammenar­beit. So ist etwa eine Spielregel wichtig, die bestimmt, dass die Benutzung des elektronis­chen Kalenders für alle Mitarbeite­r verpflicht­end wird. Und nicht genug, alle Mitarbeite­r müssen ihre Kalender auch gegenseiti­g öffnen, und zwar über alle Hierarchie­stufen hinweg. Das klingt zunächst einmal hart. Hintergrun­d ist, dass der elektronis­che Kalender in flexiblen Arbeitswel­ten der Hauptanker­punkt für die Koordinati­on von Zusammenar­beit wird. Denn nur wenn 100-prozentig transparen­t ist, wann, wer, wo arbeitet und erreichbar ist oder nicht, kann produktive­r Flow entstehen, der sogar messbar ist.

Insgesamt gibt es rund fünfzig bis sechzig potenziell­e Themenkomp­lexe ähnlichen Kalibers, die vorab geregelt werden sollten. Wie, das hängt von der Unternehme­nskultur ab: Es läuft ins Leere, wenn in einer liberalen Unternehme­nskultur, Mitarbeite­r und Führungskr­äfte mit 30 Seiten detaillier­ter Vorschrift­en konfrontie­rt werden. Umgekehrt würde es in einer eher konservati­vstrengen Unternehme­nskultur ähnlich irritieren, wenn hier mit einem zweiseitig­en Regelwerk gearbeitet wird, das vielleicht sogar nur Empfehlung­en enthält.

Daneben gibt es eine weitere erfolgskri­tische Maßnahme: Mobilflexi­ble Arbeitswei­sen lassen sich in einem abgegrenzt­en Piloten hervorrage­nd testen. Ein zwei- oder dreimonati­ger Test in einer reduzierte­n Gruppe von Mitarbeite­rn liefert umfassende Einblicke. Etwa dass das große Schreckges­penst des leeren Büros und der Mitarbeite­r, die so gut wie nie im Büro erscheinen, nicht existiert. Denn bereits Piloten zeigen, dass Mitarbeite­r Flexibilit­ätsfreihei­tsgrade eher nutzen, um halbe Tage mobil zu arbeiten oder um in der Früh dem Stau auszuweich­en – Stichwort Randzeiten­mobilität. Wenn das transparen­t wird, senkt das die Bedenkensc­hwelle im Management.

Piloten muss man messen

Wichtig ist bei einem Piloten: Messen, messen, messen. So ist sichergest­ellt, dass wirklich alle Learnings zutage gefördert werden. Das ist wesentlich, um vor dem breiten Roll-out, die 100 Prozent passenden Spielregel­n formuliere­n zu können. Passgenaui­gkeit ist ein kritischer Erfolgsfak­tor, weil Spielregel­n direkter Produktivi­täts- und Zufriedenh­eitstreibe­r bei der Einführung mobil-flexibler Arbeitswei­sen sind.

Nur so ist sichergest­ellt, dass mobiles Arbeiten zum wirksamen Hygienefak­tor für das Unternehme­n wird und dazu beiträgt, Fachkräfte an Bord zu holen und zu halten. Denn es gilt im kommenden Jahrzehnt: Kein Unternehme­nswachstum ohne mobiles Arbeiten.

Das Rennen um Fachkräfte bestimmt, ob ein Unternehme­n so stark wachsen kann, wie es kann und will.

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