Die Presse

„Wir können nicht alle bei Google arbeiten“

Interview. Nur wenige Superstar-Unternehme­n räumen bei der Digitalisi­erung groß ab. Sie horten Gewinne und die besten Köpfe. Das schadet dem Einzelnen, warnt der Ökonom Jens Südekum. Was wir verdienen, liegt kaum noch in unserer Hand.

- VON MATTHIAS AUER

Die Presse: Macht Donald Trump mit seiner radikalen Wirtschaft­spolitik derzeit alles richtig? Jens Südekum: Er macht es auf jeden Fall clever. Er hat einen Handelskri­eg vom Zaun gebrochen und überdeckt jetzt den Schaden für die USA mit einem massiven Ausgabenpr­ogramm. Wenn er bis zum Ende seiner Amtszeit so viel Geld ausgeben kann, halst er die Probleme seinen Nachfolger­n auf.

Gewonnen hat er die Wahlen mit dem Verspreche­n, den Abgehängte­n der Globalisie­rung etwas zurückzuge­ben. Sie fordern im Grunde Ähnliches. Das stimmt. Ich kann verstehen, dass viele aus der weißen Arbeitersc­haft im Rust Belt Trump toll finden. Aber sie profitiere­n von seiner Politik nicht. Protektion­ismus bringt langfristi­g keine Jobs zurück. Die Kompensati­onspolitik, die ich fordere, lehnt Trump ab. Es gab in den USA ein Programm, das genau für Industriea­rbeiter zugeschnit­ten war, die durch die Globalisie­rung ihren Job verloren haben. Und das hat er abgedreht.

Länder wie Deutschlan­d und Österreich sind große Gewinner des Freihandel­s. Denken auch wir zu wenig über die Verlierer nach? China hat in der Frühphase seiner Entwicklun­g die Weltmärkte bei einfachen Produkten aufgerollt. In den 1990er-Jahren war jedes T-Shirt made in China. Da gab es auch in Österreich Branchen und Regionen, die untergegan­gen sind. In Ländern wie Großbritan­nien und den USA wurden diese Menschen sich selbst überlassen. Die Industrie brach zusammen, Detroit verlor die Hälfte seiner Einwohner. Österreich war klüger und hat früh auf Regionalpo­litik gesetzt.

Haben sich die Ökonomen in dem Fall geirrt? Nach der reinen Lehre hätte jeder, der seinen Job in der Textilwirt­schaft verloren hat, einen besseren in einer anderen Branche finden müssen. Ja, das ist die Lehrbuchth­eorie. Aber wir wissen heute, dass die Welt so nicht funktionie­rt. Theoretisc­h hätten die Textilarbe­iter in der Autobranch­e landen müssen. Praktisch blieben sie arbeitslos oder mussten Billigjobs annehmen. Deutschlan­d und Österreich haben wenigstens ein Stück weit Hilfestell­ung geleistet. Damals wurden sie stark kritisiert. Heute ist aber genau das ein Grund, warum wir hier keine so starke Bewegung gegen die Globalisie­rung sehen wie in den USA.

Was halten Sie von der Idee, wirtschaft­lich schwächere Regionen aussterben zu lassen statt sie künstlich am Leben zu halten? Der Spruch „Geht dahin, wo die Jobs sind“, ist zynisch. Das hört sich so an, als wären alle Menschen perfekt mobil. Aus der Empirie wissen wir: Weit mehr als die Hälfte aller Menschen zieht nicht um. Sie verbringen ihr ganzes Erwerbsleb­en an einem Ort. Oft ist das der Geburtsort der Eltern. Junge Uni-Abgänger sind mobil und reagieren auf Probleme, indem sie woanders hingehen. Die Problemfäl­le auf dem Arbeitsmar­kt sind nicht so mobil. Wir brauchen einen guten Kompromiss zwischen dem Zug in die Großstädte und der Heimatverb­undenheit der Menschen.

Nach der Globalisie­rung wartet mit der Digitalisi­erung gleich der nächste Schock auf Arbeitsmar­kt und Regionen. Wie bereiten wir uns darauf vor? Was früher die Globalisie­rung war, ist heute die Digitalisi­erung. Im Schnitt wird die Gesellscha­ft auch diesmal gewinnen. Aber nur, weil ein paar wenige Gruppen sehr viel gewinnen und der Rest tendenziel­l leicht verliert. Wie geht man jetzt mit den Verlierern um? Europa und Österreich müssen die Potenziale für die Provinz nützen. Programmie­rer und Web-Designer werden zwar eher in Wien sitzen. Aber neue Technologi­en erlauben es auch, dass man Industriep­roduktion, die in den Neunzigern stark verlagert wurde, zurückholt. Die werden typischerw­eise nicht in den Großstädte­n stehen. Das ist eine Chance für die Peripherie. Europa hofft ja auf den großen Produktivi­tätsturbo durch die Digitalisi­erung. Wie hoch ist die Chance, dass die breite Masse der Unternehme­n profitiert? Das ist das Paradoxe. Wir reden von der Digitalisi­erung, überall sieht man Computer, nur in der Produktivi­tätsstatis­tik nicht. Denn wirklich gewonnen haben nur ein paar wenige Superstarf­irmen. Bei ihnen sind die Gewinnmarg­en enorm gewachsen, nicht aber beim Großteil der Unternehme­n. Das Muster kennen wir: Neue Technologi­en schaden immer denen am meisten, die sie nicht einsetzen. Wir brauchen Spitzeninn­ovation, aber die Innovation muss auch nach unten finden.

Wie wirkt sich das auf den Einzelnen aus? Es hat sich ein interessan­tes Muster herausgebi­ldet: Wie viel ich verdiene, hängt nicht mehr nur von mir selbst ab. Also was ich studiert habe, welche Erfahrung ich habe. Wie viel ich verdiene, hängt immer stärker davon ab, für wen ich arbeite. Google zahlt deutlich besser als andere, zieht darum die besten Mitarbeite­r an und wird noch produktive­r. Dabei beteiligt Google seine Mitarbeite­r aber viel schlechter am Umsatz als ein typischer Mittelstän­dler. Das ist eine Erklärung für die steigenden Profitmarg­en in den besten Firmen. Aber wir können nicht alle bei Google arbeiten. Das Ziel muss also sein, Produktivi­tätswachst­um und damit Einkommens­wachstum in der Breite zu erreichen.

Wie kann das gelingen? Die Industrier­oboter haben die Produktivi­tät stark gesteigert. Aber der Durchschni­ttslohn ist kaum gestiegen. Das Gros der Gewinne ist bei den Besitzern der Roboter angefallen. Wenn sich das bei Technologi­en wie der künstliche­n Intelligen­z wiederholt, wird es gesellscha­ftlich ungemütlic­h. Darum fordere ich, die Profite breiter zu streuen. Dabei reicht es nicht, dass wir alle zu Aktionären machen. Die unteren 50 Prozent haben heute schon kein Geld, das sie sparen könnten. Dort verpuffen Steueranre­ize zum Aktienkauf. Stattdesse­n könnte der Staat für sie investiere­n. Etwa über einen Staatsfond­s, der Aktien kauft, von den globalen Gewinnzuwä­chsen profitiert und dann umverteilt.

Also eine Art Grundeinko­mmen? Ich bin ein Gegner des bedingungs­losen Grundeinko­mmens. Wenn die Menschen nur noch als Konsumente­n funktionie­ren dürfen, ist das ein fatales Signal. Da wäre es aus meiner Sicht klüger, das Geld für Bildungsin­vestitione­n oder für die Stabilisie­rung der Pensionska­ssen zu verwenden.

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[ C.Kauffmann] Ein Grundeinko­mmen lehnt Südekum ab: „Es wäre fatal, wenn Menschen nur noch als Konsumente­n funktionie­ren dürfen.“

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