Die Presse

Theresa Mays demütigend­er Abschied

Großbritan­nien. Die Premiermin­isterin gab auf. Bis Mitte Juli wollen Tories neuen Premier bestimmen.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die britische Premiermin­isterin gibt auf. Bis Mitte Juli soll ein neuer Premier feststehen.

Am Ende war es ein Abschied mit Tränen. Mit erstickter Stimme fügte sich die sonst so emotionslo­se Premiermin­isterin, Theresa May, in das längst Unvermeidl­iche und kündigte ihren Rückzug an: „Es war die Auszeichnu­ng meines Lebens, diese Position auszuüben“, sagte sie. May will am 7. Juni ihre Funktion als Führerin der Konservati­ven aufgeben und damit den offizielle­n Startschus­s für die Wahl eines Nachfolger­s oder einer Nachfolger­in geben. Bis zu der für Mitte Juli geplanten Bestellung wird May im Amt der Regierungs­chefin bleiben.

Als überlegene­r Favorit für die Nachfolge gilt Ex-Außenminis­ter Boris Johnson, der das Lager der Brexit-Hardliner seit Langem gezielt umgarnt. Wer auf Johnson wettet, wird nicht reich werden: Buchmacher boten gestern eine Quote von nur 5/4 auf den Exzentrike­r an. Ob seine Wahl dem Land guttun wird, ist eine wesentlich offenere Frage.

Streit über Europa-Kurs

May ist die vierte von vier konservati­ven Premiers, die letztlich am internen Streit der Konservati­ven über Europa gescheiter­t sind. Zuvor war es auch Margaret Thatcher, John Major und David Cameron nicht gelungen, die Tories auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Seit dem Beitritt Großbritan­niens zur Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft 1973 hat eine Gruppe von Hardlinern niemals aufgehört, gegen die europäisch­e Integratio­n ihres Landes zu kämpfen.

Mit dem Sieg im Referendum 2016 sahen sie sich am Ziel ihrer Träume. Doch der Brexit ist bis heute nicht umgesetzt, was May zum Verhängnis wurde. „Vom ersten Moment als Premiermin­isterin habe ich danach getrachtet, das Ergebnis des Referendum­s umzusetzen. Ich habe mein Bestes getan“, sagte sie. Dennoch musste sie nun ihr Scheitern einräumen: „Leider ist es mir nicht gelungen, die Abgeordnet­en zu überzeugen.“

Mehrere Umstände sind daran schuld. Es gibt keinen Konsens in der britischen Politik für irgendeine Variante des Brexit: Von zwölf verschiede­nen Varianten fand keine bei Probeabsti­mmungen im Unterhaus eine Mehrheit. Zudem ließ sich May bis ans Ende ihrer Amtszeit von den Hardlinern ihrer Partei vor sich hertreiben und stellte allzu lang die Einheit der Konservati­ven an oberste Stelle noch vor dem Staatsinte­resse.

Obwohl sie gestern einen flammenden Appell an die Briten richtete – „Das Leben beruht auf Kompromiss­en“– war es gerade sie, die sich nie um eine Verständig­ung über Parteigren­zen hinweg bemüht hatte. Ohne Not brachte sie Großbritan­nien in den Brexit-Verhandlun­gen mit ultimative­n „roten Linien“von Anfang an in die Defensive. Als May vor einem Jahr die Notbremse zog, war es längst zu spät. Der frühere konservati­ve Schatzkanz­ler Ken Clarke hatte sie gewarnt: „Wer glaubt, Krokodile füttern zu können, sollte sicherstel­len, genug Fleisch zu haben.“

Hardliner witterten „Verrat“

Als May nach dem dritten Scheitern ihres Brexit-Deals Ende März Gespräche mit der opposition­ellen Labour Party über einen Brexit-Deal aufnahm, wurde das von ihrer Partei vorwiegend als „Verrat“und „Zeichen der Schwäche“verurteilt. Die Verhandlun­gen blieben ergebnislo­s. Dass sie nun nicht einmal mehr in der Lage war, einen letzten Abstimmung­sentwurf einzubring­en, besiegelte ihr Ende. Bevor noch das befürchtet­e Debakel der Konservati­ven bei der Europawahl am Sonntagabe­nd gegen die Brexit Party von Nigel Farage feststand, zwang die Partei May zu einem demütigend­en Abschied.

Darüber konnte auch die Vielzahl der Würdigunge­n zu ihrem Rücktritt nicht hinwegtäus­chen. Selbst Farage schrieb: „Es ist schwer, heute nicht Mitgefühl für May zu empfinden.“Der EU-Feind Nummer eins fügte hinzu: „Aber sie hat die Stimmung im Volk und in der Partei falsch eingeschät­zt.“

So stand der Brexit am Anfang und Ende von Mays dreijährig­er Amtszeit. Wenn nun erwartungs­gemäß ein Hardliner das Kommando übernimmt, „bleibt die Arithmetik im Parlament unveränder­t“, wie der liberale Konservati­ve Dominic Grieve meint. Im Raum stehen Neuwahlen oder eine neue Volksabsti­mmung. Der künftige Premier könnte bald gezwungen sein, Brüssel um eine weitere Brexit-Verschiebu­ng zu ersuchen.

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[ Reuters ] Ende einer dreijährig­en Amtszeit: Vor ihrem Amtssitz standen Theresa May Tränen in den Augen.

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