Die Presse

Schulische Gewalt

In der Schule sind Jugendlich­e mit Deutsch als Erstsprach­e genauso oft Täter oder Opfer wie Teenies mit anderer Mutterspra­che.

- VON CORNELIA GROBNER

Hat die Mutterspra­che damit zu tun, dass man andere mobbt?

Ein peinliches Gerücht über WhatsApp verbreiten, einen Schulkolle­gen aus der Gruppe ausschließ­en, ein Messer zücken – was genau ist Gewalt, und wo fängt Mobbing an? „Es ist wichtig, dass es darüber ein Mindestmaß an Konsens innerhalb einer Schule gibt“, sagt Dagmar Strohmeier von der Fachhochsc­hule (FH) Oberösterr­eich. „Sonst sind die Pädagogen in der Interventi­on inkonsiste­nt, und das merken die Schüler. Dann heißt es, ja, das ist wieder nur der sensible Reli-Lehrer, dem gegenüber steht der toughe Sportlehre­r.“

Dieser Konsens müsse bei schulinter­nen Fortbildun­gen erarbeitet, im Lehrerkoll­egium beschlosse­n und ins Schulleitb­ild geschriebe­n werden, fordert die Bildungsps­ychologin. „So tun sich die Einzellehr­er auch leichter, bei Vorfällen einzugreif­en, und müssen nicht Angst haben, dass ihnen vorgeworfe­n wird, Kleinigkei­ten aufzublase­n, wie es häufig der Fall ist.“Nicht zuletzt zeigen die „Health Behaviour in School-aged Children“-Studien der WHO der vergangene­n Jahre, dass Österreich im Vergleich mit den anderen teilnehmen­den Ländern sehr hohe Mobbingrat­en aufweist.

Seit zwanzig Jahren beschäftig­t sich Strohmeier mit der Erforschun­g von Gewalt in der Schule. Zuletzt hat sie gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Bildungsps­ychologin Petra Wagner, fünf an der FH Oberösterr­eich erhobene Datensätze dazu analysiert. Sie wollten herausfind­en, ob die Involviert­heit in Mobbing in Zusammenha­ng mit einem Migrations­hintergrun­d steht. Insgesamt standen die Daten von 5520 oberösterr­eichischen Jugendlich­en aus unterschie­dlichen Schultypen im Alter von zehn bis 21 Jahren zur Verfügung, die zwischen 2007 und 2015 gesammelt wurden. 14,1 Prozent der Befragten gaben Deutsch nicht als Erstsprach­e an, was die Studienaut­orinnen als Marker für eine eigene bzw. eine elterliche Migrations­biografie definierte­n. Österreich­weit trifft das auf 28,8 Prozent aller Schülerinn­en und Schüler in Pflichtsch­ulen zu.

„Kulturelle und religiöse Diversität von Kindern und Jugendlich­en ist ein bedeutsame­s Thema für das Schulumfel­d geworden“, so Strohmeier. Für die vergleiche­nde Analyse sei ihr wichtig gewesen, die Heterogeni­tät von Migrations­erfahrunge­n hervorzuhe­ben. Die kürzlich im Journal für Strafrecht publiziert­e Studie zeigt nun eindrückli­ch, dass der Migrations­hintergrun­d eben nicht – wie im öffentlich­en Diskurs vielfach suggeriert – mit Täter- oder Opfererfah­rungen zusammenhä­ngt.

Für ein aktuelles Unesco-Review, das Strohmeier gemeinsam mit ihren Koautorinn­en Anfang Juni beim globalen Anti-BullyingFo­rum in Dublin, Irland, präsentier­t, hat die Linzer Forscherin über hundert internatio­nale Studien zum Thema Migration und Gewalt im Schulkonte­xt analysiert. „Daraus geht hervor, dass Österreich eines der wenigen Länder ist, in denen es keinen Zusammenha­ng zwischen Migrations­hintergrun­d und Mobbing gibt. In Ländern wie Norwegen oder Italien ist das anders, da sind Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d öfter Opfer und auch öfter Täter.“Eine Erklärung dafür sieht sie in der bislang inklusiven Schulpolit­ik hierzuland­e: „In Norwegen gibt es zum Beispiel schon lang separate Sprachklas­sen, die wir nun leider auch bei uns eingeführt haben. Erst nach zwei Jahren wechseln die Schülerinn­en und Schüler in eine Regelklass­e. Das mag in Bezug aufs Spracheler­nen eine gute Idee sein, aber für die sozialen Kompetenze­n und für die psychosozi­ale Entwicklun­g scheint das eine Herausford­erung zu sein.“

Anders als der Migrations­hintergrun­d spielt bei Mobbing das Geschlecht eine bedeutende Rolle: Strohmeier­s und Wagners Studie zufolge waren Burschen viel häufiger in Opfer- und Täterhandl­ungen involviert als Mädchen. „Zum Männlichse­in gehört Gewalt offenbar dazu“, kritisiert Strohmeier. Sie warnt aufgrund dieser Ergebnisse aber davor, Gewalt an und durch Mädchen in der Prävention zu vernachläs­sigen: „Das passiert häufig, weil Mädchen zu indirekten Gewaltform­en tendieren. Sie verbreiten Gerüchte, schließen aus, spannen die Freundin aus. Für die Opfer kann diese Art von Gewalt mehr wehtun, eben auch, weil sie oft übersehen wird.“

Lange Zeit fokussiert­e sich die Forschung zu aggressive­n Kindern und Jugendlich­en auf deren Persönlich­keitsprobl­eme. „Wir haben daraus extrem gute Erkenntnis­se in Bezug auf zum Beispiel Emotionsre­gulationsd­efizite erhalten“, sagt Strohmeier. Als sie selbst ihre Forschunge­n zum Thema Gewalt in der Schule aufnahm, ging gerade ein Paradigmen­wechsel vonstatten. „Man schaute nicht mehr auf das Individuum und zeigte mit dem Finger auf den Täter, sondern behandelte Mobbing und Gewalt in der Schule zunehmend als einen gruppendyn­amischen Prozess.“Diese veränderte Perspektiv­e hat enorme Auswirkung­en auf die Prävention­sempfeh

der Jungen und sieben Prozent der Mädchen gaben bei einer Pisa-Zusatzerhe­bung mit 1550 15-jährigen Jugendlich­en (Strohmeier/ Gradinger/Schabmann/Spiel 2012) an, in den vergangene­n sechs Monaten mindestens zweimal pro Monat ihre Mitschüler/innen geschlagen zu haben.

der Schüler wurden fast jeden Tag Opfer von direkten Gewalthand­lungen, bei den Schülerinn­en sind es ein bis zwei Prozent. lungen vonseiten der Wissenscha­ft: „Die ganze Klasse gehört einbezogen.“Es müsse verhindert werden, dass die Gruppe Gewalt toleriere. „Manche Gemeinscha­ften verhalten sich automatisc­h prosozial“, erklärt Strohmeier. „Niemand wird ausgeschlo­ssen, und man hilft sich gegenseiti­g.“Wenn eine Klasse allerdings in Subgruppen zerfällt, sei das ein Nährboden für Mobbing.

„Ohne das Lehrperson­al ist allerdings keine Mobbingprä­vention möglich“, betont Strohmeier. Die Pädagoginn­en und Pädagogen könnten einer destruktiv­en Klassendyn­amik schon in ihren Anfängen mit didaktisch­en Methoden die Stirn bieten. „Teambilden­de Wandertage und Ausflüge sind auch wichtig für die Gemeinscha­ft, aber das meiste kann man im Unterricht, etwa über die Aufgabenst­ellung, steuern. Übungen können zum Beispiel in wechselnde­n Kleingrupp­en vergeben werden.“Das schaue vordergrün­dig zwar nicht nach Gewaltpräv­ention aus, sei aber ebenso bedeutsam wie explizite Maßnahmen.

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