„Erpressung könnte Geschäftsmodell werden“
„Presse“–Interview. Der deutsche Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen verteidigt seine umstrittene Kritik an den Ibiza-Enthüllungen. Er warnt vor Nachahmern und Schadenfreude und meint: „Der Quellenschutz gilt hier nicht.“
Die Presse: Im Ibiza-Skandal führt eine heiße Spur zu einer privaten Sicherheitsfirma in München und zu einer Anwaltskanzlei in Wien. Überrascht? Hans-Georg Maaßen: Nicht wirklich. Ich habe es für möglich gehalten, dass die Falle nicht von einem ausländischen Geheimdienst, sondern von einer privaten Firma, die auf schmutzige Aktionen spezialisiert ist, aufgestellt worden ist. Jetzt stellt sich die Frage, wer der Auftraggeber ist.
Sie haben gleich nach Bekanntwerden des Skandals erklärt: „Für viele linke und linksextreme Aktivisten rechtfertigt der Kampf gegen rechts jedes Mittel.“Dafür sind Sie heftig kritisiert worden. Hatten Sie Hinweise auf eine Verwicklung linker Aktivisten, oder war das bloße Spekulation? Ich habe diese Äußerung nicht in Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre getätigt, sondern auf frühere Turbulenzen in der SPÖ um den dubiosen Wahlkampfberater Tal Silberstein angespielt. Und nach der Aufdeckung des Ibiza-Skandals stand auf linker und linksextremer Seite Schadenfreude im Vordergrund. Es ging aber nie um die Hintergründe. Nämlich: Wer hat das in Auftrag gegeben und bezahlt? Das ist eine wichtige Frage.
Eine wichtige Frage ist auch, ob Österreichs Vizekanzler korruptionsanfällig ist. Trotzdem haben Sie die Enthüllungen durch deutsche Medien verurteilt. Haben die Österreicher kein Recht zu erfahren, dass ein hoher Würdenträger potenziell käuflich ist? rung der Urheber mitwirken. Wer steckte hinter der Ibiza-Falle, warum wurde das Material eine Woche vor der Europawahl veröffentlicht und nicht schon 2017 vor der Nationalratswahl? War es ein politisches Motiv oder ging es ursprünglich um Geld, gab es mit dem Material Erpressungsversuche, gab es weitere Ibiza-Fallen? Der Quellenschutz gilt hier nicht.
Das Material nicht zu publizieren, obwohl es echt und relevant ist, wäre eine Bankrotterklärung des Journalismus gewesen. Dass derartige Tatsachen bekannt gemacht werden müssen, ist aus meiner Sicht klar. Eine andere Frage ist, ob man eine solche Berichterstattung aus einem anderen Land macht, ohne als Journalist zu wissen, ob und von wem man sich instrumentalisieren lässt – und das auch noch vor einer Wahl. Ich hatte diese Thematik als Verfassungsschutzpräsident übrigens mit Journalisten diskutiert. Es ging vor der Bundestagswahl 2017 um Fake News, aber auch darum, ob man Material verbreiten soll, das zwar echt ist, aber bei dem man nicht weiß, ob man vielleicht von einem ausländischen Geheimdienst instrumentalisiert wird. Die Journalisten sagten, sie würden dies aus berufsethischen Gründen nicht tun. Aber um zu wissen, dass man nicht instrumentalisiert wird, muss man die Quelle kennen. Und das scheint mir hier nicht der Fall gewesen zu sein.
Also hätten die Journalisten lieber gar nichts tun sollen? Doch. Sie hätten das Material auch der Polizei oder dem Nationalrat übergeben können. Die Linkspartei nannte Sie nach ihren ersten Einlassungen zum Ibiza-Video das „am besten bezahlte Sicherheitsrisiko im deutschen Beamtenapparat“. Die SED, die Staatspartei der DDR, die sich seit der Wiedervereinigung mehrfach umbenannt hat und jetzt als Linkspartei firmiert, wird in Teilen noch immer vom Verfassungsschutz als linksextremistische Bestrebung beobachtet. Ich kann verstehen, dass diese Menschen mich nicht mögen.
Sie haben vorhin gesagt, aufsehenerregende Erpressungen von Politikern könnten Schule machen. Wie oft kommt es vor, dass jemand mit kompromittierendem Material erpresst wird? Es kommt vor. Aber es wird selten bekannt, da sich Erpresste oftmals schämen, zur Polizei zu gehen.