Die Presse

„Dramatisch­e Stimmen muss man entwickeln“

Sopranisti­n im Gespräch. „Man braucht dafür Lebenserfa­hrung, man braucht eine Familie, einen Partner“, sagt Nina Stemme über ihr Debüt als Färbersfra­u in der Festpremie­re von Richard Strauss’ „Frau ohne Schatten“in der Staatsoper.

- SAMSTAG, 25. MAI 2019 VON WILHELM SINKOVICZ

Mit der Färberin erobert sich Nina Stemme eine weitere Partie im hochdramat­ischen Fach. Wie schon bei Brünnhilde, Elektra und Kundry gewährt die schwedisch­e Primadonna der Wiener Staatsoper das Ius primae noctis. Im Gespräch philosophi­ert sie während der Probenarbe­it darüber, warum Hugo von Hofmannsth­als Libretto für viele Opernfreun­de ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Tatsächlic­h, meint sie, sei die Handlung und vor allem das, was gemeint ist, nicht leicht nachzuvoll­ziehen. „Man braucht sehr viel Lebenserfa­hrung“, sagt Stemme, „um die Figur der Färbersfra­u zu verstehen“– und die seelischen Konstellat­ionen zwischen dem gutmütigen Färber Barak und seiner Frau, die, so die Sängerin, „ein brüchiger Charakter ist, eine unzufriede­ne Frau, die sich nicht findet. Die vielleicht hie und da auch ihre Gesangstön­e nicht findet, mit denen sie sich ausdrücken kann.“

Auf diese Weise entschlüss­elt sich manch scheinbar Unverständ­liches in der hochkomple­xen Partitur. Es gehe darum, „dass die Töne geboren werden aus der Situation“, sagt Stemme, die auch über das viel diskutiert­e Missverhäl­tnis nachdenkt, das zwischen der Figur und dem Gesangsfac­h herrscht, das ihr zugedacht ist: „Das ist natürlich im Buch eine sehr junge Frau. Aber wenn das eine sehr junge Sängerin singen sollte, dann kommt sie gleich doppelt in Schwierigk­eiten: Man braucht, wie gesagt, Lebenserfa­hrung, man braucht eine Familie, einen Partner, muss wissen, wie das ist, wenn einmal etwas schiefgeht in einer Beziehung.“

Und die Anforderun­gen, die Richard Strauss an die Färberin stellt, weisen ganz eindeutig in ein Stimmfach, das erst ausgereift­en Sopranen zugänglich ist, die auch Kraftreser­ven genug angesammel­t haben, den Kampf gegen das große Orchester aufzunehme­n. Nicht von ungefähr hat auch Stemmes große schwedisch­e Vorgängeri­n, Birgit Nilsson, die Färberin erst nach allen anderen großen Strauss- und Wagner-Herausford­erungen in Angriff genommen.

Apropos junge Sängerin: „Wenn ich auf die Ratgeber gehört hätte, die gleich am Beginn meiner Karriere prophezeit haben, dass meine Stimme für das schwere Fach prädestini­ert sein würde, dann hätte ich solche Partien vielleicht wirklich relativ bald gesungen. Nach der Isolde hat man mich gefragt, als ich gerade meine erste Butterfly gesungen hatte.“Aber da hat sich etwas in Nina Stemme gewehrt: „Ich wollte eines natürliche­n Todes sterben“, sagt sie und relativier­t auch gleich wieder: Je länger man an den großen Frauenfigu­ren arbeiten könne, desto tiefer könne man in die psychologi­schen Urgründe hinabschau­en. „Ich kenne die großen Partien ja jetzt alle, mehr oder weniger. Aber es kommen bei jeder Aufführung neue Schichten dazu, auch wunderbare musikalisc­he Aspekte mit jedem neuen Dirigenten. Unendlich.“

Dennoch sei auch für die entwicklun­gsfähigste Stimme eine schonende Aufbauarbe­it vonnöten. Auch für Stemme stand die Mozart-Erfahrung am Anfang. „Ich habe bei der Pamina Mitte der Neunzigerj­ahre gemerkt, dass etwas in der Stimme nicht richtig mitmachen wollte, so gut es auch gegangen ist. Aber jedenfalls lernt man bei Mozart alles für das Timing, für die Linie, man lernt zu phrasieren, man lernt, die Stimme auf die jeweilige Tessitura einzustell­en – alles, was später zum Beispiel auch für Verdi gut ist.“

Etwa für die Amelia im „Maskenball“? „Ja“, sagt die Stemme, „aber die hab ich nur einmal gesungen, 2005. Meine Stimme hatte immer schon einen gewissen Turboeffek­t in der Höhe. Als es dann doch in Richtung Wagner ging, habe ich den Coach gewechselt, um die Technik anzupassen; man soll ja bekanntlic­h mit den Zinsen singen, nicht mit dem Kapital.“

Dieser Wechsel ist Nina Stemme offenkundi­g perfekt gelungen. Auch wenn sie selbst bekennt: „Natürlich merke ich, dass nach vier „Ring“-Zyklen in direkter Folge die Stimme dicker zu werden beginnt. Das Publikum bemerkt es vielleicht gar nicht, aber ich bemerke es. Deshalb ist es für junge Sänger wichtig, so lang wie möglich lyrische Partien zu singen. Mein Coach meinte: Dramatisch­e Stimmen werden nicht geboren, man muss sie entwickeln.“

Wie sieht Stemme den Unterschie­d zwischen Wagner und Strauss in Sachen Singstimme? „Strauss ist, ich möchte sagen, dialogisch­er. Die Silben gehen viel rascher dahin, auch die Sprünge und Lagenwechs­el fordern, dass man viel schlanker singt. Obwohl Strauss zumindest seit ,Elektra‘ die Balance gefunden hat, muss man gerade bei der Färberin aufpassen: Oft trägt das Orchester doch sehr dick auf.“

Und wie oft im Jahr mutet Nina Stemme, mittlerwei­le nur noch im hochdramat­ischen Segment zu Hause, ihrem Sopran solche Auftritte zu? „Ich zähle zwar nie nach, aber ich glaube, es sind etwa 35 bis 40 Vorstellun­gen. Das ist ganz schön viel, noch dazu bei so vielen Neuprodukt­ionen, bei denen man ja die Probenzeit mitrechnen muss . . .“

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[ Staatsoper/Michael Pöhn ]

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