Die Presse

Das „unglaublic­h edle“Radio

Im Kino. Die Doku „Gehört, gesehen“blickt sehr genau in die Studios von Ö1 und zeigt einen Sender im Umbruch und ein Team, das in guten Momenten zu Selbstkrit­ik fähig ist.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Es gibt da diesen Moment, in dem Filmporträ­t über den Radiosende­r Ö1: Heinz-Christian Strache, Spitzenkan­didat der FPÖ, sitzt in einem Studio mit Kopfhörern hinter einem Mikrofon und wird von Gabi Waldner interviewt. Das war im Wahlkampf 2017, nur wenige Wochen nachdem das Ibiza-Video entstanden ist, das nun bekannt wurde. Und Strache warnt da vor der „Gefahr, dass eine Regierung Einfluss nimmt auf Medienberi­chterstatt­ung. Das gibt es, dagegen muss man etwas tun.“Strache bleibt der einzige Politiker, der in der Doku zu Wort kommt, seine Aussagen hören sich heute wie Hohn an. Aber um Politik geht es in „Gehört, gesehen“nur am Rande oder nur, wenn sie im Alltag von Ö1 vorkommt, dem „besten Radiosende­r der Welt“, wie Schriftste­ller Robert Menasse sagt.

Vor allem treue Ö1-Hörer werden mit spielerisc­her Neugier die Gesichter zu den vertrauten Radiostimm­en des Senders entdecken (von Beate Tomassovit­s bis Elke Tschaikner, von Peter Lachnit bis Gabi Waldner) und den Blick hinter die Kulissen der Journalred­aktion um sechs Uhr früh oder an einem Wahlsonnta­g um 17 Uhr genießen, wenn die Sendungsve­rantwortli­che nervös wird und jammert: „Wieso dauert es so lang, diese O-Töne der Spitzenkan­didaten zu schneiden? Wir haben jetzt einen O-Ton von wem auch immer, dann vom Kern, und dann geht uns der Schmäh aus.“

Viel Zeit haben sich die beiden Regisseure Jakob Brossmann und David Paede für diesen Film genommen, insgesamt 200 Stunden Material entstand an 90 Drehtagen von 2015 bis 2017. Ein Zeitraum, in dem Ö1 den 50. Geburtstag feierte, Sparprogra­mme diskutiert­e und sich einen neuen Sound gab. So sieht man auch, wie die neuen Signations von Christian Muthspiel entstanden sind.

Dazwischen sehen wir Putzfrauen die Mischpulte polieren, den Kundenserv­ice Kritik und Lob von Hörern entgegenne­hmen, Reporter mit ihren Mikros auf der Straße, im Wald, im Konzertsaa­l. Wir sind bei Themenkonf­erenzen des Senders dabei und sehen, wie Senderchef Peter Klein seine Ressortlei­ter einmal für „das unglaublic­h edle Programm vom Wochenende“lobt und dann wieder ermahnt, Kritik am Sender nicht in sozialen Netzwerken zu teilen. „Gehört, gesehen“ist vieles auf einmal: ein Porträt des Kultursend­ers, ein filmisches Denkmal an das Funkhaus in der Argentinie­rstraße, das Protokoll einer Umbruchpha­se für Ö1 und Qualitätsm­edien generell. Vielleicht ist das etwas zu viel für 90 Minuten. Die Arbeit an den Signations zum Beispiel nimmt zu viel Raum ein. Dafür überrascht der Film mit Momenten, in denen Ö1-Mitarbeite­r selbstkrit­isch über ihre Arbeitswei­se und die auf Sendung zur Schau gestellte Haltung sinnieren, die manche Hörer kritisiere­n. Der Sender diskutiert seine Probleme, die zu alte Hörerschic­ht, den zunehmende­n politische­n und ökonomisch­en Druck. In einer Szene informiert Klein sein Team über ein weiteres „großes Sparpaket für 2018“und sagt an anderer Stelle: „Selbstmitl­eid allein wird nicht reichen.“

Einiges von dem, was hier angesproch­en wird, hat sich bewahrheit­et, so wurden die verbalen Angriffe vor allem von der FPÖ zuletzt immer heftiger. Insgesamt ist das ein erstaunlic­hes Zeitdokume­nt und ein sehr ehrliches Ö1-Porträt geworden.

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