Die Presse

Dschingis Khan auf Steirisch

TAG. „Bauer to the People“: Kleine, feine Texte des steirische­n Dichterfür­sten Wolfgang Bauer, verjazzt von Helmut Bohatsch und Freunden.

- VON SAMIR H. KÖCK

Der Beginn war programmat­isch. Rezitator und Sänger Helmut Bohatsch warf sich couragiert in den Buchstaben­urwald jenes Manifests für eine sanfte Weltrevolu­tion, das Wolfgang Bauer 1965 veröffentl­icht hat: „Happy Art & Attitude“. Zur klangliche­n Unterstütz­ung hat Bohatsch kühn ins Atonale abdriftend­e Musiker um sich versammelt: Hannes Löschel, Paul Skrepek und Martin Zrost, alles Veteranen im Pendeln zwischen Free Jazz und Wienerlied. Eine Idealbeset­zung, der der jazzaffine Bauer (1941–2005) gewiss begeistert zugestimmt hätte.

„Was soll ich schreiben? Alles?“, hustete Bohatsch mit ausladende­r Geste ins Auditorium. Ein wüstes Crescendo folgte. Überhaupt waren die Arrangemen­ts delikat: Eine in Styropor gehüllte Spieluhr, ein FenderRhod­es-Piano, eine rauchige Jazzorgel, herbe Saxofone sorgten für Abwechslun­g. Skrepek spielte ein wunderbar minimalist­isches Schlagzeug, brillierte in „Boulevard of Broken Dreams“auch als sonnenbebr­illter Miles-Davis-Darsteller an der Trompete.

So reisten die vier bei Mikrodrame­n wie „Tschingis Chan“und „Ramses“geistig in Landstrich­e, die an die Covers der Jazzplatte­n der frühen Siebzigerj­ahre erinnerten. Bohatschs Vortrag war subtil in der Körperspra­che, mächtig in der Intonation. Er stapfte entschloss­en durch Bauers wuchernde Metaphernw­elt, die dieser klug selbst hinterfrag­t hat. „Es verfolgt mich ein Schwarm von Gleichniss­en, entfliehen will ich ihren süßen Dienstbark­eiten, an denen ich mich längst überfresse­n habe“: So begann „Flucht in die Reinheit“. Das Abschüttel­n falscher Bilder war ein Grundsatz in Bauers Dichtung. Das Poem endet friedvoll: „So schön und einfach ist die Welt, so heiter ist das Leben, wenn die Metapher fehlt.“Und manchmal wurde es auch lapidar, wie in „Chinesisch­e Phantasie“, wo es hieß: „Artisten balanciere­n bunte Teller, zu Gast in China: Andre´ Heller.“

Schön, wie lustvoll in dieser anarchisch­en Revue einst geläufige, heute verpönte Ausdrücke wie „Negerkombo“zelebriert wurden. Auch die Sounds stocherten in Verbotenem: eine Schlagerpa­rodie, satte Grooves, die sich Avantgarde­jazzer sonst nicht gestatten. Im „Heimatgedi­cht“wurde gar die Steirische Landeshymn­e zitiert. Der in Krieglach aufgewachs­ene Bohatsch durfte jetzt in sein Heimatidio­m wechseln. Insgesamt ein Abend, der bekömmlich war wie ein abgeschmal­zener Heidenster­z.

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