Der Ruf nach dem starken Mann
Demokratie. Warum hat die Idee eines „starken Mannes“an der Staatsspitze immer wieder Konjunktur? Eine Studie über autoritäre Tendenzen im Österreich der Zweiten Republik.
Europa steht derzeit nicht an der Schwelle eines autoritären Zeitalters, es ist bereits mittendrin, an den Rändern und in der Mitte, von der Türkei bis Russland, von Polen bis Ungarn. So der allgemeine Befund. Auch in Österreich gibt es Umfragedaten, nach denen ein wachsender Teil der Bevölkerung geneigt sei, sich vom liberalen Demokratiemodell zu verabschieden. Wahlanalytiker Christoph Hofinger warnte vor dem „stärksten demokratischen Erosionsprozess seit den Dreißigerjahren“. Alarmismus oder berechtigte Sorge?
Autoritäre Herrschaft entsteht nicht aus dem Nichts, sie findet ihre Vorbedingungen in den politischen Strukturen eines Landes. Es gilt zu untersuchen, ob ein Teil der Bevölkerung Österreichs seit 1945 nicht schon immer den Hang zum „starken Mann“in sich getragen hat, bis hin zu einem Prozentsatz, der hoch genug war, um Stoff für besorgte Kommentare zu liefern, aber doch nicht so hoch, dass sich irgendwann die Gefahr einer Systemdestabilisierung ergeben hätte. Wie so oft gilt: Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, die Gegenwart richtig einzuschätzen und analytische „Schnellschüsse“zu verhindern.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat sich nun in tiefschürfenden Untersuchungen diesem Thema der autoritären Tendenzen in Österreich seit 1945 gestellt (siehe Literaturtipp). Jeder der vier Autoren wählt eine andere Herangehensweise an das Thema, in der Zusammenschau werden die langfristigen Entwicklungen in Österreich deutlich. Gerade die Ablösung von den überhitzten tagespolitischen Debatten wird so zu einer besonderen Stärke des Buches.
Der verwendete Autoritarismusbegriff schließt an die frühen sozialpsychologischen Ansätze an. Er umfasst „Intoleranzen“in verschiedener Form: ethnisch (Fremdenfeindlichkeit), politisch (starke Führung, Verachtung des Konsenses) und moralisch (Abneigung gegen abweichende Ansichten und alternative Lebensweisen, wie zum Beispiel die sexuelle Orientierung). Nicht immer muss alles zusammentreffen. Vertritt jemand in Fragen von Migration und Sicherheit autoritäre Tendenzen, kann er in Fragen der Lebensführung durchaus liberal eingestellt sein.
Erschwert wird die Analyse über einen so großen Zeitraum dadurch, dass es erst ab 1970 in Österreich Meinungsforschung im heutigen Stil gegeben hat. Die Auswertung der verfügbaren Daten durch Peter Grand ergibt: Bis in die 1990er-Jahre ist ein Rückgang autoritärer Einstellungen in Österreich zu finden, ab dann stagnierte die Entwicklung, nicht ohne diverse Rückschritte etwa bei der Verachtung des Parlamentarismus, und dies, obwohl sich die Gesellschaft vom politischen System „emanzipiert“und langfristige Parteibindungen schwinden.
Martin Dolezal untersucht die Wahlprogramme der Parteien und die Wahlkämpfe. Welche Themen dominierten? Wenig überraschend: Es waren Wirtschafts- und Sozialthemen, die die Konfliktlinien im Wahlkampf prägten, nicht das Gegenüber von Freiheit und Autorität. Das gab es zwar auch, aber weniger in den leidenschaftlich geführten Debatten der Tagespolitik.
Wurde dieser Diskursstrang in der österreichischen Zeitungslandschaft, im Meinungsjournalismus, aufgenommen? Berthold Molden sieht hier nach 1945 das Trauma der Ersten Republik nachwirken, und zwar in der oft wiederholten Forderung nach nationaler Einigkeit. „Streitkultur“wird misstrauisch beäugt, obwohl sie für einen aktiven Parlamentarismus typisch sein sollte. Das Verlangen nach einem „starken Mann“steht damit in Zusammenhang: Sein Charisma könnte den Ausweg aus der „ewigen Streiterei“bringen, zu der dann auch die mühsame Kompromissfindung gezählt wird. Auf sie könne man im Interesse einer Politik der „starken Hand“verzichten. Moldens Fazit: „Zeithistorische Erfahrungen waren ausschlaggebend für die autoritären oder antiautoritären Dispositionen.“
Auch David Schriffl setzt 1945 an, indem er den Blick des Westens auf Österreich analysiert. Was sagt man im Ausland zu autoritären Tendenzen hierzulande? Schriffl wertet neue Quellen aus, vertrauliche Gespräche amerikanischer und britischer Diplomaten mit österreichischen Spitzenpolitikern. Sie legen in der Zeit des Kalten Kriegs Wert auf die Stabilität des Landes, alles andere hätte vom „Osten“ausgenutzt werden können. Über latentes nationalsozialistisches Gedankengut und manche wenig demokratische Strukturen wie das österreichische Proporzsystem sieht man großzügig hinweg, sie gelten als kleineres Übel.
Vier Zugänge von vier Autoren also. Wie lassen sie sich verknüpfen? Gibt es übergreifende Schlussfolgerungen? Im Bereich von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit durchaus. Die seit 2015 laufende Flüchtlingsdiskussion wurde früher als „Ausländerfrage“geführt, sie ist ein Gradmesser autoritärer Tendenzen und reicht zurück bis in rassistische Einstellungen in Teilen der politischen Elite der Nachkriegszeit. Die Korrelation zwischen patriotischen Einheitsparolen und wenig verbrämten rassistischen Ressentiments gab es locker verstreut in der Zweiten Republik mehrmals: In der Affäre Borodajkewycz, in der Waldheim-Debatte und auch rund um den Terroranschlag von Oberwart.
Seit den 1990er-Jahren gibt es den sogenannten Wohlfahrtschauvinismus, er ist eng mit Identitätsdenken verbunden und wird zu einer besonderen Form von Vorurteilen und Diskriminierung von Minderheiten. Ansprüche an das Sozialsystem werden nicht mehr allen im gleichen Maß zugestanden, Asylwerbern, Migranten und Arbeitslosen wird die Solidarität aufgekündigt. Es entstehen im Zusammenhang mit der Grenzsicherung das Narrativ der inkompetenten politischen Führung und der Ruf nach mehr Autorität.
Alle vier Autoren analysieren die Angst der Österreicher vor chaotischen politischen Zuständen und vor der sich daraus ergebenden Radikalisierung der politischen Konflikte. Wichtigste Konstante ist auf jeden Fall der Ruf nach dem „starken Mann“an der Spitze von Staat und Gesellschaft. Je komplexer die Probleme zu sein scheinen, desto stärker die Sehnsucht nach dieser erlösenden, messianischen Führerfigur. Hinter seiner autoritären Fahne sollten sich auch jene Gruppen einfinden können, deren Interessen er gar nicht explizit vertritt, etwa Frauen. An ihm hält man dann auch noch fest, wenn sein Image etwa in Fragen der Korruption gar nicht mehr haltbar ist. Jörg Haider ist so ein Beispiel.
In Norbert Hofers Präsidentschaftswahlkampf wurde diese politische Führungskonzentration weiterhin betont. Im Vergleich zu Ungarn oder Polen bleibt dieses Gedankengut in Österreich aber weiterhin minoritär. Nach neuesten Umfragen hält sich auch die Trauer über das Zerbrechen der türkis-blauen Regierung, die sich in manchen Bereichen aufgeschlossen gegenüber autoritäreren Maßnahmen gezeigt hat, in Grenzen.
Martin Dolezal, Peter Grand, Berthold Molden, David Schriffl: