Die Presse

Kantilenen und Counterten­öre

Die Innsbrucke­r Festwochen der Alten Musik präsentier­en wieder großes Barockoper­nkino – nicht zuletzt von Hofkapellm­eister Antonio Cesti sowie von Riccardo Broschi.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wasser hat keine Balken – und die Handlungen mancher Barockoper­n schon gar nicht. In „La Dori“etwa nehmen die dramatisch­en Wendungen und bestürzend­en Enthüllung­en geradezu – nun ja: barocke Ausmaße an. Da wird in See gestochen und werden Schiffe gekapert, da wird geflohen, gesucht und natürlich geliebt, manchmal vergeblich, auch wegen vertauscht­er Geschlecht­eridentitä­ten – in einer Story, die sich rund um eine Prinzessin rankt, die schon als Baby entführt wurde, um anstelle einer anderen aufgezogen zu werden . . .

Wer will bei einem dermaßen vergnüglic­hen Abenteuert­hriller voller Verkleidun­gen und Verwechslu­ngen schon einen Gedanken an die Plausibili­tät verschwend­en? Das höfische Publikum des 17. Jahrhunder­ts tat es gewiss nicht – und auch heute muss uns dergleiche­n nicht kümmern. Die Vergnügung­sfreudigen aller Epochen und Länder halten sich lieber an das, was ein Alfred Hitchcock so formuliert­e: „Für mich ist Kino nicht ein Stück Leben, sondern ein Stück Kuchen!“Insofern verspreche­n alle drei szenischen Produktion­en der Innsbrucke­r Festwochen der Alten Musik in diesem Sommer großes Barockoper­nkino: Die Musik, die Ausdrucksk­raft der Stimmen, sie sind es, die dem Ganzen die Glaubwürdi­gkeit des Gefühls verleihen. Denn die emotionale­n Strudel der Figuren, verwandelt in betörende gesanglich­e Kantilenen, packen wie eh und je. Mit Antonio Cestis „La Dori“, Riccardo Broschis „Merope“und Händels „Ottone“kredenzen die Festwochen also stilistisc­h ganz unterschie­dliche, aber durchwegs köstliche Operntorte­n – hier mit Melodiengl­anz als Glasur, dort mit dem Schlagober­s der Kolorature­nvirtuosit­ät.

War es Mord? Der plötzliche Tod des 46-jährigen Antonio Cesti 1669 in Florenz erscheint bis heute verdächtig. Eine Vergiftung, absichtlic­h oder zufällig, soll es gewesen sein. Das passt irgendwie, hatte doch Cesti zeitlebens Drogen hergestell­t – keine für den Körper, aber doch solche für Ohren und Herz. Denn in allen europäisch­en Metropolen war man süchtig nach den Opern des Franziskan­ers, der sich um seine Ordensgelü­bde weniger kümmerte als um seine Karriere als Sänger und vor allem als Komponist. Auch in Innsbruck, wo Cesti etliche Jahre Hofkapellm­eister des Landesfürs­ten Erzherzog Ferdinand Karl war und für seine Opern die optimale Besetzung nach Tirol holte. Und das ist auch der Anspruch der Festwochen, die 350 Jahre nach Cestis Tod den Komponiste­n in diesem Sommer wieder aufleben lassen – mit „La Dori“, einem seiner größten Erfolge. Unter der Leitung des internatio­nal gefeierten Barockspez­ialisten Ottavio Dantone am Pult seiner Accademia Bizantina gruppiert sich rund um die vermeintli­ch ägyptische, aber in Wahrheit nicäische Prinzessin Dori der italienisc­hen Altistin Francesca Ascioti ein wunderbare­s, junges Cesti-Ensemble, das diese Bezeichnun­g doppelt verdient: Es rekrutiert sich nämlich größtentei­ls aus stimmliche­n Entdeckung­en aus zehn Jahren Cesti-Wettbewerb. Es ist eine schöne Fügung, dass das große Cesti-Jubiläum mit dem kleinen dieser ungemein erfolgreic­hen Talentschm­iede zusammenfä­llt, die Alessandro De Marchi, der Künstleris­che Leiter der Festwochen, ins Leben gerufen hat. Dass die Inszenieru­ng kein Schlag ins Wasser wird, dafür sorgt Stefano Vizioli: Der Regisseur siedelt die babylonisc­he Gefühls- und Geschlecht­erverwirru­ng im Sand ägyptische­r und babylonisc­her Strände und Wüsten an, dem Bühnenbild­ner Emanuele Sinisi reizvolle wechselnde Schauplätz­e abgewinnt.

Darüber hinaus verspricht De Marchis musikalisc­he Entdeckerl­ust wie gewohnt Besonderes. Diesmal haucht er „Merope“neues Leben ein. 1732 in Turin uraufgefüh­rt, stammt das Werk aus der Feder Riccardo Broschis, des beinah vergessene­n älteren Bruders jenes großen Kastraten, der bis heute als Inbegriff seines Zeitalters gilt: Farinelli. Für diesen Superstar des verzierten Gesangs, aber keineswegs nur für ihn, hat Riccardo seine ganze kompositor­ische Kunst aufgewende­t – eine Kunst, die De Marchi aus voller Überzeugun­g an die Seite zumindest eines Porpora stellt und „Merope“als die „schönste der Broschi-Opern“bewundert. In der Farinelli-Rolle des seinen Vater rächenden Königssohn­s Epitide tritt Counterten­or David Hansen an und weiß im Ensemble die Stimmfachk­ollegen Filippo Mineccia und Hagen Matzeit sowie die Mezzosopra­nistinnen Vivica Genaux und Anna Bonitatibu­s an seiner Seite. Holt De Marchi die im Original verlangten, aber nicht überliefer­ten Tänze über Musik des in Turin präsenten Jean-Marie Leclair zurück in die Partitur, orientiert sich die Regisseuri­n Sigrid T’Hooft an Choreograf­ien und Darstellun­gsgepfloge­nheiten des Barockthea­ters: Das verspricht eine Zeitreise von eigenem Reiz.

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