Die Presse

Dankbar für diese Krise: Sie ist eine demokratie­politische Notbremse

Was in der vergangene­n Woche alles ans Tageslicht kam: Die Kontrolle der Medien funktionie­rt nicht, Arroganz der Macht auch nicht, mehr Skepsis wäre angebracht.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse. com/rohrer

Für diese Krise, die Österreich seit genau einer Woche in Atem hält, muss man eigentlich dankbar sein. Wie das? Sie betrifft „nur“das Ende eines politische­n Projekts, das bei aller ZehnJahres-Ambition nach 17 Monaten gescheiter­t ist. Sie bedroht nicht Leib und Leben. Vor allem zeigt sie Grenzen auf, wo andere an die Grenzenlos­igkeit ihrer Überheblic­hkeit glaubten. Eine demokratie­politische Notbremsun­g sozusagen. Allmachtsf­antasien sind zerstoben und dürften so bald auch nicht wiederkehr­en. Und das ist gut so!

Der Traum von der absoluten Kontrolle ist ausgeträum­t. Wenn man später einmal die Stunde benennen möchte, in der dies alles sichtbar wurde, wird man auf Samstag, den 18. Mai 2019, 14 Uhr verweisen können. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass die berühmte Message Control dem Kabinett Sebastian Kurz I entglitten war – und zumindest in den folgenden Tagen nicht mehr funktionie­ren sollte. Warum?

Um 12.16 Uhr hat Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache seinen Rücktritt bekannt gegeben. Zu diesem Zeitpunkt wusste man im Bundeskanz­leramt bereits, dass Innenminis­ter Herbert Kickl seinen Posten nicht freiwillig räumen würde. Bundeskanz­ler Kurz sollte knapp zwei Stunden später erklären, wie es mit der Regierung weitergeht. Alle 30 Minuten gab es eine Verschiebu­ng. In diesen Stunden bis zum Abend wurde es jedoch verabsäumt, der Öffentlich­keit eine Erzählung zu liefern, die das Zögern verständli­ch gemacht hätte, nämlich jene von der Unvereinba­rkeit Kickls mit der Aufklärung in der Causa Ibiza. Was übrig blieb: Kickl soll gehen, Kickl will nicht. So wurde der Innenminis­ter zum Handelnden, nicht der Bundeskanz­ler.

Hätte die Message Control funktionie­rt, hätte am Ende des Tages der FPÖPolitik­er als mutwillige­r Sprengmeis­ter einer doch so erfolgreic­hen Regierung dastehen müssen. Dann wäre Sebastian Kurz nicht als „Opfer“vor die Journalist­en getreten. Oder er hätte die Gelegenhei­t wahrgenomm­en, die Geschichte von der Unverfrore­nheit des blauen Innen

ministers zu erzählen. So aber verblüffte er mit dem Lamento über all das, was er in den vergangene­n 17 Monaten zu „ertragen“und zu „schlucken“hatte. Diese Erzählung war aber mit der vorherigen seit Jänner 2018, der tollen Zusammenar­beit und der Harmonie, nicht in Übereinsti­mmung zu bringen. Und daher nicht überzeugen­d.

Die Nebelwand, hinter der die Regierung ihr Programm durchgezog­en hat, lichtete sich an diesem Abend. Und das ist gut so! Es ist nicht die schlechtes­te Erkenntnis, dass in einer (noch) liberalen Demokratie mehr Skepsis und weniger Bewunderun­g angebracht wäre.

Die Krise hat aber auch gezeigt, wie ein politische­r Wunderknab­e agiert, wenn ihm das Heft entgleitet oder aus der Hand geschlagen wird. So war es bei der Ankündigun­g der neuen Übergangsr­egierung diese Woche auffallend, wie sehr sich Kurz hinter Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen versteckte. Seine Bewunderer, jene von Kurz, nicht Van der Bellen, werden einwenden: Das gehöre sich so.

Mag sein, aber jeden zweiten Satz mit „der Herr Bundespräs­ident und ich“zu beginnen, zeugt schon vom verzweifel­ten Versuch, sich mit geborgter Autorität vor Kritik zu immunisier­en. Verständli­ch, dass sich der ÖVP-Politiker unter die Fittiche Van der Bellens flüchtete – und wenn auch nur aus kaltem Kalkül in der Hoffnung, dann weniger beschädigt aus der Krise hervorgehe­n zu können. Mit dem kraftvolle­n Image, liebevoll gepflegt bisher, stimmt diese Flucht aber nicht überein. Auch das hat die Krise ans Tageslicht gebracht.

Und noch eines ist gut: Es hat sich gezeigt, dass es mit der Arroganz der Macht schnell vorbei sein kann. Wer es in der Demokratie nicht für wert findet, mit anderen im Gespräch zu bleiben, der steht eben im Fall des Falles ohne Gesprächsp­artner da. Dann gibt es keine Botschaft mehr, wenn man sie braucht. Dankbar auch für diese Lehre!

 ??  ?? VON ANNELIESE ROHRER
VON ANNELIESE ROHRER

Newspapers in German

Newspapers from Austria