Die Presse

Wer sind die jugendlich­en Mobber im Internet?

Christiane Spiel von der Universitä­t Wien erforscht, ob die jugendlich­en Täter bei digitalem Mobbing in den sozialen Medien dieselben sind, die ihre Opfer in der Schule von Angesicht zu Angesicht demütigen.

- VON CORNELIA GROBNER

Regelmäßig kocht das Thema Gewalt in den Schulen hoch. Zuletzt nach dem Publikwerd­en von Handyvideo­s im Internet, die Schikanen eines HTL-Lehrers gegen seine Schüler und umgekehrt dokumentie­rten. Mobbing ist ein altes Phänomen. Neu ist die digitale Dimension, das Cyber-Bullying. „Diese Gewaltform hat in den vergangene­n Jahren deutlich zugenommen“, sagt die Bildungsps­ychologin Christiane Spiel von der Uni Wien.

Derzeit untersucht sie mit Daniel Graf und Takuya Yanagida, ob die digitalen Möglichkei­ten auch neue Täterinnen und Täter „erschaffen“. „Grundsätzl­ich scheint es eine enorm hohe Überlappun­g der Involviert­en bei beiden Gewaltform­en zu geben – auf Täterund auf Opferseite.“Spiel interessie­rt sich nun dafür, welche Unterschie­de die verschiede­nen Settings dennoch mit sich bringen.

„Ein großer Unterschie­d ist zum Beispiel, dass die Reaktion der Opfer im Internet nicht sichtbar ist“, so Spiel. „Gleichzeit­ig ist das potenziell­e Auditorium im Netz größer.“Das sogenannte Sensation Seeking ist ein Persönlich­keitsmerkm­al, das in diesem Zusammenha­ng relevant sein könnte. Damit ist eine Verhaltens­tendenz gemeint, besonders intensive Erlebnisse aktiv herauszufo­rdern. Spiel: „Wir untersuche­n, ob Personen, die ein höheres Sensation Seeking aufweisen, eher Bullying im Netz betreiben.“Für die Opfer von Cyber-Bullying ist diese Gewaltform jedenfalls besonders belastend: Es verfolgt sie auch außerhalb der Schule, hört also nicht auf.

Voraussetz­ung dafür, dass Gewalt als Bullying klassifizi­ert wird, sind die Schädigung­sabsicht, die Wiederholu­ng über einen längeren Zeitraum hinweg und ein Machtungle­ichgewicht. Klassische Schulhofra­ufereien lässt die Forschung entspreche­nd unberücksi­chtigt. Die Wissenscha­ft unterschei­det zudem zwei Formen von Aggression, die zu Gewaltausü­bung führen: heiße (reaktive) und kalte (proaktive) Aggression. Während in erstem Fall hoch impulsiv auf eine als bedrohend und ausweglos empfundene Situation mit Wut und Zorn reagiert wird, geht es im zweiten Fall um Macht, Manipulati­on und Dazugehöre­n. „Ein Merkmal von Bullying als Folge von kalter Aggression ist, dass das Opfer hilflos ist und nicht die gleichen Möglichkei­ten hat, sich zu wehren“, erklärt Spiel. „Dabei geht es oft gar nicht um körperlich­e Verletzung­en, sondern um Demütigung.“Die Bildungsps­ychologin weist auch auf einen blinden Fleck hin: „Was im System stark verschwieg­en wird, ist, dass Lehrer ebenfalls Täter sein können, die Schüler sehr subtil mobben.“

Spiel, die 2007 im Auftrag des Bildungsmi­nisteriums die nationale Strategie zur Gewaltpräv­ention Weiße Feder entwickelt hat, ist eine prominente Kritikerin aktueller Interventi­onen wie den geplanten Time-out-Klassen. Diese würden wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen zuwiderlau­fen. Politische Strategien und evidenzbas­ierte Expertise klaffen beim Thema Schulgewal­t allerdings nicht nur in Österreich auseinande­r. Auch deshalb startete im April die Europäisch­e Wissenscha­ftsstiftun­g eine sogenannte Cost-Action. Auf vier Jahre angelegt soll das Projekt die transnatio­nale Zusammenar­beit bei der Erforschun­g von Bullying, Migration und Integratio­n in Schulen fördern. Es involviert Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler aus dreißig Ländern. Die österreich­ische Gruppe steht unter Spiels Federführu­ng.

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