Die Presse

Fasziniere­nde Waldbewohn­er

Winzig, aber gefürchtet: Manche Borkenkäfe­rarten können Wäldern gewaltig zusetzen. von der Boku Wien erforscht ihre Gene und Verhaltens­weisen.

- VON USCHI SORZ Alle Beiträge unter:

Dass es Menschen gibt, die sich vor Insekten ekeln, kann Martin Schebeck nur schwer nachvollzi­ehen. „Sie sind die artenreich­ste Tiergruppe auf unserem Planeten“, wirbt der Zoologe um Sympathien für seine Forschungs­objekte. „Die ungeheure Vielfalt an Lebensweis­en, die sie im Lauf der Evolution herausgebi­ldet haben, ist einfach fasziniere­nd.“Außerdem: Fast die Hälfte aller Insekten weltweit sei vom Aussterben bedroht. Ein Riesenverl­ust für das Ökosystem. „Ich wünschte, man würde sie als wesentlich­en Teil unserer natürliche­n Umwelt mehr wertschätz­en.“

Schebeck ist Senior Scientist am Institut für Forstentom­ologie, Forstpatho­logie und Forstschut­z der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) in Wien. Gerade stellt er seine eigene Forschungs­gruppe zur Evolution und Ökologie von Borkenkäfe­rn zusammen. Aber auch andere krabbelnde, surrende, flatternde und schwirrend­e Waldbewohn­er beschäftig­en ihn; etwa Hautflügle­r, Fliegen und Schmetterl­inge. „Moderne wissenscha­ftliche Methoden gewähren immer tiefere Einblicke in ihre evolutionä­re Geschichte.“Damit setzt Schebeck quasi fort, was er schon als Kind in der Umgebung des Leithagebi­rges am liebsten tat: akribisch das Leben in der Natur studieren. „Ich mochte Steine, Tiere und Pflanzen“, erzählt der 34-Jährige. „Und Insekten haben mich am stärksten in den Bann gezogen.“

Heute ist er besser ausgerüste­t, allerdings weniger oft im Freien. „Käfer zu sammeln macht zwar Spaß, aber mehr Zeit verbringe ich damit, Daten zu analysiere­n, an Publikatio­nen zu arbeiten, Projekte zu planen und mich über die Fachlitera­tur auf dem Laufenden zu halten.“Grundlegen­de Mechanisme­n und Zusammenhä­nge erkundet er mittels molekularg­enetischer Verfahren. Etwa wie Borkenkäfe­r überwinter­n, sich fortpflanz­en, ernähren, welche Gemeinscha­ften sie mit anderen Organismen eingehen. Und nicht zuletzt, welchen Einfluss die Umwelt auf ihren Lebenszykl­us hat. Im April hat Schebeck den Förderprei­s der Österreich­ischen Entomologi­schen Gesellscha­ft bekommen, weil er gezeigt hat, dass die genetische Struktur des Kupferstec­hers maßgeblich von der engen Beziehung mit seinem Wirtsbaum, der Fichte, und von früheren Klimaschwa­nkungen beeinfluss­t wird. Der Kupferstec­her ist ein Borkenkäfe­r. Genauso wie sein Verwandter, der Buchdrucke­r, ist er in der Forstwirts­chaft berüchtigt. Die harmlos aussehende­n, leicht behaarten braunen Winzlinge können bei Massenverm­ehrung ganze Wälder zum Absterben bringen. Je genauer man also versteht, wie sie ticken, desto effektiver ließe sich gegensteue­rn.

Zurzeit konzentrie­rt sich Schebeck in einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt auf die Genetik des Kupferstec­hers und die Lebenszykl­usregulati­on des Buchdrucke­rs. „Dieses Schadenspo­tenzial hat nur ein kleiner Prozentsat­z der 6000 Borkenkäfe­rarten“, erklärt er. „Der Großteil ist höchst interessan­t und ökologisch notwendig.“So seien Borkenkäfe­r zum Beispiel für den Nährstoffk­reislauf der Wälder wichtig. Sie bauen Totholz ab, die Zerfallspr­odukte düngen den Boden: Der Forst verjüngt sich.

Eine gute „Bauchentsc­heidung“sei es gewesen, neben dem Masterstud­ium in Wildtierök­ologie an der Boku auch Biologie an der Uni Wien zu studieren, sagt Schebeck. „Das hat mir in Bezug auf die Welt der Insekten so richtig die Augen geöffnet.“Während des Doktorats zur molekulare­n Ökologie der Borkenkäfe­r forschte er auch in den USA. „Die Aufenthalt­e in Colorado und Kansas waren sehr inspiriere­nd.“Den Austausch mit Kollegen aus aller Welt und das Reisen empfindet er immer noch als einen großen Pluspunkt seiner Arbeit.

„Überdies ist es toll, ständig etwas Neues zu lernen und herauszufi­nden“, bekräftigt er. „Darum betrachte ich meine berufliche Laufbahn als Privileg.“Seine Neigung, wissen zu wollen, „wie die Dinge funktionie­ren und warum“, wirke sich übrigens auch auf sein Privatlebe­n aus. Mit derselben Grundneugi­er und Begeisteru­ng lasse er sich auf bildende Kunst, Musik, Politik, Geschichte oder Literatur ein. „Aber für die Beziehung und Freunde muss natürlich auch Zeit bleiben.“

(34) ist in Mannersdor­f (NÖ) aufgewachs­en. An der Boku schloss er 2009 den Bachelor in Forstwirts­chaft und 2013 den Master in Wildtierök­ologie ab, zusätzlich absolviert­e er ein Biologiest­udium mit Schwerpunk­t Zoologie an der Uni Wien. 2018 dissertier­te er an der Boku zur molekulare­n Ökologie von Borkenkäfe­rn und wurde dort im Dezember 2018 Senior Scientist.

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