Was sind wirklich gute Lexika?
dium. Jetzt absolviert sie den Masterlehrgang in Lexikografie. Ihr nächstes Ziel: „Nach dem Studium habe ich den Plan, ein Wörterbuch zu verfassen, das kulturbezogene Begriffe für Touristen erklären kann. Meine Muttersprache ist Yoruba. Manchmal, wenn man ein englisches Wörterbuch sieht, ist die Erklärung für einige Begriffe nicht perfekt. Die meisten Lexikografen, die dieses Wörterbuch verfasst haben, haben keinen guten Umgang mit der Sprache.“
An der Universität Roma Tre koordiniert Martina Nied EMLex. Nied ist Professorin für deutsche Sprachwissenschaft und unterrichtet auch im Rahmen des Masterlehrgangs. Anhand eines Beispiels zeigt sie, dass Übersetzungsprogramme zunächst ins Englische übersetzen und erst dann in eine dritte Sprache. Wer also per Smartphone übersetzt, erzielt mitunter unsinnige Ergebnisse.
„EMLex ist ein Europäischer Master, aber er hat viele Studenten, die nicht aus Europa sind. Das ist sehr wichtig: Weil die Lexikografie so eine dynamische Aktivität ist, brauchen wir aus verschiedenen Teilen der Welt auch die Expertise von unseren Studierenden“, erklärt Rufus Gouws. Er vertritt die Universität Stellenbosch, Südafrika, im EMLex-Konsortium. Die Republik Südafrika hat elf Amtssprachen. Für jede der elf Nationalsprachen gibt es ein staatlich finanziertes Wörterbuchinstitut. Hier werden immer wieder Stellen für Lexikografen frei. Die Absolventen des EMLex können jedoch auch in der kommerziellen Lexikografie und in Verlagshäusern unterkommen, betont Gouws. Ihm ist es ein großes Anliegen, dass seine Studenten auch einen ihrer Ausbildung angemessenen Arbeitsplatz finden.
Die Lexikografie entwickelt sich von Printwörterbüchern zu Online-Wörterbüchern, das ist gewiss. Und die Lexikografie ist ein dynamisches Feld. Jetzt gilt es, die Theorie so anzupassen, dass sie die OnlineWörterbücher beschreibt und deren nutzbringende Entwicklung beeinflusst. „Eine große Herausforderung ist es, auch die kulturelle Information zu liefern,“sagt Martina Nied. „Zum Beispiel ,Kaffee‘ wird auf Italienisch übersetzt als ,caff`e‘, aber wir wissen, dass der deutsche Kaffee oder auch der österreichische Kaffee ganz andere Kaffeesorten sind als der italienische.“Im Italienischen (wie auch im Österreichischen) gebe es ein ganzes Wortfeld rund um den Kaffee: „Caff`e macchiato, caff`e lungo, caff`e corretto.“Rund um das Wort Kaffee, verdeutlicht Martina Nied, tue sich eine ganze Welt an kultureller Vielfalt auf, die die Lexikografen im Auge behalten müssen. Während ein Espresso an der Theke einer italienischen Bar in zwei Minuten getrunken wird, verbindet man im Deutschen mit dem Kaffeetrinken meist ein Gespräch. Man denke beim Wort Kaffee auch an einen Kuchen, sagt Nied; und überhaupt sei der Begriff Kaffeetrinken im Deutschen mit viel mehr Zeit verbunden. In den Wörterbüchern gilt es, diese kulturelle Information darzustellen.
Verschiedene lexikografisch-theoretische Perspektiven tun sich im EMLex-Studiengang auf. Eine der wichtigsten: die allgemeine Lexikografie. Die wurde von dem deutschen Metalexikografen Herbert Ernst Wiegand entwickelt. Wiegand beschrieb und erfasste mit allergrößter Akribie die Strukturen in den Wörterbüchern. Seine Theorie hatte konkrete Auswirkungen auf die Praxis der Wörterbucherstellung. Den Benutzern, sagt Rufus Gouws, gehe es vor allem um Übersichtlichkeit und Klarheit. Gouws ist ein Schüler von Wiegand: „In unserer Theorie geht es vor allem um verschiedene Wörterbuchstrukturen, damit die Benutzung erfolgreich sein kann.“
Martina Nied ist zusätzlich zu ihrer Lehrtätigkeit an der Universität Roma Tre auch als Fortbildnerin für Deutschlehrer in Italien und Deutschland tätig. Als großes Problem in der Vermittlung der Lexikografie hat Nied die unterschiedlichen Erwartungen von Lehrern und Schülern erkannt. Viele Lehrer, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten, glaubten, so Nieds Beobachtung, dass die Jugendlichen als Digital Natives besser mit dem Smartphone umgehen können als die Lehrer selbst. Daher meinen die Lehrer wiederum, sie müssten den Jugendlichen gar nicht zeigen, wo gute Wörterbücher im Internet zu finden sind.
QDie Mädchen und Burschen wiederum möchten erklärt bekommen, was denn nun die wirklich guten Lexika sind. „Ich selbst habe in einem Workshop festgestellt, dass selbst Deutschlehrer oft die guten Wörterbücher nicht kennen, weil sie vielleicht einer anderen Generation angehören, in der man noch mehr gedruckte Wörterbücher benutzt hat. Und diese Entwicklung mit digitalen Wörterbüchern ist so schnell gegangen, und es gibt so viele Ressourcen. Das heißt, „wir müssen eigentlich erstmal an die Lehrer herankommen, dort Lehrerfortbildungen machen, damit diese wieder als Multiplikatoren ihr Wissen an die Schüler weitergeben können.“
Als ein sehr gutes, einsprachiges OnlineWörterbuch der deutschen Sprache empfiehlt Martina Nied das DWDS, das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (www. dwds.de): „Das ist ein sehr umfangreiches Tool, ich hab dort auch Textkorpora und Bedeutungen, und ich kann die Frequenz nachschauen.“Schüler können aus dem Wörterbuch erkennen, wie ein Wort verwendet wird, was oft in gedruckten Wörterbüchern aufgrund von Platzmangel zu kurz kommt. Denn das ist natürlich ein Vorteil der Online-Wörterbücher: dass es kein Platzlimit für die Information gibt.
Die intensive Beschäftigung mit den Wörterbüchern der Zukunft am EMLexStudiengang in Rom und die kulturpolitischen Forderungen der Villa-VigoniThesen öffnen Hoffnungen für die Zukunft der Lexikografie. Hier hat sich ein europäischer Exzellenz-Cluster gebildet, der weltweit ausstrahlt.
Geboren in Kärnten. Studium der Europäischen Geschichte der Neuzeit. Mag. phil. Seit 2002 für den ORF tätig. Lebt in Rom. Bücher: u. a. „Lesereise Vatikan. Mit der roten Vespa zum Petersplatz“(Picus) Bella Arcadia Das