Die Presse

Häuser aus Stein und Wein von ganz oben

Italien. Das Matterhorn sieht vom Süden so ganz anders aus. Das Monte-Rosa-Massiv überragt vieles. Unterwegs in den urtümliche­n Dörfern in der autonomen Region Aostatal.

- VON CATHERINE CZIHARZ

Das Aostatal ist nicht in Südtirol, nicht in der Schweiz. Eine Tatsache, die erdkundlic­h Gebildeten ein „Eh klar“, manchen dann doch das Eingeständ­nis geografisc­her Unsicherhe­it entlockt. Erwähnt man die regionalen Berühmthei­ten – Mont Blanc, Matterhorn, Monte Rosa – wird die Verortung jedoch schnell konkreter. Neben den höchsten Gipfeln Europas überzeugt die norditalie­nische Bergregion an der Grenze zu Frankreich, der Schweiz und dem Piemont mit interessan­ten Bergdörfer­n. Wie etwa mit Gressoney-La-Trinite,´ dem höchstgele­genen Ort des Gressoney-Tals auf einer lang gezogenen Ebene auf rund 1600 Metern, rechts und links begrenzt von steil abfallende­n Berghängen.

Bei der Ankunft fällt der erste Blick auf ein verlassene­s Hotel, elegant herunterge­kommen erinnert es stark an das Grand Budapest im schräg-schönen Film von Wes Anderson. Das zart pastisfarb­ene Licht des Nachmittag­shimmels verstärkt den unwirklich­en Eindruck. Im Hintergrun­d erhebt sich imposant das Monte-RosaMassiv. Einen Steinwurf vom potemkinsc­hen Hotelpalas­t entfernt steht ein typisches Walser-Haus, ganz aus Holz und Stein. Besonderhe­it der Region sind die Dächer aus grauen Quarzplatt­en. Der Kontrast dieser Gebäude gibt Aufschluss über die Geschichte dieses Aosta-Seitentals. Vor mehr als 800 Jahren kamen die Walser aus dem Oberwallis über den Theodulpas­s nach Gressoney und prägten die Architektu­r, Sprache und Kultur.

Nur wenig Tageslicht fällt in die „Wongade“, die Wohnstube des traditione­llen Bauernhaus­es am Hauptplatz von Gressoney-LaTrinite.´ „Wer größere Fenster wollte, musste mehr Steuern zahlen“, erklärt Nicola Vicquery,´ Leiter des Tourismusb­üros. Denn der erhöhte Heizbedarf brachte höheren Holzverbra­uch mit sich. Ressourcen­schonung im Sinne der Allgemeinh­eit war damals bereits The

ma, schließlic­h wurde das Brennholz den umliegende­n Wäldern entnommen. Nicht ohne Grund lebten im Erdgeschoß einer Wongade Mensch und Vieh („gade“) dicht nebeneinan­der, lediglich durch eine Holzwand getrennt. Das wärmte und sparte Energie.

Heute leben noch rund 300 Menschen in der mehrsprach­igen Gemeinde. „Wir sprechen Titsch“, sagt Vicquery´ und meint damit das alemannisc­he Idiom der Walser Minderheit, das in Gressoney inmitten einer weiteren Sprachmind­erheit, dem Frankoprov­enzalische­n (Patois), gesprochen wird. Die offizielle­n Sprachen im Aostatal sind Italienisc­h und Französisc­h. Davon zeugen die zweisprach­igen Ortstafeln und die Tatsache, dass man für einen Job in der Verwaltung eine Prüfung in Französisc­h ablegen muss, weiß Vicquery.´ Er selbst ist in Gressoney-La-Trinite´ geboren und aufgewachs­en und zeigt auf sein Elternhaus am Steilhang. Fürs Studium ging er nach Frankreich, seine Diplomarbe­it schrieb es über die Minderheit­en in seiner Gemeinde. Wirklich wegziehen von hier wollte er aber nie. Heute arbeitet er im Winter nebenbei als Skilehrer, im Sommer als Bergführer. Und Skifahren könne man am Monte Rosa bis weit ins Frühjahr. „Acht Stunden lang kann man durchfahre­n, ohne eine Piste zweimal zu machen.“Auf 180 Pistenkilo­metern verbindet das Skigebiet die drei Täler Ayas mit Champoluc, Gressoney und Valsesia im Piemont.

Ein paar Gehminuten von Gressoney-La-Trinite´ entfernt gelangt man mit dem Lift auf den auf knapp 3000 Metern gelegenen Passo dei Salati an der piemontesi­schen Grenze. Eine Höhe, die beeindruck­t und eine imposante Weitsicht auf die umliegende­n Viertausen­der freigibt. In Richtung Schweiz zeigt sich an wolkenfrei­en Tagen das Matterhorn, davor die Dufourspit­ze und Signalkupp­e (Punta Gnifetti) mit der Capanna Regina Margherita, Europas höchstgele­gener Schutzhütt­e. Benannt nach der bergbegeis­terten Königin Margarethe von Italien, die Ende des 19. Jahrhunder­ts das Gressoney-Tal für sich entdeckt hat und das Castel Savoia sowie eine Sommerresi­denz im Nachbarort Gressoney-SaintJean errichten ließ. Das brachte dem Tourismus enormen Aufwind, und viele Bewohner des Tals haben Seitentäle­r steigen zu den Viertausen­dern auf. Uralte Steinhäuse­r, kleine Dörfer, riesiges Wander- und Skigebiet. www.lovevda.it/de www.confreried­umoyenage.com Die Reise wurde von Aostatal Tourismus unterstütz­t. sich als Bergführer oder Hoteliers neu erfunden, heißt es.

Mit La Confrerie´ du Moyen Aˆge hat Marco Bessone für seine Gäste Altes neu erfunden. Über Serpentine­n gelangt man vom Haupttal ins Dorf Grand Villa in der Gemeinde Verrayes. Diese „Bruderscha­ft des Mittelalte­rs“ist ein kleines Hotel, das seine Gäste stilistisc­h weit in die Vergangenh­eit versetzt. „Das Steinhaus stammt aus dem 15. Jahrhunder­t“, erzählt Bessone. Acht Jahre lang habe er renoviert und umgebaut. Früher führte er 25 Jahre lang ein Antiquität­engeschäft in Aosta. Seine Kenntnis und die Liebe zu mittelalte­rlichen Dingen zeigt sich in den vielen Originalde­tails der sechs Gästezimme­r: Unter uralten Holzdecken stehen noch ältere Truhen, große Betten mit in Nachttisch­lampen umfunktion­ierten Laternen, Ölbilder mit Patina zieren die niedrigen Wände.

Einzige Abweichung vom Konzept für den Komfort der Gäste: Es gibt ein kleines Spa mit Jacuzzi und schmucke Badezimmer­chen mit beheiztem Steinboden. In eines der Zimmer gelangt man nur über eine Falltür mit Flaschenzu­g. Nichts für Menschen mit ausgeprägt­em Freiheitsd­rang – um die schwere Holztür runterzula­ssen, rückt Bessone persönlich an. Mittelpunk­t des Hotels ist das Esszimmer mit Kerzenlust­er und großem Kamin. Hier trifft man sich bei Aostataler Fontinakäs­e und Wein aus autochthon­en Reben. Hier im Aostatal befinden sich einige der höchstgele­genen Weinberge. Mikroklima und Lage machen es möglich – es ist hier trockener als in Apulien. Davon profitiere­n auch Verrayes und Umgebung. Das milde Klima und die Hügel sind ideal zum Wandern. Zum Beispiel vom Colle San Pantaleone zwischen Verrayes und Torgnon bis zur Kapelle di Saint Evence. Auf dem Weg Nummer zwei geht es sanft bergauf, durch Nadelwälde­r, vorbei an Wacholderb­üschen. Oben öffnet sich der Blick aufs Valtournen­cheTal und erneut aufs Matterhorn – diesmal aus anderer Perspektiv­e.

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