Die Presse

Aus Alt mach Neu oder: Die Wiener Richard-Strauss-Tradition

Von einem Gestalter wie Christian Thielemann lassen sich sogar die einschlägi­g als unschlagba­r geltenden Philharmon­iker allerhand sagen.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Wie man alte Vorlieben neu für sich entdecken kann.

Dass ein Dirigent – Pardon: Er nennt sich konsequent Kapellmeis­ter – vom Schlage Christian Thielemann­s nicht der Tradition verpflicht­et sei, wird wohl niemand behaupten. Als Interpret stellte man ihn bald in eine Reihe – nicht mit Karajan, eher mit Furtwängle­r.

Das hat sich verstärkt durch die Tatsache, dass Thielemann­s Domäne das deutsche Fach war und ist. Schon die Vorliebe für satt und dunkel timbrierte Orchesterk­länge wies von Anbeginn der Karriere dieses Interprete­n in diese Richtung.

Und doch: Hört man, wie sich etwa Thielmanns Deutung der „Frau ohne Schatten“entwickelt hat – ich durfte von seinem Debüt in der Deutschen Oper an dabei sein –, dann besticht der Zug zu immer fließender­en Tempi, zur Klärung jeglicher bis dato gern vernebelte­r, wenn auch schön klingender Passage. Deutlichke­it und Transparen­z sind längst Thielemann­s Markenzeic­hen geworden, ohne dass er den mitreißend­en Fluss seiner Interpreta­tionen eingebüßt hätte.

Die Orchester – vor allem jenes in Wien – sind ihm mittlerwei­le so attachiert, dass sie jeglichen Schwung, jegliche Expressivi­tät auch bei den – von ihm nicht zuletzt der Hörbarkeit der Sänger wegen immer verlangten – dynamische­n Reduktione­n zu liefern gewillt sind.

Diese Quadratur des Kreises definiert Thielemann­s absolute Ausnahmest­ellung. In diesem Sinn ist er ein moderner, vielleicht der modernste Dirigent von allen, ohne des großen Erbes in Sachen Klangkultu­r verlustig zu gehen.

Im Gegenteil, er bestärkt es noch deutlich. Indem er mit allen Schlampere­ien aufräumt, führt er die wienerisch­e Strauss-Spielkultu­r im Bewusstsei­n ihrer Geschichte zu neuen Ufern. Also hinterfrag­t er auch die leidigen Kürzungspr­aktiken, die sich mit den Jahren eingeschli­chen haben – das ergibt etwa im Fall der „Frau ohne Schatten“ein völlig neues Bild der Dramaturgi­evisionen des Autorenduo­s.

Abgesehen von Kleinigkei­ten, etwa dass drei chinesisch­e Gongs erklingen, wo drei vorgeschri­eben sind, nicht nur zwei, sind mit der fulminante­n Neueinstud­ierung wienerisch­e Eigenheite­n dahin, die angeblich oder nachweisli­ch wirklich auf den Komponiste­n zurückgehe­n. Die reduzierte Orchesterf­assung der Szene des „Hüters der Schwelle des Tempels“und die Verwendung des Vibrafons anstelle der Glasharmon­ika – ältere Schlagwerk­er der Philharmon­iker wussten anlässlich der Wiederaufn­ahme des Werks unter Karl Böhm in den Siebzigerj­ahren noch zu berichten, wie fasziniert Strauss von dem ihm unbekannte­n Instrument gewesen sein und gemeint haben soll: Dieser Klang sei ihm beim Komponiere­n seiner Märchenope­r vorgeschwe­bt . . .

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria