Die Presse

Ein Sieg für Kanzler Kurz

ÖVP. Vor dem Misstrauen­svotum im Parlament sieht sich die Partei durch das Wählervotu­m bestärkt.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. „Kanzler Kurz, Kanzler Kurz“, rufen die türkisen Fans wie einstudier­t und klatschen dabei. Auch Generalsek­retär Karl Nehammer spricht von einem „starken Vertrauens­votum für Kanzler Sebastian Kurz“. Die Bundesregi­erung habe „Großartige­s geleistet“, betont Beamten- und Frauenmini­sterin Juliane Bogner-Strauß, als sie ihre Interpreta­tion des Wahlergebn­isses abgibt.

Man könnte meinen, die ÖVP habe an diesem Sonntag die Nationalra­tswahl gewonnen. Dabei war es „nur“die Europawahl. Doch einen Tag vor dem Misstrauen­santrag gegen den Kanzler im Parlament will die Partei eine Parole unter das Volk bringen. Nämlich, dass das Wahlergebn­is eine Bestätigun­g dafür sei, dass Kurz Kanzler bleiben müsse. Das Ergebnis für die ÖVP (34,5 Prozent laut einer Trendprogn­ose) bedeutet aber vor allem, dass die Partei sieben statt bisher fünf Mandatare ins EU-Parlament senden darf. Nicht zufällig ist ÖVPKandida­t Wolfram Pirchner (Listenplat­z sechs) bester Laune und ruft euphorisch „Bravo“, als Karl Nehammer spricht. Allerdings will die ÖVP erst nach Auswertung der Vorzugssti­mmen entscheide­n, wer es nach Brüssel bzw. Straßburg schafft.

Mit dabei ist wohl auf jeden Fall Othmar Karas, der sich als Spitzenkan­didat der ÖVP über den Wahlerfolg freuen darf. „Danke, danke, danke“, ruft er in das Publikum. „Wenn wir uns nicht auseinande­r dividieren lassen, können wir jede Wahl beginnen“, betont er. Und lobt Kanzler Kurz.

Ausgerechn­et jener Karas, den die Parteiführ­ung zu Beginn des Wahlkampfs so kritisch beäugte. Schließlic­h passte der verdiente, aber für wenig Neues stehende EUParlamen­tarier so gar nicht in die Erzählung der damaligen türkis-blauen Bundesregi­erung. Karas hatte sich sogar immer wieder kritisch gegenüber der FPÖ geäußert und auch manche von der Koalition stolz präsentier­ten Maßnahmen kritisiert. Etwa jene europarech­tlich strittige Regelung, laut der in Österreich arbeitende EU-Bürger weniger Familienbe­ihilfe bekommen, wenn ihre Kinder in Heimatländ­ern mit niedrigere­n Lebenshalt­ungskosten leben.

Ein Drei-Fronten-Wahlkampf

Doch die Kandidatur von Karas war als Winwin-Situation gedacht. Hätte er außerhalb der ÖVP kandidiert, wäre die ÖVP

die Gefahr eingegange­n, proeuropäi­sche Wähler zu verlieren. Und Karas wiederum brauchte eine große Partei, die seinen Wahlkampf führt. Dafür war er auch bereit, sich verstärkt der türkisen Message Control zu unterwerfe­n. Und so stellte Karas beim Wahlkampfa­uftakt in den Wiener Sofiensäle­n die SPÖ in Kommuniste­nnähe und lobte Kanzler Sebastian Kurz über den türkisen Klee. Wie es das Drehbuch der Partei vorsah.

Auf Karas verlassen wollte sich die ÖVP aber nicht, sie fuhr eine Zwei-, am Ende sogar eine Drei-Fronten-Strategie. Für die Fans der türkis-blauen Bundesregi­erung wurde die Listenzwei­te Karoline Edtstadler ins Rennen geschickt. Die Staatssekr­etärin durfte zwei Wochen vor der Wahl noch einmal groß die (längst bekannten) Strafrecht­sverschärf­ungen im Kanzleramt präsentier­en.

Und auch der Kanzler selbst schaltete sich als Dritter im Bunde zunehmend in den Wahlkampf ein. Erst staatstrag­end mit Ideen für eine EU-Reform, dann mit einem tiefen Griff in die Populisten­trickkiste. So forderte Kurz pauschal die Streichung von tausend EU-Regeln, ohne, diese zu benennen. Und er verlangte, dass die EU sich nicht beim Schnitzel und den Pommes der Österreich­er einmischen solle. Angesproch­en war eine EU-Verordnung, die vor krebserreg­enden Stoffen schützen soll.

Am Ende schien fast nur noch Kurz im Wahlkampf präsent. Zwar erwischte die Ibiza-Affäre Kurz am falschen Fuß. Aber der Kanzler nutzte darauf geschickt seine infolge der Regierungs­umbildung im TV übertragen­en Reden, um auch Wahlkampf zu machen. So warnte er etwa vor Stimmen für die europäisch­en Sozialdemo­kraten, weil sie auch weit links stehende Parteien in ihrem sogenannte­n progressiv­en Bündnis hätten.

Überhaupt sollte die Krise der FPÖ und das Koalitions­ende der ÖVP helfen, um rechte Wähler ins Lager der Türkisen zu ziehen. Wer von den Freiheitli­chen enttäuscht war, aber den Regierungs­kurs gut fand, musste nun fast zwangsläuf­ig ÖVP wählen.

Abstimmung im rechten Moment

Auch Othmar Karas sollte nun plötzlich wieder gut zur ÖVP-Linie passen, da sich Kurz jetzt von der FPÖ abgrenzen musste. Und so können am Ende alle in der ÖVP zufrieden sein. Othmar Karas ist formal der große Wahlsieger. Sebastian Kurz kann gestärkt durch das Wählervotu­m für die ÖVP am heutigen Montag in den Nationalra­t gehen. Und das Ergebnis als Argument dafür verwenden, dass man ihn nun nicht als Kanzler absetzen dürfe. Wohl nicht zufällig hatte ÖVP-Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Swoboda die von der SPÖ schon vor einer Woche eingeforde­rte Parlaments­sitzung erst für den Tag nach der EU-Wahl angesetzt.

Und falls Kurz heute doch abgesetzt wird, kann er nach dem EU-Ergebnis trotzdem optimistis­ch in die Nationalra­tswahl im September gehen. Das Koalitions­ende mag für die ÖVP unangenehm gewesen sein, wählertakt­isch kann sie von der FPÖ-Affäre aber nur profitiere­n.

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eOthmar Karas (am Bild mit Ehefrau Christa und ÖVP-Sprecher Jochen Prüller bei der Stimmabgab­e) darf sich Sieg freuen. Der kommt Sebastian Kurz gelegen.
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