Ein Sieg für Kanzler Kurz
ÖVP. Vor dem Misstrauensvotum im Parlament sieht sich die Partei durch das Wählervotum bestärkt.
Wien. „Kanzler Kurz, Kanzler Kurz“, rufen die türkisen Fans wie einstudiert und klatschen dabei. Auch Generalsekretär Karl Nehammer spricht von einem „starken Vertrauensvotum für Kanzler Sebastian Kurz“. Die Bundesregierung habe „Großartiges geleistet“, betont Beamten- und Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß, als sie ihre Interpretation des Wahlergebnisses abgibt.
Man könnte meinen, die ÖVP habe an diesem Sonntag die Nationalratswahl gewonnen. Dabei war es „nur“die Europawahl. Doch einen Tag vor dem Misstrauensantrag gegen den Kanzler im Parlament will die Partei eine Parole unter das Volk bringen. Nämlich, dass das Wahlergebnis eine Bestätigung dafür sei, dass Kurz Kanzler bleiben müsse. Das Ergebnis für die ÖVP (34,5 Prozent laut einer Trendprognose) bedeutet aber vor allem, dass die Partei sieben statt bisher fünf Mandatare ins EU-Parlament senden darf. Nicht zufällig ist ÖVPKandidat Wolfram Pirchner (Listenplatz sechs) bester Laune und ruft euphorisch „Bravo“, als Karl Nehammer spricht. Allerdings will die ÖVP erst nach Auswertung der Vorzugsstimmen entscheiden, wer es nach Brüssel bzw. Straßburg schafft.
Mit dabei ist wohl auf jeden Fall Othmar Karas, der sich als Spitzenkandidat der ÖVP über den Wahlerfolg freuen darf. „Danke, danke, danke“, ruft er in das Publikum. „Wenn wir uns nicht auseinander dividieren lassen, können wir jede Wahl beginnen“, betont er. Und lobt Kanzler Kurz.
Ausgerechnet jener Karas, den die Parteiführung zu Beginn des Wahlkampfs so kritisch beäugte. Schließlich passte der verdiente, aber für wenig Neues stehende EUParlamentarier so gar nicht in die Erzählung der damaligen türkis-blauen Bundesregierung. Karas hatte sich sogar immer wieder kritisch gegenüber der FPÖ geäußert und auch manche von der Koalition stolz präsentierten Maßnahmen kritisiert. Etwa jene europarechtlich strittige Regelung, laut der in Österreich arbeitende EU-Bürger weniger Familienbeihilfe bekommen, wenn ihre Kinder in Heimatländern mit niedrigeren Lebenshaltungskosten leben.
Ein Drei-Fronten-Wahlkampf
Doch die Kandidatur von Karas war als Winwin-Situation gedacht. Hätte er außerhalb der ÖVP kandidiert, wäre die ÖVP
die Gefahr eingegangen, proeuropäische Wähler zu verlieren. Und Karas wiederum brauchte eine große Partei, die seinen Wahlkampf führt. Dafür war er auch bereit, sich verstärkt der türkisen Message Control zu unterwerfen. Und so stellte Karas beim Wahlkampfauftakt in den Wiener Sofiensälen die SPÖ in Kommunistennähe und lobte Kanzler Sebastian Kurz über den türkisen Klee. Wie es das Drehbuch der Partei vorsah.
Auf Karas verlassen wollte sich die ÖVP aber nicht, sie fuhr eine Zwei-, am Ende sogar eine Drei-Fronten-Strategie. Für die Fans der türkis-blauen Bundesregierung wurde die Listenzweite Karoline Edtstadler ins Rennen geschickt. Die Staatssekretärin durfte zwei Wochen vor der Wahl noch einmal groß die (längst bekannten) Strafrechtsverschärfungen im Kanzleramt präsentieren.
Und auch der Kanzler selbst schaltete sich als Dritter im Bunde zunehmend in den Wahlkampf ein. Erst staatstragend mit Ideen für eine EU-Reform, dann mit einem tiefen Griff in die Populistentrickkiste. So forderte Kurz pauschal die Streichung von tausend EU-Regeln, ohne, diese zu benennen. Und er verlangte, dass die EU sich nicht beim Schnitzel und den Pommes der Österreicher einmischen solle. Angesprochen war eine EU-Verordnung, die vor krebserregenden Stoffen schützen soll.
Am Ende schien fast nur noch Kurz im Wahlkampf präsent. Zwar erwischte die Ibiza-Affäre Kurz am falschen Fuß. Aber der Kanzler nutzte darauf geschickt seine infolge der Regierungsumbildung im TV übertragenen Reden, um auch Wahlkampf zu machen. So warnte er etwa vor Stimmen für die europäischen Sozialdemokraten, weil sie auch weit links stehende Parteien in ihrem sogenannten progressiven Bündnis hätten.
Überhaupt sollte die Krise der FPÖ und das Koalitionsende der ÖVP helfen, um rechte Wähler ins Lager der Türkisen zu ziehen. Wer von den Freiheitlichen enttäuscht war, aber den Regierungskurs gut fand, musste nun fast zwangsläufig ÖVP wählen.
Abstimmung im rechten Moment
Auch Othmar Karas sollte nun plötzlich wieder gut zur ÖVP-Linie passen, da sich Kurz jetzt von der FPÖ abgrenzen musste. Und so können am Ende alle in der ÖVP zufrieden sein. Othmar Karas ist formal der große Wahlsieger. Sebastian Kurz kann gestärkt durch das Wählervotum für die ÖVP am heutigen Montag in den Nationalrat gehen. Und das Ergebnis als Argument dafür verwenden, dass man ihn nun nicht als Kanzler absetzen dürfe. Wohl nicht zufällig hatte ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Swoboda die von der SPÖ schon vor einer Woche eingeforderte Parlamentssitzung erst für den Tag nach der EU-Wahl angesetzt.
Und falls Kurz heute doch abgesetzt wird, kann er nach dem EU-Ergebnis trotzdem optimistisch in die Nationalratswahl im September gehen. Das Koalitionsende mag für die ÖVP unangenehm gewesen sein, wählertaktisch kann sie von der FPÖ-Affäre aber nur profitieren.