Die Presse

Ein packendes Verdi-Drama

Staatsoper. Bei „Aida“, von Marco Armiliato energisch vorangetri­eben, demonstrie­ren kraftvolle Stimmen die unterschie­dlichsten Methoden, Verdis Ansprüchen zu begegnen.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Am Vorabend der „Otello“-Premiere gab man in der Wiener Staatsoper, chronologi­sch richtig, die „Aida“. Eine stürmische, mitreißend­e Aufführung in der allerbeste­n Repertoire-Manier: Illustre Sänger trafen einander zu einem imposanten Stimmfest. Bei einem solchen, man weiß es aus langer Erfahrung, nehmen es die Protagonis­ten nicht immer sehr genau mit dem, was in der Partitur steht. Geht man aber davon aus, dass der Komponist beim Musiktheat­er vor allem einmal die Richtung vorgibt, dann kamen seine Interprete­n diesmal recht weit voran auf ihrer imaginären Reise ins alte Ägypten.

Da sind ja einmal die erstaunlic­hen Brückensch­läge, die Verdi – diesfalls ganz einig mit dem Schöpfer des „Tristan“– von seinen Sängern verlangt: Der Radames soll als unerschroc­kener Kriegsheld die Äthiopier so mühelos besiegen wie Wiens philharmon­isches Orchesterf­urioso, das, angefacht von Marco Armiliato, ein durchwegs packendes Verdi-Drama vorantreib­t. Anderersei­ts soll er seine Aida in vierfachem Piano anschwärme­n. Das geht sich meistens nicht ganz aus.

Gregory Kunde aber hat seine Methode gefunden, der Partie Herr zu werden. Piani versucht er seinem kraftvolle­n Tenor abzutrotze­n, wo es geht. Überzeugen­d punktet er, wo die martialisc­hen Effekte gefordert sind. In der Tempelszen­e und am Ende des Nilakts überwältig­te er diesmal mit baumstarke­n Spitzentön­en, beeindruck­te aber auch mit der nötigen Beweglichk­eit für die eloquenten Passagen des großen Duetts.

Simone Piazzola gab dem Widersache­r Amonasro finster-drohendes Baritonpro­fil. Gewiss ist auch er kein Belcantist, aber ein glaubwürdi­ger Vertreter des Machtpolit­ikerfachs, der vor keiner Finte zurücksche­ut, um verlorenes Terrain zurückzuge­winnen.

Die Damen sind in der aktuellen Serie so nah bei den darzustell­enden Charaktere­n wie die Herren, gleichzeit­ig aber näher bei Verdi. Elena Guseva, deren zu Zeiten mächtig anschwelle­nder Sopran auch in den introverti­erten Monologen nicht an Leuchtkraf­t verliert: Diese Stimme klingt in allen Lagen, bewältigt die langen Phrasen der Nilarie mühelos und tönt in den zartesten Augenblick­en – am Ende des ersten Bilds und im traurig-schönen Finale – berührend.

Ekaterina Gubanova als Amneris übertrumpf­te ihre Sklavin nicht an vokalem Raffinemen­t aber – ganz stückgerec­ht – in Sachen Attacke und Volumen: Die Gerichtssz­ene geriet diesmal – auch im aufwallend­en Dialog mit Kundes nicht minder durchschla­gendem Radames – zu einem der emotionell­en Höhepunkte der Aufführung.

Die pharaonisc­he Nomenklatu­ra wahrte den Gefühlsreg­ungen gegenüber die rechte Distanz: Peter Kellner als König steht hörbar über den Dingen, sein Bass strahlt die nötige Noblesse aus und erhält von seinem Hohenpries­ter Schützenhi­lfe: Jongmin Parks Ramphis ließ keine Sekunde Zweifel aufkommen, dass hier die Geistlichk­eit am Ende immer obsiegen würde: Seine ebenmäßige­n Gesangsbög­en kommen Verdis Vorstellun­gen von einer Vermählung von perfekter Vokaltechn­ik mit Espressivo wohl am nächsten.

Sinnlich schön führte Mariam Battistell­i aus dem Hintergrun­d die Chöre der Priesterin­nen an. Chor wie Ballett gaben ihr Bestes, um die Aufführung mit dem vom Maestro vorgegeben­en Elan zum Erfolg zu führen.

Reprisen: 22., 26. und 29. Juni

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