Ein packendes Verdi-Drama
Staatsoper. Bei „Aida“, von Marco Armiliato energisch vorangetrieben, demonstrieren kraftvolle Stimmen die unterschiedlichsten Methoden, Verdis Ansprüchen zu begegnen.
Am Vorabend der „Otello“-Premiere gab man in der Wiener Staatsoper, chronologisch richtig, die „Aida“. Eine stürmische, mitreißende Aufführung in der allerbesten Repertoire-Manier: Illustre Sänger trafen einander zu einem imposanten Stimmfest. Bei einem solchen, man weiß es aus langer Erfahrung, nehmen es die Protagonisten nicht immer sehr genau mit dem, was in der Partitur steht. Geht man aber davon aus, dass der Komponist beim Musiktheater vor allem einmal die Richtung vorgibt, dann kamen seine Interpreten diesmal recht weit voran auf ihrer imaginären Reise ins alte Ägypten.
Da sind ja einmal die erstaunlichen Brückenschläge, die Verdi – diesfalls ganz einig mit dem Schöpfer des „Tristan“– von seinen Sängern verlangt: Der Radames soll als unerschrockener Kriegsheld die Äthiopier so mühelos besiegen wie Wiens philharmonisches Orchesterfurioso, das, angefacht von Marco Armiliato, ein durchwegs packendes Verdi-Drama vorantreibt. Andererseits soll er seine Aida in vierfachem Piano anschwärmen. Das geht sich meistens nicht ganz aus.
Gregory Kunde aber hat seine Methode gefunden, der Partie Herr zu werden. Piani versucht er seinem kraftvollen Tenor abzutrotzen, wo es geht. Überzeugend punktet er, wo die martialischen Effekte gefordert sind. In der Tempelszene und am Ende des Nilakts überwältigte er diesmal mit baumstarken Spitzentönen, beeindruckte aber auch mit der nötigen Beweglichkeit für die eloquenten Passagen des großen Duetts.
Simone Piazzola gab dem Widersacher Amonasro finster-drohendes Baritonprofil. Gewiss ist auch er kein Belcantist, aber ein glaubwürdiger Vertreter des Machtpolitikerfachs, der vor keiner Finte zurückscheut, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen.
Die Damen sind in der aktuellen Serie so nah bei den darzustellenden Charakteren wie die Herren, gleichzeitig aber näher bei Verdi. Elena Guseva, deren zu Zeiten mächtig anschwellender Sopran auch in den introvertierten Monologen nicht an Leuchtkraft verliert: Diese Stimme klingt in allen Lagen, bewältigt die langen Phrasen der Nilarie mühelos und tönt in den zartesten Augenblicken – am Ende des ersten Bilds und im traurig-schönen Finale – berührend.
Ekaterina Gubanova als Amneris übertrumpfte ihre Sklavin nicht an vokalem Raffinement aber – ganz stückgerecht – in Sachen Attacke und Volumen: Die Gerichtsszene geriet diesmal – auch im aufwallenden Dialog mit Kundes nicht minder durchschlagendem Radames – zu einem der emotionellen Höhepunkte der Aufführung.
Die pharaonische Nomenklatura wahrte den Gefühlsregungen gegenüber die rechte Distanz: Peter Kellner als König steht hörbar über den Dingen, sein Bass strahlt die nötige Noblesse aus und erhält von seinem Hohenpriester Schützenhilfe: Jongmin Parks Ramphis ließ keine Sekunde Zweifel aufkommen, dass hier die Geistlichkeit am Ende immer obsiegen würde: Seine ebenmäßigen Gesangsbögen kommen Verdis Vorstellungen von einer Vermählung von perfekter Vokaltechnik mit Espressivo wohl am nächsten.
Sinnlich schön führte Mariam Battistelli aus dem Hintergrund die Chöre der Priesterinnen an. Chor wie Ballett gaben ihr Bestes, um die Aufführung mit dem vom Maestro vorgegebenen Elan zum Erfolg zu führen.
Reprisen: 22., 26. und 29. Juni