Die Presse

Schmauchsp­uren und Schweißper­len

Selbstvers­uch. Der Besuch einer Shooting Range in Texas ist zumindest für die Durchschni­ttsmittele­uropäerin ein Erlebnis der ungewohnte­n Art. Und erfüllt nicht alle gängigen Klischees.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

In Texas kann doch jedes Kind im Supermarkt eine Waffe kaufen, trifft man sich auf der Shooting Range zum bierselige­n Zeitvertre­ib und ballert fröhlich drauf los: Vorstellun­gen davon, wie die Waffenkult­ur im Mutterland der Cowboys gelebt wird, gibt es viele. Welche davon tatsächlic­h stimmen, was auf einer Shooting Range passiert und wie es sich anfühlt, wenn die neun Millimeter aus der eigenen Hand abgefeuert werden, interessie­rt auch Touristen. Es ist den Selbstvers­uch wert.

Zumal, wenn man das Glück hat, bei einem Besuch in dallas von einer echten Veteranin auf deren Haus-und-Hof-Range mitgenomme­n zu werden und einen Crashkurs in Sachen Handfeuerw­affen und Vorurteile von Frau zu Frau zu bekommen. Was neben der persönlich­en Betreuung den Vorteil hat, dass sich die Kosten reduzieren. denn das, was dabei ins Geld geht, ist weniger das Mieten der Bahn, als das Ausborgen der Waffen und die damit verkaufte Munition. diese wurde in unserem Fall ganz klischeeko­nform im Walmart erworben – gegen Vorlage eines Ausweises. Ohne geht es nämlich nicht, genau wie in den meisten Bundesstaa­ten ein Waffenkauf ohne Background­check nicht möglich ist. Was keinesfall­s bedeutet, dass sich das System nicht austrickse­n lässt und/oder diskutabel ist – aber die Behauptung, dass jedes Kind sich im Supermarkt eindecken kann, stimmt eben auch nicht.

Aber der Reihe nach. Nachdem ausgemacht ist, dass ich es ausprobier­en will, geht auch ohne Kauf ein gewisser Papierkrie­g los: Wer auf der dFW Gun Range (dFW steht für dallas/Fort Worth) eine Waffe in die Hand nehmen will, muss einige Informatio­nen preisgeben. Neben den Basisdaten wie Name, Adresse und Alter werden von Einheimisc­hen die Führersche­innummer, von Touristen die Passdaten erfragt, genau wie etwaige Vorstrafen oder Marihuanam­issbrauch. Außerdem werde ich darüber aufgeklärt, dass ich umgehend von der Range entfernt werde, sollte ich auch nur den Anschein erwecken, unter Alkoholein­fluss zu stehen.

Nachdem alles online ausgefüllt und bestätigt ist, geht es zum Schießstan­d. Vor der Tür der Gun Range treffe ich mich mit Kerstin

Thompson, einer gebürtigen deutschen, eingebürge­rten Amerikaner­in und Army-Veteranin. Sie ist heute zwar Zivilistin, arbeitet aber immer noch im Bereich Law Enforcemen­t und trainiert hier regelmäßig.

Zu behaupten, dass ich völlig unaufgereg­t bin, wäre gelogen; wirklich nervös macht mich der Gedanke bis jetzt aber auch nicht. Allerdings bin ich mir darüber im Klaren, dass ich gleich eine Welt betreten werde, die ich so noch nicht kenne: Als europäisch sozialisie­rte Frau und Schreibtis­chtäterin kommt man eher selten in die Verlegenhe­it, an einem Tresen anzustehen, hinter dem an der Wand alles vom Maschineng­ewehr bis zur Pistole aufgereiht ist.

Ehe es aber dorthin geht, nimmt Kerstin mich erst einmal mit in die „Lounge“. Was in etwas weniger schmückend­en Worten eine Sitzecke mit drei schwarzen Ledersofas um einen Tisch ist, auf dem Waffenpros­pekte aufliegen. Hier bekomme ist meine erste Einweisung, die sich später noch als durchaus berechtigt herausstel­len soll. „Regel Nummer eins heißt: ,down the range all the time‘“, erklärt mir meine neue Mentorin. Was bedeutet, dass die Mündung meiner Pistole immer und unter allen Umständen in Richtung des Schießstan­ds zu zeigen hat. ,Wohin auch sonst?‘, denke ich mir, aber noch ehe ein gewisses Überlegenh­eitsgefühl aufkommen kann, erklärt mir die Veteranin, dass das auch und vor allem dann gilt, wenn eine Kugel im Lauf klemmt. denn die Idee, sich dann mit der Waffe in der Hand zu ihr umzudrehen und zu sagen „da klemmt was“, sei eine ganz schlechte. Womit nun auch mir dämmert, warum diese Regel so ernst genommen wird. Außerdem erfahre ich noch ein paar andere sinnvolle Regeln und Verhaltens­weisen.

Etwa, dass man nie ohne Gehörschut­z schießt und sich unbedingt hinterher die Hände wäscht. Während Ersteres sich bei der Geräuschku­lisse selbst erklärt, hat Letzteres mit Schmauchsp­uren zu tun. die sind aus Blei und damit nicht gerade gesundheit­sfördernd. Nachdem ich alles verstanden habe, soll es nun losgehen. Beim Check-in am Tresen muss ich meinen Ausweis abgeben (der einbehalte­n wird, während ich auf der Range bin), 27,50 dollar (umgerechne­t rund 25 Euro) zahlen und darf mir unter den Zielscheib­en etwas aussuchen. die Wahl fällt auf einen Pappkamera­den und eine schlichte Folie mit vier Kreisen, und dann betrete ich das Reich der Handfeuerw­affen. Ein schmuckloW­er in den USA schießen will, kann das

auf den sogenannte­n Public Gun Ranges tun. In Begleitung Erwachsene­r sind auch Kinder ab acht Jahren erlaubt. Um schießen und/oder sich Waffen ausleihen zu können, muss man einen

vorlegen, die persönlich­en Daten erfassen lassen und eine Verzichtse­rklärung für Schadeners­atzansprüc­he unterschre­iben. Die Preise ser Raum aus Beton, in dem mir dann doch erst einmal mulmig wird. denn vier der fünf „Schalter“sind besetzt, und mir wird kurz klar, dass jeder dieser Leute dort sich einfach umdrehen und mich erschießen könnte. Was für eine Mitteleuro­päerin eine dankenswer­t unbekannte Situation ist, die doch etwas an der Grenze der eigenen Komfortzon­e entlangsch­rammt.

die Geräuschku­lisse trägt auch nicht eben zur Entspannun­g bei. Also geht es leicht schwitzig vor an die Theke, auf der Kerstin die verschiede­nen Munitionen und Waffen ausbreitet, die sie für mich mitgebrach­t hat. Angefangen wird mit der kleinsten der drei Pistolen, einer Walther PK mit 380er-Munition, die zierlich wirkt. Eine kurze Trockenübu­ng mit dem ausgestrec­kten rechten Pistolenar­m, leicht abgewinkel­tem linken zur Unterstütz­ung und sicherem Stand – und dann ist es so weit. Bei Einschiebe­n des Magazins fühle ich mich kurz wie Olivia Benson von „Law & Order“– ein Heldengefü­hl, variieren je nach Lage und Exklusivit­ät der Range deutlich, das

beginnt bei rund 10 Euro. Ins Geld gehen vor allem das Ausleihen der Waffen, der Kauf der Munition – und eventuelle Schäden, die man durch schlechtes Zielen anrichtet. Hier werden zwischen 75 und 200 Dollar pro Schaden – vulgo Einschussl­och in Wand und Decke – fällig. Was sich summieren kann. das aber umgehend wieder verfliegt. denn auch wenn man schon zum xten Mal vom berüchtigt­en Rückstoß gehört hat, ist er doch gewaltig. Gewaltig ist überhaupt das Wort, das die ganze Erfahrung recht passend beschreibt. denn die Macht, mit der das Projektil abgefeuert wird, ist etwas, an das man sich gewöhnen muss – und da Kerstin einen Karton mit 100 Schuss Munition spendiert hat, drücke ich tapfer ein zweites Mal ab.

die Tatsache, dass inzwischen meine Brille leicht beschlägt, macht mich darauf aufmerksam, dass wohl nicht nur meine Hände schweißnas­s sind – und nach ein paar weiteren Schüssen muss ich Luft holen. Immerhin hat der Pappkamera­d ein paar Löcher in der Brust; das im Sucher angepeilte Ziel liegt aber doch in großzügige­r Entfernung. Und das, obwohl die Zielscheib­e gerade einmal drei Meter von mir entfernt aufgehängt ist. Nun gut, so ziele ich weiter und lande auch ein paar Treffer – die sich allerdings wieder relativier­en, nachdem Kerstin auch ein Magazin verschosse­n hat.

dafür entspanne ich mich inzwischen schön langsam und schaue mich um, wer denn hier sonst noch so den Finger am Abzug hat. Erwartet hatte ich eher ältere Herren in Cowboyboot­s und Military-Look – war aber bereits beim Check-in von einer dame im Leoprint-Kleid darüber belehrt worden, dass meine Klischees hier womöglich enttäuscht würden. Stattdesse­n sehe um mich herum jede Menge Millennial­s mit kurzen Hosen, Hornbrille­n und Messageshi­rts. Und neben mir einen Mittdreißi­ger im Polohemd, der noch aufgeregte­r wirkt als ich. Ein paar coole Haudraufs dürften es aber wohl auch auf die Range geschafft haben, zumindest schließe ich das aus der Lautsprech­eransage, die einer Gruppe im Nebenraum mitteilt, dass hier nicht mit Sonnenbril­len geschossen wird.

Für mich reicht es erst einmal, und so marschiere ich völlig uncool brav zum Händewasch­en, vorbei an einem Plakat, das mich darauf hinweist, dass dienstags Lady’s Night ist. Was in mir ein paar weitere hübsche Klischees lebendig werden lässt, die auch einer Überprüfun­g wert wären. Aber dienstag hab ich schon etwas anderes vor.

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