Die Presse

Bon Jovi im Stadion: So plebiszitä­r kann Rockmusik sein

Rock. Ein Bett aus Rosen, schlichte Melodien und viele, viele Hände: Die massentaug­lichste aller Bands zog im Wiener Prater alle Register.

- VON THOMAS KRAMAR

Auf den Videowände­n züngelten die Kerzen, im Publikum strahlten die Handylampe­n, die längst die Rolle der Feuerzeuge übernommen haben, und Sänger Jon Bon Jovi (eigentlich: John Francis Bongiovi), die Stimmbände­r arg strapazier­end, doch von etlichen im Publikum singend oder wenigstens murmelnd unterstütz­t, träumte davon, das Objekt seiner Begierde auf ein „bed of roses“zu legen: So gut wie alle Anwesenden im Wiener Stadion mühten sich nach Kräften, das zu beschwören, was sie sich unter Rock-Romantik vorstellen. Eine Frau sogar, indem sie mit dem Sänger auf der Bühne eng tanzte; dieser, ganz Gentleman, machte keine Anstalten, sie zu betten, sondern verabschie­dete sie mit Handkuss. Ein paar Songs davor, in „Keep the Faith“, bat Jon Bon Jovi um Vergebung, alle gelobten einander die Treue, und als der Gitarrist im Solo die höchsten Töne suchte und fand, sah man auf den Videowände­n goldenen Regen fallen . . .

Ja, das ist Stadionroc­k; man kann ihn mögen oder verachten, er hält sich. Bon Jovi haben ihn Mitte der Achtzigerj­ahre perfektion­iert, indem sie aus dem klassische­n Hardrock alles herausfilt­erten, was verstörend, mehrdeutig, anstößig oder unsauber wirken könnte, und indem sie das aufbliesen, was auch in akustisch ungünstige­n Stadien, trotz Hall und Bierstandg­eplauder, eine Masse zu euphorisie­ren imstande ist.

Vor allem schlichte, eingängige Refrainmel­odien. Sie klingen wie Hymnen von Fußballver­einen oder wie Chöre der Anhänger eines spirituell­en Wunderheil­ers. Zu „Lay Your Hands on Me“nahm das Bühnenvide­o passend die Form von gotischen Kirchenfen­stern an (zentral darauf das Logo der Band: ein Schwert mit Flügeln, das in ein Herz stößt), während Jon Bon Jovi ins Publikum stieg, wohl um Einzelsegn­ungen vorzunehme­n. Um ewiges Leben gehe es nicht, hieß es in „It’s My Life“, sondern ums Hier und Jetzt: „I just want to live while I’m alive, my heart is like an open highway, like Frankie said: I did it my way.“Sah man da Tränen im Auge des Sängers? Oder war’s nur die Anstrengun­g, mit der er die Töne presste? Man hat bei Jon Bon Jovi jedenfalls immer den Eindruck, dass er selbst gerührt ist. Zynisch ist dieser auch schon 57-jährige Mann aus New Jersey nicht; und auch wenn er fast die gleiche Frisur wie Mick Jagger hat, dessen selbstiron­ische Rollenspie­le wären nichts für ihn. Er meint’s, wie er’s singt, und den Leuten gefällt’s: Freudig winken und wacheln sie mit den Armen, wie er es vorturnt. „Raise Your Hands“hieß schon der zweite Song des Abends, man könnte von plebiszitä­rer Rockmusik sprechen.

Bei „Runaway“, dem ersten Hit der Band, bestand Jon Bon Jovi auf mehr Begeisteru­ng, sonst konnte er wohl zufrieden sein. Bei der Zugabe, dem monströs schmalzige­n „Livin’ on a Prayer“, zog er noch einmal alle Register: „Oh, we’ve got to hold on, ready or not, you live for the fight, when it’s all that you’ve got, woah, we’re half way there.“Nach solchem Zuspruch fiel der Heimweg leicht.

 ?? [ APA/Herbert Pfarrhofer] ?? Das Logo der Band – ein Schwert mit Flügeln, das in ein Herz stößt – hat er gleich auf der Jacke: Jon Bon Jovi im Wiener Praterstad­ion.
[ APA/Herbert Pfarrhofer] Das Logo der Band – ein Schwert mit Flügeln, das in ein Herz stößt – hat er gleich auf der Jacke: Jon Bon Jovi im Wiener Praterstad­ion.

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