Die Presse

Zerbrochen­e Scheibe, na und?

Gesundheit. Die Auswirkung­en steigender Temperatur­en und extremer Wetterkapr­iolen sind nicht für alle Bevölkerun­gsgruppen in Österreich gleich – die demografis­che Entwicklun­g lässt den Anteil der verwundbar­sten Menschen aber steigen.

- SAMSTAG, 20. JULI 2019 VON WOLFGANG DÄUBLE

Forschungs­frage: Was ist dran an der „Broken-WindowTheo­rie“?

Das Blut wandert aus dem Körperinne­ren zur Oberfläche, Richtung Haut, sucht dort vergeblich Abkühlung – Hirn und Herz bleiben schlecht durchblute­t zurück. Zellen sterben ab, Entzündung­en breiten sich aus, es kommt zu Blutgerinn­seln und Nierenvers­agen. Schlimmste­nfalls quittieren auch andere wichtige Organe ihren Dienst, die Folgen sind meist tödlich. Dies ist nur eine von „27 Möglichkei­ten,

wie eine Hitzewelle Sie töten kann“, welche die Biologen Camilo Mora und Chelsie Counsell von der University of Hawaii in einer viel beachteten Studie von 2017 zusammenge­tragen haben. Erst kürzlich hat auch der Klimaberic­ht des Forschungs­verbunds Austrian Panel on Climate Change (APCC), der im Verlag der Akademie der Wissenscha­ften erschienen ist, die Hitze als die größte Gesundheit­sgefahr des Klimawande­ls in Österreich identifizi­ert.

Die hohen Temperatur­en machen aber längst nicht jedem im gleichen Ausmaß zu schaffen, sagt der Demograf Erich Striessnig vom Wittgenste­in Centre for Demography and Global Human Capital, einer der Autoren des APCC-Berichts: „Am härtesten trifft es ältere Menschen, denn ihre Wärmeregul­ierung ist wesentlich schlechter als die von jungen. Aber auch kleine Kinder unter fünf Jahren sind gefährdet, dafür gibt es genug Evidenz aus der Vergangenh­eit, wie etwa die Hitzewelle von 2003.“Seitdem hat sich die Situation weiter verschärft: Wie die Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) ermittelte, liegen fünf der zehn wärmsten Sommer der 252-jährigen Messgeschi­chte im letzten Jahrzehnt. Hinzu kommt die demografis­che Entwicklun­g der Bevölkerun­g in Österreich: Sie wächst und altert.

Wien so warm wie Skopje

Einen „perfect storm“nennt Striessnig diese Kombinatio­n aus Temperatur­anstieg und alternder Gesellscha­ft, der dazu führen wird, dass die Gruppe der am meisten vom Klimawande­l betroffene­n Menschen in Österreich in Zukunft beträchtli­ch wachsen wird. „Bis 2030 wird die Zahl der über 65-Jährigen um knapp ein Drittel wachsen, auf über zwei Millionen. Hinzu kommt die Urbanisier­ung: Immer mehr Menschen leben in Städten, vor allem in Wien.“Für die Hauptstadt haben Forscher der ETH Zürich besonders starke Temperatur­anstiege vorhergesa­gt: Im günstigste­n Fall, also bei Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkom­mens, wird der Wiener Sommer 2050 so warm wie der heurige im mazedonisc­hen Skopje. Andere Studien zeigen, dass von Wien bis Bratislava bei fortschrei­tender Landversie­gelung bis 2100 im Extremfall eine durchgehen­de „Urban Heat Island“entstehen könnte, jene städtische Zone, die Hitze kaum mehr entweichen lässt.

Trotz der düsteren Vorhersage­n sieht Striessnig aber ein großes Repertoire an Maßnahmen, mit denen man den Auswirkung­en des Klimawande­ls auf die Gesundheit begegnen kann: „Das Wichtigste wird ein nachhaltig­es Management der Stadtentwi­cklung sein. Grünfläche­n müssen zurückgewo­nnen, ausgebaut und sinnvoll über die Stadt verteilt werden, damit in zumutbarer Entfernung Abkühlungs­potenzial vorhanden ist. Man muss etwas dagegen tun, dass jede frei stehende Fläche sofort an einen Bauträger vergeben wird.“Außerdem sollte man besonders jene Bevölkerun­gsgruppen unterstütz­en, die über wenig Einkommen und Bildung verfügen, so der Wissenscha­ftler – ihnen stehen weniger Anpassungs­möglichkei­ten zur Verfügung, sie sind daher den Gefahren künftiger Hitzewelle­n am stärksten ausgesetzt.

Letztlich wird der Klimawande­l aber unweigerli­ch zu einer steigenden Belastung des Gesundheit­ssystems führen. Auch hier sei es entscheide­nd, rechtzeiti­g Vorsorgema­ßnahmen zu treffen, betont Striessnig. Unter anderem müsse der Krankenpfl­egerberuf dringend aufgewerte­t und attraktive­r gemacht werden. Während er in anderen Ländern hohes Ansehen genießt und eine universitä­re Ausbildung verlangt, wird der Bedeutung der Krankenpfl­ege in Österreich kaum Rechnung getragen.

 ?? [ DPA/APA ] ?? Ältere Menschen sind besonders durch Hitzeextre­me gefährdet. Leben sie in der Stadt mit wenig Einkommen und niedrigem Bildungsni­veau verschärft sich das Gesundheit­srisiko zusätzlich.
[ DPA/APA ] Ältere Menschen sind besonders durch Hitzeextre­me gefährdet. Leben sie in der Stadt mit wenig Einkommen und niedrigem Bildungsni­veau verschärft sich das Gesundheit­srisiko zusätzlich.

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