Zerbrochene Scheibe, na und?
Gesundheit. Die Auswirkungen steigender Temperaturen und extremer Wetterkapriolen sind nicht für alle Bevölkerungsgruppen in Österreich gleich – die demografische Entwicklung lässt den Anteil der verwundbarsten Menschen aber steigen.
Forschungsfrage: Was ist dran an der „Broken-WindowTheorie“?
Das Blut wandert aus dem Körperinneren zur Oberfläche, Richtung Haut, sucht dort vergeblich Abkühlung – Hirn und Herz bleiben schlecht durchblutet zurück. Zellen sterben ab, Entzündungen breiten sich aus, es kommt zu Blutgerinnseln und Nierenversagen. Schlimmstenfalls quittieren auch andere wichtige Organe ihren Dienst, die Folgen sind meist tödlich. Dies ist nur eine von „27 Möglichkeiten,
wie eine Hitzewelle Sie töten kann“, welche die Biologen Camilo Mora und Chelsie Counsell von der University of Hawaii in einer viel beachteten Studie von 2017 zusammengetragen haben. Erst kürzlich hat auch der Klimabericht des Forschungsverbunds Austrian Panel on Climate Change (APCC), der im Verlag der Akademie der Wissenschaften erschienen ist, die Hitze als die größte Gesundheitsgefahr des Klimawandels in Österreich identifiziert.
Die hohen Temperaturen machen aber längst nicht jedem im gleichen Ausmaß zu schaffen, sagt der Demograf Erich Striessnig vom Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital, einer der Autoren des APCC-Berichts: „Am härtesten trifft es ältere Menschen, denn ihre Wärmeregulierung ist wesentlich schlechter als die von jungen. Aber auch kleine Kinder unter fünf Jahren sind gefährdet, dafür gibt es genug Evidenz aus der Vergangenheit, wie etwa die Hitzewelle von 2003.“Seitdem hat sich die Situation weiter verschärft: Wie die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ermittelte, liegen fünf der zehn wärmsten Sommer der 252-jährigen Messgeschichte im letzten Jahrzehnt. Hinzu kommt die demografische Entwicklung der Bevölkerung in Österreich: Sie wächst und altert.
Wien so warm wie Skopje
Einen „perfect storm“nennt Striessnig diese Kombination aus Temperaturanstieg und alternder Gesellschaft, der dazu führen wird, dass die Gruppe der am meisten vom Klimawandel betroffenen Menschen in Österreich in Zukunft beträchtlich wachsen wird. „Bis 2030 wird die Zahl der über 65-Jährigen um knapp ein Drittel wachsen, auf über zwei Millionen. Hinzu kommt die Urbanisierung: Immer mehr Menschen leben in Städten, vor allem in Wien.“Für die Hauptstadt haben Forscher der ETH Zürich besonders starke Temperaturanstiege vorhergesagt: Im günstigsten Fall, also bei Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, wird der Wiener Sommer 2050 so warm wie der heurige im mazedonischen Skopje. Andere Studien zeigen, dass von Wien bis Bratislava bei fortschreitender Landversiegelung bis 2100 im Extremfall eine durchgehende „Urban Heat Island“entstehen könnte, jene städtische Zone, die Hitze kaum mehr entweichen lässt.
Trotz der düsteren Vorhersagen sieht Striessnig aber ein großes Repertoire an Maßnahmen, mit denen man den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit begegnen kann: „Das Wichtigste wird ein nachhaltiges Management der Stadtentwicklung sein. Grünflächen müssen zurückgewonnen, ausgebaut und sinnvoll über die Stadt verteilt werden, damit in zumutbarer Entfernung Abkühlungspotenzial vorhanden ist. Man muss etwas dagegen tun, dass jede frei stehende Fläche sofort an einen Bauträger vergeben wird.“Außerdem sollte man besonders jene Bevölkerungsgruppen unterstützen, die über wenig Einkommen und Bildung verfügen, so der Wissenschaftler – ihnen stehen weniger Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung, sie sind daher den Gefahren künftiger Hitzewellen am stärksten ausgesetzt.
Letztlich wird der Klimawandel aber unweigerlich zu einer steigenden Belastung des Gesundheitssystems führen. Auch hier sei es entscheidend, rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen zu treffen, betont Striessnig. Unter anderem müsse der Krankenpflegerberuf dringend aufgewertet und attraktiver gemacht werden. Während er in anderen Ländern hohes Ansehen genießt und eine universitäre Ausbildung verlangt, wird der Bedeutung der Krankenpflege in Österreich kaum Rechnung getragen.