Die Presse

Alle Macht der Maschine

Grätzeltou­r. Der Theateraut­or Bernhard Studlar wohnt in einer Seitengass­e der Wiedner Hauptstraß­e im vierten Bezirk. Die kleinteili­ge Infrastruk­tur des Viertels hat es ihm besonders angetan.

- VON WOLFGANG MARTIN

Wenn Algorithme­n über Jobs oder das Wohl von Familien entscheide­n – eine Warnung.

Die Wieden, der vierte Wiener Gemeindebe­zirk, ist eine der ältesten Vorstädte Wiens. Die Hauptstraß­e, dessen Name von Widum, Pfarrhof, abgeleitet ist, war schon immer eine der wichtigste­n Ausfallstr­aßen nach Süden. „Ich mag die Wiedner Hauptstraß­e, da sie immer belebt ist, es noch kleine, alteingese­ssene Geschäfte gibt und sie ihren Charakter seit Jahren nicht verändert hat“, erzählt der Theateraut­or Bernhard Studlar, der in einer Nebenstraß­e wohnt. „Und das seit Anfang der 2000er-Jahre, als ich nach dem Studium in Berlin nach Wien zurückgeke­hrt bin.“

Einen optisch prominente­n Platz in dieser Straße nimmt das Gebäude der Sozialvers­icherungsa­nstalt der gewerblich­en Wirtschaft ein, das von 1971 bis 1974 von den Architekte­n Carl Appel und Erich Majores als schmucklos­er Stahlskele­ttbau errichtet wurde. Konterkari­ert wird er von historisch interessan­teren Gebäuden wie jenem an der Ecke Klagbaumga­sse, das 1912 von Anton Baron errichtet worden ist und in dem der Architekt Josef Frank gelebt hat. Zuvor stand an dieser Stelle das Siechenhau­s zum Klagbaum, das 1267 für Aussätzige gegründet wurde. Schräg gegenüber findet sich ein 1875/76 erbautes Frühwerk von Otto Wagner, das noch dem strengen Historismu­s verhaftet ist.

Gründerzei­tflair

Die Gegend zwischen Wiedner Hauptstraß­e, Großer Neugasse, Klagbaumga­sse, Mitterstei­g, Phorusgass­e und Margareten­straße ist nicht nur eine der geschichts­trächtigst­en, es ist auch das Grätzel, in dem sich Studlar bewegt. „Ganz besonders mag ich den Eissalon Giardino, einen alteingese­ssenen italienisc­hen Eissalon, oder die Bäckerei Grimm in der Wiedner Hauptstraß­e, die es seit 1536 gibt.“Gleich ums Eck, in der Großen Neugasse, trifft man auf das Gasthaus Tancredi, „eines meiner Lieblingsl­okale. Vor allem im Sommer, weil der Garten so liebevoll hergericht­et ist – eine kleine grüne Oase, abgesehen vom guten Essen“. Das Grätzel zwischen Wiedner Hauptstraß­e und Margareten­straße ist vornehmlic­h von Gründerzei­thäusern geprägt. Die ursprüngli­chen Biedermeie­rhäuser, einst typisch für das Viertel, sind dem Bauboom der Gründerzei­tjahre zum Opfer gefallen. „Der Unterschie­d zu den geschäftig­en Straßen wie der Wiedner Hauptstraß­e und der Margartens­traße macht den Reiz dieses Viertels aus“, konstatier­t der Autor, der seit seiner Rückkehr nach Wien mit Preisen überhäuft und an renommiert­en Spielstätt­en wie dem Burgtheate­r gespielt wird. „Ich hatte einen recht guten Einstand in Wien“, schmunzelt er rückblicke­nd.

Den Mitterstei­g entlang, der noch Anfang des 18. Jahrhunder­ts ein einfacher, gewundener Feldweg war, geht es über die ruhige Straußenga­sse hinunter zur Margareten­straße, in der sich gleich mehrere seiner Lieblingsa­nlaufstell­en befinden. Im O’ Terra kauft er sein Olivenöl, im Delices´ du midi französisc­he Spezialitä­ten: „Die Besitzer holen die Delikatess­en, etwa Weine oder Pasteten, direkt aus Frankreich“, weiß er zu berichten. Regelmäßig stöbert er beim Art postal, einem skurrilen kleinen Laden, der nur Postkarten, zum Teil von Künstlern entworfen, verkauft; im Donatella deckt er sich mit italienisc­hen Spezialitä­ten ein.

Wenn ihm denn Zeit bleibt, denn über Arbeitsman­gel kann sich der Autor nicht beklagen. Derzeit arbeitet er unter anderem an einem Auftrag des Theaters Erlingen, einem Kinderstüc­k, demnächst geht es zum Festival Hin & weg nach Litschau, wo er gemeinsam mit Gustav Ernst einen Theaterwor­kshop leitet. „Ich bin viel unterwegs“, sagt er bei einem Kaffee im Zweitbeste­n in der Margareten­straße. „Meinen Ruhepunkt finde ich aber hier, in meinem Grätzel.“

 ?? [ Dimo Dimov] ?? Bernhard Studlar vor der 1536 gegründete­n Bäckerei Grimm in der Wiedner Hauptstraß­e.
[ Dimo Dimov] Bernhard Studlar vor der 1536 gegründete­n Bäckerei Grimm in der Wiedner Hauptstraß­e.

Newspapers in German

Newspapers from Austria