Die versteckte Personallücke
Tourismus. Osteuropas Kellner lösten die ostdeutschen ab – nun bleiben auch die aus. Das IHS hat berechnet, was das bedeutet. Und wieso der Personalmangel größer wird als gedacht.
Jeder in der ostdeutschen Tourismusbranche hat sie, die Freunde, die nach Jahren in westösterreichischen Hotels und Skihütten zurückgekommen sind. Auch Guido Zöllick, der Chef des deutschen Hotelverbands Dehoga. Er leitet selbst ein Hotel an der Ostsee nahe Rostock – dort, am Meer, gab es immer genug Arbeit, aber anderswo in den neuen Bundesländern seien erst in den vergangenen Jahren Hotels entstanden. Viele mit Spa-Angebot, das auch außerhalb der Hauptsaison genützt wird. Die gute Nachricht sei: Der Tourismus in seinem Land wachse konstant, und das nicht mehr nur in Bayern und am Meer. Die schlechte: Der demografische Wandel schlage im Osten voll zu, die seit gut zehn Jahren stark rückläufigen Schulabgänger- und Lehrlingszahlen zeigten sich jetzt auf dem Arbeitsmarkt. Die Prognose von Dehoga: Kommt kein starker Konjunktureinbruch, wird sich der Mitarbeitermangel weiter zuspitzen.
Wie sieht es in den österreichischen Hotels aus, wo die Nachbarn früher gearbeitet haben? Die Sozialversicherungsdaten aus der Hotellerie zeigen: Die Rückwanderung der Deutschen ist nicht das große Problem. Denn seit der Ostöffnung des Arbeitsmarkts vor acht Jahren haben die osteuropäischen Mitarbeiter sie klar überholt. Sie sind heute – nach den Österreichern – die zweite tragende Säule in der Hotellerie. „Ohne die Beschäftigten aus den neuen EU-Staaten wäre das Wachstum der letzten Jahre gar nicht möglich gewesen“, sagt IHS-Arbeitsmarktexperte Dominik Walch zur „Presse“. Die Ostöffnung habe im vergangenen Jahrzehnt wie eine Droge für die Branche gewirkt: Ohne sich besonders anzustrengen, hätten die Betriebe genügend willige Hände gefunden, die für die Bezahlung gern kamen. Bei den Nachbarn in der Schweiz, Südtirol und Deutschland ist das Bild ident: Man verließ sich stark auf den Zustrom aus dem Osten – bis er sich abschwächte. Zöllick: „Wir haben viele Kräfte aus Ländern wie Polen und aus dem Baltikum bekommen, aber das ist weniger geworden, weil dort der Tourismus auch boomt und man die eigenen Leute braucht.“
Walch vom IHS hat sich im Auftrag der heimischen Hoteliervereinigung (ÖHV) ausgerechnet, was das für die Branche bedeutet. Dafür erhob er zuerst den erwartbaren Personalbedarf – und fand eine ordentliche Lücke: Geht man davon aus, dass die Hotellerie wie in den vergangenen Jahren konstant weiterwächst, brauchte sie im Juli 2023 gut 9000 Mitarbeiter mehr als heute. Kalkuliert man aber die hohe Fluktuation in der Branche mit ein, wird klar: Bis Juli 2023 müssen die Hoteliers 58.000 neue Mitarbeiter anlocken, um auch die Abgänger zu ersetzen. Und die Gastronomie ist in dieser Rechnung noch gar nicht inkludiert. „Da habe ich in Teilen von Österreich ein veritables Problem“, sagt Walch. Nicht nur, weil die Ostdeutschen und die Osteuropäer weniger werden, die diese Jobs annehmen. Sondern auch, weil der Tourismus von Natur aus eine stark saisonabhängige – und damit atypisch junge – Branche ist, die von vielen zum Berufseinstieg und zur Überbrückung genützt wird. Da schmerzt die Kombination aus geburtenschwachen Jahrgängen, steigenden Lebenskosten, die das auf Saison verdiente Geld real auffressen, und der Konkurrenz von Ganzjahresjobs.
„Die jungen Leute sind gern bei uns“, betont Miriam Shergold. „Aber die Hälfte sieht sich schon in fünf Jahren nicht mehr in dem Job oder ist zumindest unentschlossen“, sagt sie. Shergold ist beim Schweizer Hotelverband für Bildungspolitik zuständig. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt – quer durch alle Branche – treibe in der Schweiz neue Blüten: Da würden die Verkehrsbetriebe in ihrer Kampagne nach „fliegenden Kellnern“suchen und gut geschulte Servicemitarbeiter in der gehobenen Gastronomie direkt vom Bankett weg abgeworben. Dabei fehlten ihnen selbst die Fachkräfte. „Wir kämpfen mit dem großen Missverständnis, dass es im Gastgewerbe eine hohe Arbeitslosigkeit gibt.“Die Menschen, die in der Statistik aufscheinen, seien meist Ungelernte, die zwischen Jobs in der Gastronomie oder Hotellerie gelandet sind. Was man tun soll? Die Ungeschulten schulen, sagt Shergold.
Auch Walch vom IHS rät, etwas an der Ausbildung zu ändern, um den Personalbedarf zu decken. „Lehrlinge, die innerhalb von zwölf Monaten abbrechen, sind unwiederbringlich für die Branche verloren.“In der Hotellerie halten sich Erzählungen von Betrieben, die ihre Lehrlinge als billige Arbeitskräfte verwenden. Daher fordern die ÖHV und andere Stellen immer wieder, die Feststellungsbescheide, die zur Ausbildung von Lehrlingen berechtigen, nur noch befristet auszugeben.
Die Analyse der Sozialversicherungsdaten lasse noch einen Schluss, sagt Walch: In jeder Region gebe es diese Hotels, die ihre Mitarbeiter unter denselben wirtschaftlichen Bedingungen langfristig halten können. „Das legt nahe, dass es eine betriebliche Komponente gibt.“