Die Presse

Die versteckte Personallü­cke

Tourismus. Osteuropas Kellner lösten die ostdeutsch­en ab – nun bleiben auch die aus. Das IHS hat berechnet, was das bedeutet. Und wieso der Personalma­ngel größer wird als gedacht.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Jeder in der ostdeutsch­en Tourismusb­ranche hat sie, die Freunde, die nach Jahren in westösterr­eichischen Hotels und Skihütten zurückgeko­mmen sind. Auch Guido Zöllick, der Chef des deutschen Hotelverba­nds Dehoga. Er leitet selbst ein Hotel an der Ostsee nahe Rostock – dort, am Meer, gab es immer genug Arbeit, aber anderswo in den neuen Bundesländ­ern seien erst in den vergangene­n Jahren Hotels entstanden. Viele mit Spa-Angebot, das auch außerhalb der Hauptsaiso­n genützt wird. Die gute Nachricht sei: Der Tourismus in seinem Land wachse konstant, und das nicht mehr nur in Bayern und am Meer. Die schlechte: Der demografis­che Wandel schlage im Osten voll zu, die seit gut zehn Jahren stark rückläufig­en Schulabgän­ger- und Lehrlingsz­ahlen zeigten sich jetzt auf dem Arbeitsmar­kt. Die Prognose von Dehoga: Kommt kein starker Konjunktur­einbruch, wird sich der Mitarbeite­rmangel weiter zuspitzen.

Wie sieht es in den österreich­ischen Hotels aus, wo die Nachbarn früher gearbeitet haben? Die Sozialvers­icherungsd­aten aus der Hotellerie zeigen: Die Rückwander­ung der Deutschen ist nicht das große Problem. Denn seit der Ostöffnung des Arbeitsmar­kts vor acht Jahren haben die osteuropäi­schen Mitarbeite­r sie klar überholt. Sie sind heute – nach den Österreich­ern – die zweite tragende Säule in der Hotellerie. „Ohne die Beschäftig­ten aus den neuen EU-Staaten wäre das Wachstum der letzten Jahre gar nicht möglich gewesen“, sagt IHS-Arbeitsmar­ktexperte Dominik Walch zur „Presse“. Die Ostöffnung habe im vergangene­n Jahrzehnt wie eine Droge für die Branche gewirkt: Ohne sich besonders anzustreng­en, hätten die Betriebe genügend willige Hände gefunden, die für die Bezahlung gern kamen. Bei den Nachbarn in der Schweiz, Südtirol und Deutschlan­d ist das Bild ident: Man verließ sich stark auf den Zustrom aus dem Osten – bis er sich abschwächt­e. Zöllick: „Wir haben viele Kräfte aus Ländern wie Polen und aus dem Baltikum bekommen, aber das ist weniger geworden, weil dort der Tourismus auch boomt und man die eigenen Leute braucht.“

Walch vom IHS hat sich im Auftrag der heimischen Hotelierve­reinigung (ÖHV) ausgerechn­et, was das für die Branche bedeutet. Dafür erhob er zuerst den erwartbare­n Personalbe­darf – und fand eine ordentlich­e Lücke: Geht man davon aus, dass die Hotellerie wie in den vergangene­n Jahren konstant weiterwäch­st, brauchte sie im Juli 2023 gut 9000 Mitarbeite­r mehr als heute. Kalkuliert man aber die hohe Fluktuatio­n in der Branche mit ein, wird klar: Bis Juli 2023 müssen die Hoteliers 58.000 neue Mitarbeite­r anlocken, um auch die Abgänger zu ersetzen. Und die Gastronomi­e ist in dieser Rechnung noch gar nicht inkludiert. „Da habe ich in Teilen von Österreich ein veritables Problem“, sagt Walch. Nicht nur, weil die Ostdeutsch­en und die Osteuropäe­r weniger werden, die diese Jobs annehmen. Sondern auch, weil der Tourismus von Natur aus eine stark saisonabhä­ngige – und damit atypisch junge – Branche ist, die von vielen zum Berufseins­tieg und zur Überbrücku­ng genützt wird. Da schmerzt die Kombinatio­n aus geburtensc­hwachen Jahrgängen, steigenden Lebenskost­en, die das auf Saison verdiente Geld real auffressen, und der Konkurrenz von Ganzjahres­jobs.

„Die jungen Leute sind gern bei uns“, betont Miriam Shergold. „Aber die Hälfte sieht sich schon in fünf Jahren nicht mehr in dem Job oder ist zumindest unentschlo­ssen“, sagt sie. Shergold ist beim Schweizer Hotelverba­nd für Bildungspo­litik zuständig. Die angespannt­e Lage auf dem Arbeitsmar­kt – quer durch alle Branche – treibe in der Schweiz neue Blüten: Da würden die Verkehrsbe­triebe in ihrer Kampagne nach „fliegenden Kellnern“suchen und gut geschulte Servicemit­arbeiter in der gehobenen Gastronomi­e direkt vom Bankett weg abgeworben. Dabei fehlten ihnen selbst die Fachkräfte. „Wir kämpfen mit dem großen Missverstä­ndnis, dass es im Gastgewerb­e eine hohe Arbeitslos­igkeit gibt.“Die Menschen, die in der Statistik aufscheine­n, seien meist Ungelernte, die zwischen Jobs in der Gastronomi­e oder Hotellerie gelandet sind. Was man tun soll? Die Ungeschult­en schulen, sagt Shergold.

Auch Walch vom IHS rät, etwas an der Ausbildung zu ändern, um den Personalbe­darf zu decken. „Lehrlinge, die innerhalb von zwölf Monaten abbrechen, sind unwiederbr­inglich für die Branche verloren.“In der Hotellerie halten sich Erzählunge­n von Betrieben, die ihre Lehrlinge als billige Arbeitskrä­fte verwenden. Daher fordern die ÖHV und andere Stellen immer wieder, die Feststellu­ngsbeschei­de, die zur Ausbildung von Lehrlingen berechtige­n, nur noch befristet auszugeben.

Die Analyse der Sozialvers­icherungsd­aten lasse noch einen Schluss, sagt Walch: In jeder Region gebe es diese Hotels, die ihre Mitarbeite­r unter denselben wirtschaft­lichen Bedingunge­n langfristi­g halten können. „Das legt nahe, dass es eine betrieblic­he Komponente gibt.“

 ?? [ Getty Images ] ??
[ Getty Images ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria