Don Quichotte und die toxische Männlichkeit
Bregenzer Festspiele. Regisseurin Mariame Cl´ement handelt an Massenets „Don Quichotte“moderne Helden- und Männerrollen ab. Das ist manchmal etwas viel, aber das Stück erträgt’s, die Sänger sind gut – und das Publikum vergnügt.
Is this the best a man can get?“, fragt die Stimme aus dem Off – und wir sehen ein Pasticcio aus historischen und aktuellen Szenen voll mit toxischer Männlichkeit. Er hat Anfang des Jahres einigen Staub aufgewirbelt, der in etwas Pathos mündende Gilette-Werbespot mit seinem Aufruf an Männer, gegen Alltagssexismus einzuschreiten, gegen Übergriffe und Mansplaining, aber auch gegen Mobbing und Raufereien unter Buben, anstatt die Entschuldigung „Boys will be boys“zu perpetuieren. Zeigten sich seither viele begeistert von der Initiative, fühlten sich andere auf mehr als nur den Schlips getreten und wetterten gleich gegen einen „globalen Angriff auf Männlichkeit“. Das Eintreten für ein besseres, wertschätzendes Miteinander ohne jede Art von Gewalt, und sei es zu Werbezwecken – gleicht es einem Kampf gegen Windmühlen?
So gesehen passte der Spot via Videowand ja nicht übel als Prolog vor Jules Massenets „Don Quichotte“, der am Donnerstag als diesjährige Hausoper im Bregenzer Festspielhaus seine Premiere erlebte, und er provozierte sogar einen Zwischenapplaus. Schmunzelnd durfte man zur Kenntnis nehmen, dass in der nachfolgenden Kunstpause dem Ohrenschein nach vor allem die Herren der Schöpfung einen Drang zum Kommentieren, Witze-Reißen und Lachen fühlten. Protestieren musste keiner von ihnen, denn Regisseurin Mariame Clement´ inszeniert einen männlichen Wutanfall gleich mit: Im Publikum springt einer auf (Felix Def`er), drängt an die Rampe und echauffiert sich schusselig über seine bedrohte männliche Identität, Zwischenrufe ertönen, Eskalation droht – bis Don Quichotte, auch er sitzt im Publikum, seinen Ritterhelm aufsetzt (ja, die verbeulte, blecherne Barbierschale), den Verwirrten auf die Bühne geleitet und mit ihm in einem Theater mit schütter besetzten Zuschauerreihen Platz nimmt.
Blick in ein Bilderbuch-Spanien
Dort öffnet sich der Vorhang vor einem Bilderbuch-Spanien wie aus der Ferne längst vergangener Opernzeiten, wo die beiden bald ihre singenden Alter Egos Don Quichotte und Sancho Pansa erleben können – und natürlich Dulcinee,´ die bei Massenet – leider! – eine echte, noble Schönheit ist . . .
Zugegeben, das ist ein bisserl viel für den Anfang. Und ausgerechnet beim opulenten spanischen Kolorit des ersten Aktes, wo in schneidigster Manier Kastagnetten klappern, Sporen klirren und Fächer flattern müssen, ließen es die Wiener Symphoniker unter Daniel Cohen noch an brillantem Schmiss und sogar rhythmischer Präzision vermissen.
Noch dazu rissen einen die längeren Umbaupausen gerade im ersten Teil des Abends immer wieder aus der ohnehin erst mit Verzögerung aufkommenden Stimmung – denn Clement´ nimmt jeden Akt für sich, und Ausstatterin Julia Hansen versetzt ihn in ein eigenes, meist gegenwärtiges Ambiente. Das ist bei gutem Willen auch ein Echo auf die episodenhafte und vor allem vielfach gebrochene Erzählstruktur des Romans. Und lässt man sich erst darauf ein, dass Clement´ nicht das Wahnhafte des Menschen zwischen liebenswerten Schrullen bis zur völligen Verblendung behandeln wollte, sondern männliche Heldenrollen dekonstruieren, so funktioniert ihre Sichtweise besser, als man glauben mochte. Den Windmühlen stellt sich der Ritter von der traurigen Gestalt im Bad, wo sich der Lüftungsventilator nach dem Duschen zur riesenhaften Bedrohung auswächst und Sancho deshalb in Installateursnöte gerät; die Banditen sind Mitglieder einer jugendlichen Straßengang, denen Don Quichotte im Spiderman-Kostüm entgegentritt; das Wiedersehen mit Dulcinee´ und sein vergeblicher Heiratsantrag spielen in einem Großraumbüro mit ihr als umschwärmter Chefin und ihm als altem Angestellten – und das Wiedererkennen von Typen und Situationen erzeugt Heiterkeit im Publikum. Sein Tod, wieder in Rüstung, ist dann sogar Theater auf dem Theater auf dem Theater . . . Gabor´ Bretz: Modulationsfähige Stimme
Poetisch wird’s, weil das Publikum immer wieder merkt, wie Don Quichotte seine Wirklichkeit schönt und sich zurechtbiegt: nicht nur bei den Windmühlen, sondern auch bei den Räubern, die ihn in Wahrheit blutig geschlagen haben, oder bei Dulcinees´ Ablehnung, deren liebevolle Worte er sich inmitten all des Spottes hinzuträumt. Bassbariton Gabor´ Bretz hat letztes Jahr in Salzburg als Jochanaan in Strauss’ „Salome“Aufsehen erregt und übernimmt gegen Ende dieses Sommers wieder die Partie des militant keuschen Eiferers. Hier darf er als Titelfigur sympathischere Facetten der Männlichkeit ausspielen und ist in deren wechselnden Inkarnationen mit großer, schlanker Gestalt durchwegs präsent; die Reife für eine noch tiefer schürfende Sterbeszene lässt sich nicht vor der Zeit erzwingen. Seine Stimme ist jedenfalls modulationsfähig und von öliger Schwärze, auch wenn manche Töne etwas nach hinten rutschen.
Und bei Massenets wehmütigen Lyrismen des zweiten Teils sind auch die Symphoniker endlich in ihrem zartesten, schönsten Element und betten Bretz auf Samt und Seide. Nicht minder wandlungsfähig zeigte sich David Stout, der sich als Sancho mit seinem saftigen Bariton vom Buffonesken ins Heldenhafte entwickeln darf. Bleibt inmitten des guten Ensembles noch die umschwärmte Dulcinee´ der Anna Goryachova, ein Mezzosopran mit etwas gutturalem, aber interessantem Timbre, bei dem man bedauert, dass die Stimmführung nicht ruhiger, klarer ist.
Klar war dagegen der einhellige Jubel.