Die Presse

Don Quichotte und die toxische Männlichke­it

Bregenzer Festspiele. Regisseuri­n Mariame Cl´ement handelt an Massenets „Don Quichotte“moderne Helden- und Männerroll­en ab. Das ist manchmal etwas viel, aber das Stück erträgt’s, die Sänger sind gut – und das Publikum vergnügt.

- SAMSTAG, 20. JULI 2019 VON WALTER WEIDRINGER

Is this the best a man can get?“, fragt die Stimme aus dem Off – und wir sehen ein Pasticcio aus historisch­en und aktuellen Szenen voll mit toxischer Männlichke­it. Er hat Anfang des Jahres einigen Staub aufgewirbe­lt, der in etwas Pathos mündende Gilette-Werbespot mit seinem Aufruf an Männer, gegen Alltagssex­ismus einzuschre­iten, gegen Übergriffe und Mansplaini­ng, aber auch gegen Mobbing und Raufereien unter Buben, anstatt die Entschuldi­gung „Boys will be boys“zu perpetuier­en. Zeigten sich seither viele begeistert von der Initiative, fühlten sich andere auf mehr als nur den Schlips getreten und wetterten gleich gegen einen „globalen Angriff auf Männlichke­it“. Das Eintreten für ein besseres, wertschätz­endes Miteinande­r ohne jede Art von Gewalt, und sei es zu Werbezweck­en – gleicht es einem Kampf gegen Windmühlen?

So gesehen passte der Spot via Videowand ja nicht übel als Prolog vor Jules Massenets „Don Quichotte“, der am Donnerstag als diesjährig­e Hausoper im Bregenzer Festspielh­aus seine Premiere erlebte, und er provoziert­e sogar einen Zwischenap­plaus. Schmunzeln­d durfte man zur Kenntnis nehmen, dass in der nachfolgen­den Kunstpause dem Ohrenschei­n nach vor allem die Herren der Schöpfung einen Drang zum Kommentier­en, Witze-Reißen und Lachen fühlten. Protestier­en musste keiner von ihnen, denn Regisseuri­n Mariame Clement´ inszeniert einen männlichen Wutanfall gleich mit: Im Publikum springt einer auf (Felix Def`er), drängt an die Rampe und echauffier­t sich schusselig über seine bedrohte männliche Identität, Zwischenru­fe ertönen, Eskalation droht – bis Don Quichotte, auch er sitzt im Publikum, seinen Ritterhelm aufsetzt (ja, die verbeulte, blecherne Barbiersch­ale), den Verwirrten auf die Bühne geleitet und mit ihm in einem Theater mit schütter besetzten Zuschauerr­eihen Platz nimmt.

Blick in ein Bilderbuch-Spanien

Dort öffnet sich der Vorhang vor einem Bilderbuch-Spanien wie aus der Ferne längst vergangene­r Opernzeite­n, wo die beiden bald ihre singenden Alter Egos Don Quichotte und Sancho Pansa erleben können – und natürlich Dulcinee,´ die bei Massenet – leider! – eine echte, noble Schönheit ist . . .

Zugegeben, das ist ein bisserl viel für den Anfang. Und ausgerechn­et beim opulenten spanischen Kolorit des ersten Aktes, wo in schneidigs­ter Manier Kastagnett­en klappern, Sporen klirren und Fächer flattern müssen, ließen es die Wiener Symphonike­r unter Daniel Cohen noch an brillantem Schmiss und sogar rhythmisch­er Präzision vermissen.

Noch dazu rissen einen die längeren Umbaupause­n gerade im ersten Teil des Abends immer wieder aus der ohnehin erst mit Verzögerun­g aufkommend­en Stimmung – denn Clement´ nimmt jeden Akt für sich, und Ausstatter­in Julia Hansen versetzt ihn in ein eigenes, meist gegenwärti­ges Ambiente. Das ist bei gutem Willen auch ein Echo auf die episodenha­fte und vor allem vielfach gebrochene Erzählstru­ktur des Romans. Und lässt man sich erst darauf ein, dass Clement´ nicht das Wahnhafte des Menschen zwischen liebenswer­ten Schrullen bis zur völligen Verblendun­g behandeln wollte, sondern männliche Heldenroll­en dekonstrui­eren, so funktionie­rt ihre Sichtweise besser, als man glauben mochte. Den Windmühlen stellt sich der Ritter von der traurigen Gestalt im Bad, wo sich der Lüftungsve­ntilator nach dem Duschen zur riesenhaft­en Bedrohung auswächst und Sancho deshalb in Installate­ursnöte gerät; die Banditen sind Mitglieder einer jugendlich­en Straßengan­g, denen Don Quichotte im Spiderman-Kostüm entgegentr­itt; das Wiedersehe­n mit Dulcinee´ und sein vergeblich­er Heiratsant­rag spielen in einem Großraumbü­ro mit ihr als umschwärmt­er Chefin und ihm als altem Angestellt­en – und das Wiedererke­nnen von Typen und Situatione­n erzeugt Heiterkeit im Publikum. Sein Tod, wieder in Rüstung, ist dann sogar Theater auf dem Theater auf dem Theater . . . Gabor´ Bretz: Modulation­sfähige Stimme

Poetisch wird’s, weil das Publikum immer wieder merkt, wie Don Quichotte seine Wirklichke­it schönt und sich zurechtbie­gt: nicht nur bei den Windmühlen, sondern auch bei den Räubern, die ihn in Wahrheit blutig geschlagen haben, oder bei Dulcinees´ Ablehnung, deren liebevolle Worte er sich inmitten all des Spottes hinzuträum­t. Bassbarito­n Gabor´ Bretz hat letztes Jahr in Salzburg als Jochanaan in Strauss’ „Salome“Aufsehen erregt und übernimmt gegen Ende dieses Sommers wieder die Partie des militant keuschen Eiferers. Hier darf er als Titelfigur sympathisc­here Facetten der Männlichke­it ausspielen und ist in deren wechselnde­n Inkarnatio­nen mit großer, schlanker Gestalt durchwegs präsent; die Reife für eine noch tiefer schürfende Sterbeszen­e lässt sich nicht vor der Zeit erzwingen. Seine Stimme ist jedenfalls modulation­sfähig und von öliger Schwärze, auch wenn manche Töne etwas nach hinten rutschen.

Und bei Massenets wehmütigen Lyrismen des zweiten Teils sind auch die Symphonike­r endlich in ihrem zartesten, schönsten Element und betten Bretz auf Samt und Seide. Nicht minder wandlungsf­ähig zeigte sich David Stout, der sich als Sancho mit seinem saftigen Bariton vom Buffoneske­n ins Heldenhaft­e entwickeln darf. Bleibt inmitten des guten Ensembles noch die umschwärmt­e Dulcinee´ der Anna Goryachova, ein Mezzosopra­n mit etwas gutturalem, aber interessan­tem Timbre, bei dem man bedauert, dass die Stimmführu­ng nicht ruhiger, klarer ist.

Klar war dagegen der einhellige Jubel.

 ?? [ Bregenzer Festspiele/Karl Forster ] ?? Im Spiderman-Kostüm: Don Quichotte (Gabor´ Bretz) als Opfer einer Straßengan­g – bei den Bregenzer Festspiele­n.
[ Bregenzer Festspiele/Karl Forster ] Im Spiderman-Kostüm: Don Quichotte (Gabor´ Bretz) als Opfer einer Straßengan­g – bei den Bregenzer Festspiele­n.

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