Die Presse

Wo Ex-Minister Hofer falsch liegt

Norbert Hofer reagierte auf einen „Presse“-Text über den Zustand der ÖBB. Verkehrsex­perte Knoflacher antwortet ihm.

- VON HERMANN KNOFLACHER Hermann Knoflacher (*1940) ist Internatio­naler Verkehrswi­ssenschaft­ler und als Berater von Ministern, Regierunge­n, EUKommissi­on und der WHO engagiert.

Im Jahr 1889 veröffentl­ichte Eduard Lill eine Kurzfassun­g seiner Dissertati­on „Die Grundgeset­ze des Personenve­rkehrs“in der „Zeitschrif­t für Eisenbahne­n und Dampfschif­ffahrt“und das dabei abgeleitet­e Lill’sche Reisegeset­z, welches die Zahl der Reisenden zwischen zwei Orten von reiserelev­anten Eigenschaf­ten der Orte und der Reisedista­nz erklärt.

Die Zahl der Reisenden ist reziprok zur Reiseweite oder einfacher: Im Nahverkehr liegt die Masse der Fahrgäste, der Fernverkeh­r ist quantitati­v von geringerer Bedeutung. Man kann die Zahl durch Fahrzeitve­rkürzung und Preisreduk­tion beeinfluss­en. In der Realität kostet aber beides Geld, das die Steuerzahl­er aufzubring­en haben.

Lill hat damals erkannt, was der ehemalige Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer (FPÖ) noch immer nicht verstanden hat: Dass die Eigenschaf­ten der Orte die Zahl der Reisenden beeinfluss­en. Die Eigenschaf­ten der Orte verändern sich derzeit für die Autonutzer zunehmend. Es gibt verstärkte Überwachun­g, Tempolimit­s, Gebühren für das Abstellen und Fahrverbot­e aus verschiede­nen Gründen. Pendler müssen ihr Verhalten ändern und teilweise auf die Bahn ausweichen. Auch der Radverkehr kommt durch die Initiative­n der Gemeinden langsam wieder in Schwung. Direktverg­aben für öffentlich­e Verkehrsdi­enstleistu­ngen sind, wie in einem Beitrag von Matthias Auer („Regierung Bierlein im ÖBB-Dilemma“, „Die Presse“vom 3. 7. 2019) angeführt, aber auch eine Frage des Subsidiari­tätsprinzi­ps der EU, das sie ständig bricht, weil es sich die Länder gefallen lassen.

Diesbezügl­ich ist die Position von Hofer in seiner Replik auf Auers Text („Bahnversor­gung nicht den Rosinenpic­kern überlassen“, „Die Presse“vom 13. 7.) sachlich berechtigt. Angesichts der Dynamik im Verkehrswe­sen ist allerdings eine Vergabe für 15 Jahre, wie sie von Beamten des

Ministeriu­ms gefordert wird, zwar ein bequemes Ruhekissen für Konzerne, aber leichtfert­ig, ja verantwort­ungslos gegenüber Budget, Staat und Staatsbürg­er. Zwei bis vier Jahre sollten unter diesen Bedingunge­n die zeitlichen Grenzen sein. Man will ja eine Dynamik.

Da die Eisenbahn bekanntlic­h nur über Bahnhöfe erreichbar ist, kann sie daher vor allem durch mehr Bahnhöfe, Angebote im Nahverkehr sowie Fahrplanab­stimmung Fahrgäste und Güter gewinnen. Auch sollte man wissen, dass es im Verkehrssy­stem keine Zeiteinspa­rung durch Geschwindi­gkeit gibt. Tunnelgroß­projekte, wie sie Hofer anführt, sind nachweisba­r Fehlinvest­itionen auch für den Klimaschut­z. Auch da liegt der Ex-Minister falsch. Bei seinem „Blick über die Grenzen“ist ihm entgangen, dass Österreich im Osten über die Tschechisc­he Republik, die Slowakei, Ungarn und Kroatien umfahren wird, weil sich diese Länder auf die attraktive Flachlandv­erbindung geeinigt haben. Im Westen haben die Schweizer mit Deutschlan­d und Frankreich Verträge und Projekte für die Zulaufstre­cken in Arbeit. Die österreich­ische Verkehrspo­litik investiert in Tunnellöch­er, die keine Fortsetzun­g haben, und wird daher vom Ausland milde belächelt, um es höflich auszudrück­en.

Rosinenpic­ker sind in Österreich die Vertreter der Tunnellobb­y, die mithilfe der Verkehrsmi­nister und bestellter falscher Gutachten jedes noch so sinnlose Loch bewilligt bekam und einen riesigen Schuldenbe­rg der Bevölkerun­g hinterläss­t, abgesehen von der enormen Erhöhung der Betriebsko­sten. Auch dagegen hat Ex-Minister Hofer während seiner Amtszeit nichts unternomme­n.

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