Rammelkammern in den Fichten
Borkenkäfer setzen den Fichtenforsten immer stärker zu. Aber auch die Mischwälder der Zukunft sind gegen dieses Problem nicht gefeit.
Man muss schon sehr genau hinschauen, um das Loch in der Rinde zu entdecken, durch das sich der Borkenkäfer Zugang ins Innere der Fichte verschafft hat. Erst nach ein paar Tagen werden die Zeichen klarer: Wenn das Männchen seine Rammelkammer (die heißt wirklich so!) angelegt und durch Sexualpherome Weibchen angelockt hat, diese nach der Begattung 40 bis 80 Eier in sogenannte Muttergänge abgelegt haben und sich die Larven schließlich durch Rinde und Holz fressen, tritt auch braunes Bohrmehl aus dem Einbohrloch aus. Und das ist für den Laien deutlich sichtbar. Der Baum versucht, sich gegen den Befall zu wehren: Er produziert an der Eintrittsstelle Harz – Förster berichten, dass Fichten bei starkem Borkenkäferbefall regelrecht glitzern!
Freuen können sie sich über dieses Schauspiel freilich nicht, denn der Baum ist verloren und muss möglichst rasch gefällt und aus dem Wald entfernt (oder zumindest gründlich entrindet) werden. Denn es dauert nicht einmal sechs Wochen, bis die nächste Käfergeneration – Abertausende Exemplare pro Baum – ausfliegt und die umliegenden Bäume befällt.
Die Larven ernähren sich von Säften in Holz und Borke, sie unterbrechen dadurch den Saftfluss im Kambium, der Baum trocknet binnen weniger Wochen aus. Man erkennt die Schädigung u. a. daran, dass auf dem Waldboden beim Stamm grüne Fichtennadeln liegen. Es gibt viele Arten von Borkenkäfern mit jeweils eigenen Schadbildern – die wichtigsten sind der vier bis 5,5 Millimeter große Buchdrucker und der dreimal kleinere Kupferstecher.
Der Borkenkäferbefall hat in jüngster Zeit stark zugenommen: Nach Angaben des Waldforschers Rupert Seidl (Universität für Bodenkultur) haben sich die Käferkalamitäten zwischen den 1970erund 2000er-Jahren mehr als versiebenfacht. In jüngster Zeit verlief die Entwicklung explosionsartig: Im Vorjahr war mehr als die halbe Holzernte Österreichs Schadholz (neben Käferholz auch von Stürmen und Schneebruch geschädigte Bäume). Bei den Österr. Bundesforsten lag der Schadholzanteil gar bei fast 90 Prozent – der Vorjahresschaden wird dort mit 23,6 Mio. Euro beziffert, heuer werden mehr als 35 Mio. Euro erwartet.
Diese Zunahme hängt offensichtlich mit dem Klimawandel zusammen – v. a. mit Hitze und Trockenheit: Bäume, die zu wenig Wasser haben, werden wehrlos gegenüber Käferbefall. Dazu kommen vermehrte Schäden durch Windbruch und Stürme, die die Bäume noch anfälliger machen.
Doch wie der Zusammenhang zwischen Trockenstress und Schädlingsbefall genau funktioniert, ist weiterhin unklar – entsprechend viel wird derzeit geforscht. Die Hoffnung ist, in Zukunft viel genauer vorhersagen zu können, wann welche Bestände gefährdet sind. Derzeit behilft man sich dabei mit Pheromonfallen zum Monitoring des Ausfliegens der Borkenkäfer und mit Suchtrupps, die mehrmals im Jahr alle Bäume inspizieren; versucht wird nun auch, geschädigte Bäume per Satellitenbilder und Befliegungen mit Drohnen zu finden.
Bekannt ist, dass Dürre das Feinwurzelsystem der Bäume schädigt, woraufhin für mehrere Jahre die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen gestört ist. Bei Trockenstress schließen Fichten ihre Spaltöffnungen, um weitere Wasserverluste zu verhindern. Dadurch sinkt die Fotosynthese-Aktivität und in der Folge die Produktion von Abwehrstoffen. Untersucht werden solche Effekte u. a. in großen FWFProjekten an Bäumen sowohl im Labor als auch in der Natur (durch Abdecken des Bodens mit Dächern, sodass kein Regen versickert). Getestet wird auch, von welchen Substanzen, die die Bäume ausdünsten, Borkenkäfer angelockt oder abgestoßen werden. Analysiert wird weiters die Genetik der Borkenkäfer, überdies ist ein System in Entwicklung, das mit Satellitendaten eine flächendeckende Inventur von Waldschäden in Europa ermöglichen soll.
Das Borkenkäferproblem ist einer der Hauptgründe dafür, dass Österreichs Wälder derzeit umgebaut werden – von herkömmlichen Fichtenmonokulturen hin zu arten- und strukturreichen Mischwäldern (bevorzugt durch Naturverjüngung). Die Bundesforste haben dazu gemeinsam mit Forschern der Boku und des Bundesforschungszentrums für Wald (BWF) ein Modell namens „Adapt“entwickelt, mit dem für jeden Standort die optimale Baumartenzusammensetzung bei einer Erwärmung um zwei Grad berechnet werden kann. Unterhalb von 600 bis 700 Höhenmetern wird die Fichte demnach keine Zukunft haben; und auch in höheren Lagen wird der Anteil von Lärchen, Tannen, Kiefern, Buchen, Eichen oder auch Douglasien steigen – die Wälder der Zukunft werden jedenfalls ganz anders aussehen (s. S. 7).
Allerdings wird die veränderte Baumartenzusammensetzung das Borkenkäferproblem nicht gänzlich lösen. Denn diese Insektengruppe ist sehr groß: Weltweit gibt es rund 5000 Arten, es existiert keine Baumart, auf die sich nicht irgendein Schädling spezialisiert hätte. Eine Aufstellung des BWF zu den wichtigsten heimischen Waldbäumen umfasst nicht weniger als 41 Borkenkäferarten – mit so klingenden Namen wie etwa Krummzähniger Tannenbohrkäfer, Großer Waldgärtner (Kiefer), Großer achtzähniger Lärchenbohrkäfer, Großer Birkensplintkäfer, Zweifärbiger Buchenbohrkäfer oder Linierter Laubnutzholzborkenkäfer (Eiche). Von diesen Insekten und ihren Wechselwirkungen mit den jeweiligen Wirtsbaumarten weiß man noch weniger als von den Fichtenschädlingen.
Als sicher gilt indes, dass Mischwälder vom Klimawandel weniger gestresst und dadurch widerstandsfähiger sind – und dass das Risiko für Ernteverluste wesentlich breiter gestreut ist als in den heutigen Fichtenforsten.