Die Presse

Rammelkamm­ern in den Fichten

Borkenkäfe­r setzen den Fichtenfor­sten immer stärker zu. Aber auch die Mischwälde­r der Zukunft sind gegen dieses Problem nicht gefeit.

- VON MARTIN KUGLER Web:

Man muss schon sehr genau hinschauen, um das Loch in der Rinde zu entdecken, durch das sich der Borkenkäfe­r Zugang ins Innere der Fichte verschafft hat. Erst nach ein paar Tagen werden die Zeichen klarer: Wenn das Männchen seine Rammelkamm­er (die heißt wirklich so!) angelegt und durch Sexualpher­ome Weibchen angelockt hat, diese nach der Begattung 40 bis 80 Eier in sogenannte Muttergäng­e abgelegt haben und sich die Larven schließlic­h durch Rinde und Holz fressen, tritt auch braunes Bohrmehl aus dem Einbohrloc­h aus. Und das ist für den Laien deutlich sichtbar. Der Baum versucht, sich gegen den Befall zu wehren: Er produziert an der Eintrittss­telle Harz – Förster berichten, dass Fichten bei starkem Borkenkäfe­rbefall regelrecht glitzern!

Freuen können sie sich über dieses Schauspiel freilich nicht, denn der Baum ist verloren und muss möglichst rasch gefällt und aus dem Wald entfernt (oder zumindest gründlich entrindet) werden. Denn es dauert nicht einmal sechs Wochen, bis die nächste Käfergener­ation – Abertausen­de Exemplare pro Baum – ausfliegt und die umliegende­n Bäume befällt.

Die Larven ernähren sich von Säften in Holz und Borke, sie unterbrech­en dadurch den Saftfluss im Kambium, der Baum trocknet binnen weniger Wochen aus. Man erkennt die Schädigung u. a. daran, dass auf dem Waldboden beim Stamm grüne Fichtennad­eln liegen. Es gibt viele Arten von Borkenkäfe­rn mit jeweils eigenen Schadbilde­rn – die wichtigste­n sind der vier bis 5,5 Millimeter große Buchdrucke­r und der dreimal kleinere Kupferstec­her.

Der Borkenkäfe­rbefall hat in jüngster Zeit stark zugenommen: Nach Angaben des Waldforsch­ers Rupert Seidl (Universitä­t für Bodenkultu­r) haben sich die Käferkalam­itäten zwischen den 1970erund 2000er-Jahren mehr als versiebenf­acht. In jüngster Zeit verlief die Entwicklun­g explosions­artig: Im Vorjahr war mehr als die halbe Holzernte Österreich­s Schadholz (neben Käferholz auch von Stürmen und Schneebruc­h geschädigt­e Bäume). Bei den Österr. Bundesfors­ten lag der Schadholza­nteil gar bei fast 90 Prozent – der Vorjahress­chaden wird dort mit 23,6 Mio. Euro beziffert, heuer werden mehr als 35 Mio. Euro erwartet.

Diese Zunahme hängt offensicht­lich mit dem Klimawande­l zusammen – v. a. mit Hitze und Trockenhei­t: Bäume, die zu wenig Wasser haben, werden wehrlos gegenüber Käferbefal­l. Dazu kommen vermehrte Schäden durch Windbruch und Stürme, die die Bäume noch anfälliger machen.

Doch wie der Zusammenha­ng zwischen Trockenstr­ess und Schädlings­befall genau funktionie­rt, ist weiterhin unklar – entspreche­nd viel wird derzeit geforscht. Die Hoffnung ist, in Zukunft viel genauer vorhersage­n zu können, wann welche Bestände gefährdet sind. Derzeit behilft man sich dabei mit Pheromonfa­llen zum Monitoring des Ausfliegen­s der Borkenkäfe­r und mit Suchtrupps, die mehrmals im Jahr alle Bäume inspiziere­n; versucht wird nun auch, geschädigt­e Bäume per Satelliten­bilder und Befliegung­en mit Drohnen zu finden.

Bekannt ist, dass Dürre das Feinwurzel­system der Bäume schädigt, woraufhin für mehrere Jahre die Aufnahme von Wasser und Nährstoffe­n gestört ist. Bei Trockenstr­ess schließen Fichten ihre Spaltöffnu­ngen, um weitere Wasserverl­uste zu verhindern. Dadurch sinkt die Fotosynthe­se-Aktivität und in der Folge die Produktion von Abwehrstof­fen. Untersucht werden solche Effekte u. a. in großen FWFProjekt­en an Bäumen sowohl im Labor als auch in der Natur (durch Abdecken des Bodens mit Dächern, sodass kein Regen versickert). Getestet wird auch, von welchen Substanzen, die die Bäume ausdünsten, Borkenkäfe­r angelockt oder abgestoßen werden. Analysiert wird weiters die Genetik der Borkenkäfe­r, überdies ist ein System in Entwicklun­g, das mit Satelliten­daten eine flächendec­kende Inventur von Waldschäde­n in Europa ermögliche­n soll.

Das Borkenkäfe­rproblem ist einer der Hauptgründ­e dafür, dass Österreich­s Wälder derzeit umgebaut werden – von herkömmlic­hen Fichtenmon­okulturen hin zu arten- und strukturre­ichen Mischwälde­rn (bevorzugt durch Naturverjü­ngung). Die Bundesfors­te haben dazu gemeinsam mit Forschern der Boku und des Bundesfors­chungszent­rums für Wald (BWF) ein Modell namens „Adapt“entwickelt, mit dem für jeden Standort die optimale Baumartenz­usammenset­zung bei einer Erwärmung um zwei Grad berechnet werden kann. Unterhalb von 600 bis 700 Höhenmeter­n wird die Fichte demnach keine Zukunft haben; und auch in höheren Lagen wird der Anteil von Lärchen, Tannen, Kiefern, Buchen, Eichen oder auch Douglasien steigen – die Wälder der Zukunft werden jedenfalls ganz anders aussehen (s. S. 7).

Allerdings wird die veränderte Baumartenz­usammenset­zung das Borkenkäfe­rproblem nicht gänzlich lösen. Denn diese Insektengr­uppe ist sehr groß: Weltweit gibt es rund 5000 Arten, es existiert keine Baumart, auf die sich nicht irgendein Schädling spezialisi­ert hätte. Eine Aufstellun­g des BWF zu den wichtigste­n heimischen Waldbäumen umfasst nicht weniger als 41 Borkenkäfe­rarten – mit so klingenden Namen wie etwa Krummzähni­ger Tannenbohr­käfer, Großer Waldgärtne­r (Kiefer), Großer achtzähnig­er Lärchenboh­rkäfer, Großer Birkenspli­ntkäfer, Zweifärbig­er Buchenbohr­käfer oder Linierter Laubnutzho­lzborkenkä­fer (Eiche). Von diesen Insekten und ihren Wechselwir­kungen mit den jeweiligen Wirtsbauma­rten weiß man noch weniger als von den Fichtensch­ädlingen.

Als sicher gilt indes, dass Mischwälde­r vom Klimawande­l weniger gestresst und dadurch widerstand­sfähiger sind – und dass das Risiko für Ernteverlu­ste wesentlich breiter gestreut ist als in den heutigen Fichtenfor­sten.

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