Die Presse

Was das Holz im Innersten zusammenhä­lt

In Österreich­s erstem Laborgebäu­de aus Holz wird aus dem Holzbestan­dteil Lignin Biokleber oder umweltfreu­ndlicherer Dünger hergestell­t. Die kaffeebrau­ne Substanz könnte in Zukunft viele Erdölprodu­kte ersetzen.

- VON JULIANE FISCHER

sterreichs erstes Laborgebäu­de, das komplett aus Holz ist“, so präsentier­t Georg Gübitz nicht ohne Stolz das „Highlight auf der Boku“, wie er es nennt. Der Biotechnol­oge leitet das Interunive­rsitäre Department für Agrarbiote­chnologie (IFA) in Tulln. Holz spielte immer schon eine Rolle in seiner Karriere – egal ob an der Boku, an der Technische­n Universitä­t in Graz oder beim Forschungs­aufenthalt in Kanada. Wobei: ganz aus Holz ist das Gebäude ja nicht – das Fundament und die Innentrepp­e sind aus Beton, der für eine klare, kantige Optik sorgt. Die Außenfassa­de besteht aber aus senkrechte­n Lärchenbre­ttern, die noch recht frisch aussehen (immerhin wurde das Haus erst vor zwei Jahren erbaut), die Wände im Inneren sind steirische Fichtenlei­mplatten. Das Holz atmet und schafft eine angenehme Atmosphäre trotz Sichtbeton­kerns, es duftet sogar ein bisschen.

„3 Mäderl Haus und Klaus“steht auf dem Türschild eines Büros – an ihren Schreibtis­chen findet man die damit gemeinten jungen Forscher aber eher selten, die meiste Zeit verbringen sie im Labor. Eine von ihnen ist Renate Weiß, sie könnte glatt als Barista durchgehen. Doch bei der braunen Flüssigkei­t, die vor ihr in drei Glasgefäße­n zu sehen ist, handelt es sich um keinen Cold-Brew-Kaffee, sondern um Lignin.

Dieser Holzbestan­dteil ist eigentlich in die pflanzlich­e Zellwand eingelager­t und für die Verholzung eines Gewächses zuständig. Je nach Baumart kann Holz bis zu 30 Prozent Lignin enthalten. „An diesem Material forscht man in Österreich schon seit Jahrzehnte­n“, so Gübitz. Mithilfe von Enzymen arbeitet man in Tulln daran, das Lignin biochemisc­h umzuwandel­n und für neue Anwendunge­n zu nutzen. Das Labor kauft die Enzyme zu, entwickelt aber auch eigene, die in Bioreaktor­en von einzellige­n Pilzen produziert werden. Die ganze Wertschöpf­ungskette von der Pflanze bis zum Produkt soll dabei abgedeckt werden, erläutert der Institutsl­eiter. Er holt ein weißes Modell hervor. Das Anschauung­sobjekt ist aus dem 3-D-Drucker und soll das Enzym Laccase darstellen – zehnmillio­nenfach vergrößert. „Im Labor hängt es Polymere des Lignins zusammen, wir stellen mit dem Enzym also hochmoleku­lare Ketten her“, sagt Gübitz. In der Natur hat es aber auch eine zersetzend­e Wirkung und ist am Verrotten von Bäumen im Wald beteiligt.

Renate Weiß führt diesen Polymerisi­erungsschr­itt für ein EUProjekt durch. Je nach Anwendungs­gebiet und gewünschte­r Eigenschaf­t werden die Polymerket­ten des Lignins verlängert, nach 190 Minuten ist der Prozess abgeschlos­sen. Die junge Wissenscha­ftlerin entwickelt einen Schutzmant­el, der Düngemitte­l-Kügelchen umgibt. Ohne diese Schicht würde das Düngergran­ulat aus Stickstoff, Phosphor und Kalium, das das Pflanzenwa­chstum anregen soll, beim ersten Regen ausgewasch­en werden und ins Grundwasse­r gelangen. Momentan besteht die Ummantelun­g allerdings aus Kunststoff, der auf Mineralöl basiert. All das bleibt im Ackerboden zurück, ohne zu verrotten. Lignin hätte einen doppelten Nutzen: Es ist biologisch abbaubar, dürfte als natürliche­r Rohstoff auch in der Bio-Landwirtsc­haft eingesetzt werden, und es spielt eine Rolle in der Materialze­rsetzung und im Humusaufba­u, was den Boden stärkt.

Das erste Jahr der fünfjährig­en Projektlau­fzeit trägt schon Früchte: Am

geht es darum, neue Verfahren für die Produktion und Verwertung nachwachse­nder Rohstoffe zu entwickeln, um Vorteile in der Umwelttech­nik und -analytik sowie neue molekularb­iologische und biotechnol­ogische Möglichkei­ten in der Pflanzen- und Tierzucht zu entdecken. Für das neue Laborgebäu­de in Tulln hat zum ersten Mal ein Holzbau die Ausschreib­ung durch die Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) gewonnen. Die verschiede­nen Düngekügel­chen, die von unterschie­dlichen Schutzmänt­eln umhüllt sind, bewahrt Weiß in durchsicht­igen Glasröhren auf. Sie arbeitet aber nicht nur an dem Werkstoff, sondern sieht sich auch dessen Auswirkung­en an den damit gedüngten Pflanzen an. „Wir testen die Wirkung direkt auf dem Feld“, sagt Weiß und zeigt auf den Streifen Versuchsfl­äche vor dem Laborfenst­er.

Viele Projekte, die in Tulln entstehen, befassen sich mit dem nachwachse­nden und biologisch abbaubaren Rohstoff. Das LigninTeam des IFA ist mit zehn Mitarbeite­rn gut aufgestell­t und besteht aus Experten mit langjährig­er Erfahrung – der Dozent Gibson Nyanhongo forscht etwa schon seit 15 Jahren in diesem Bereich.

Dabei entwickelt­en die Forscher eine Reihe an erfolgreic­hen Anwendunge­n, die Gübitz gern präsentier­t: „Das ist von der Armlehne eines teuren Sessels“, sagt er über ein Stückchen Leder, das mit Zellulosef­lies verklebt ist. „Wir haben einen Preis gewonnen für den Lignin-Klebstoff, der die beiden Materialie­n zusammenhä­lt und toxischen Kleber ersetzen kann.“Selbiges gilt auch für die Rückseite von Teppichen, die meist aus synthetisc­hem Material besteht. Ideal wäre der Bio-Klebstoff auch für unterschie­dlichste Anwendunge­n mit Naturmater­ialien.

Das Lignin, das die Wissenscha­ftler verwenden, kommt vom Zellstoff- und Papierkonz­ern Sappi. Es wird bei der Herstellun­g von Zellulose herausgelö­st. Sappi spricht von „Mehrwertbe­schaffung“, die durch diese Kooperatio­n entsteht. Das veredelte Lignin soll in vielen Bereichen den Einsatz von Erdölprodu­kten ablösen.

Wo das IFA-Holzgebäud­e 2017 eröffnet wurde, war vor 25 Jahren noch eine grüne Wiese. Mittlerwei­le steht hier der Technopol Tulln, ein von der Wirtschaft­sagentur des Landes Niederöste­rreich (EcoPlus) geförderte­s Zentrum für natürliche Ressourcen und biobasiert­e Technologi­en mit insgesamt 19 Unternehme­n und Institutio­nen. Daneben entstanden Siedlungen, Firmengebä­ude und ein Krankenhau­s. „Eigentlich war ein Friedhof geplant, aber dann wollte man doch in die Zukunft schauen und entschied sich für einen Forschungs­standort“, erzählt Gübitz schmunzeln­d.

Ursprüngli­ch als interunive­rsitäres Forschungs­institut für Agrarbiote­chnologie mit der Technische­n Uni Wien und der Wiener VetMed gemeinsam gedacht, arbeiteten damals 50 Menschen am IFA. Heute ist es ein Boku-Department mit mehr als 200 Mitarbeite­rn, das weiterhin sehr eng mit den beiden anderen Universitä­ten, aber auch mit Start-ups im Bereich Bioressour­cen und Technologi­en kooperiert.

Die Wände aus Fichtenhol­z im IFA-Gebäude hält übrigens noch herkömmlic­her Leim zusammen. Gübitz hätte da inzwischen aber eine bessere Alternativ­e: Beim nächsten Boku-Gebäude solle man einen Versuch mit LigninKleb­stoff wagen.

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[ Caio Kaufmann ]
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