Widerspruch? Zwecklos!
AQls der neue Doktor seiner Mutter im November 1813 stolz seine Dissertation überreicht, spöttelt sie: „Das ist eher etwas für Apotheker!“Ein ständiger Gast am Teetisch der „Frau Hofrätin“– anders als die noble Hofgesellschaft hatte die weltläufige Frau seine „unstandesgemäße“Eheschließung anerkannt – zeigt sich davon sehr beeindruckt. Er erhebt sich, schüttelt dem jungen Mann die Hand und lobt seine philosophische Abhandlung.
Besonders die Passagen über den „Grund des Seyns“gefielen dem 64-Jährigen, die Betonung der Rolle der Anschauung: ein verbindendes Element, zugleich aber jenes, das die fundamentalen Auffassungsunterschiede verdeckte. Ende November schreibt er an Freund Knebel, der selbstbewusste Jungphilosoph habe sich ihm als „merkwürdiger“Mann dargestellt, lobt aber seinen „scharfsinnigen Eigensinn“, mit dem er die Philosophie aufmischen kann. Besonders in Bezug auf das Lieblings- und Schmerzenskind seiner Produktivität, das er so wichtig nahm, ihm 20 Lebensjahre zu opfern und seine Poesie gänzlich unterzuordnen, erhofft sich der Ältere eine vielversprechende Kooperation. Er mag in dem talentierten neuen Doktor einen bedeutenden Anhänger, vielleicht sogar den Erben seines AntiNewtonismus gesehen haben.
Der 25-Jährige wiederum, der alles vom Älteren verehrt, hat sein zweites Werk verfasst und dabei gehofft, den höheren väterlichen Segen zu erhalten. Gemeinsam möchte er gegen eine ganze Welt von Irrtum und Lüge stehen.
Umso provozierender erscheint sein Gehabe, mit dem er den Älteren konfrontiert – tatsächlich frech, was der vermeintliche Anhänger dem Meister zumutet. Hinsichtlich substanzieller Fragen widerspricht seine Theorie des Naturphänomens geradezu der des Älteren. Sein kantianischer Subjektivismus steht gegen die Vorherrschaft der angeschauten Urphänomene des Älteren, seine entgötterte „Welt als Wille und Vorstellung“gegen dessen pantheistische Naturvorstellung.
Im Juli 1815 schickt der Jüngere das fertige Manuskript seiner Lehre mit einer Bitte an den Älteren: Dieser möge als Herausgeber fungieren, als „Gevatter für sein Werk stehen“. Doch vergebens.
Wer traf wen? Der Titel der Dissertation? Welches Thema verband beide? Ihre Auffassungsunterschiede?