Von Merkels Raute bis zur Vagina
Ausstellung. In Barcelona zeigt der „Verbund“die Breite seiner feministischen Sammlung – und trifft den Zeitgeist.
In Barcelona zeigt der „Verbund“die Breite seiner feministischen Sammlung – und trifft den Zeitgeist.
Die Eröffnung wurde gestürmt, hunderte Frauen besetzten die dichten Stuhlreihen der Aula des städtischen Kulturzentrums CCCB in Barcelona. Am Podium saßen Gabriele Schor, Kuratorin der österreichischen Verbund-Kunstsammlung und die deutsche Künstlerin Ulrike Rosenbach, sie repräsentierten die Ausstellung über die feministische Avantgarde der 70er Jahre. Neben ihnen nahmen eine spanische Kuratorin und eine junge Künstlerin der parallel stattfindenden Schau „Choreographies of Gender“Platz, die das Historische ins Heute weiterführen soll.
Man merkt: Die Mehrzahl ist Programm, daher auch der Schlachtruf „Feminismes!“, „Feminismen!“, mit dem das Ausstellungspaket übertitelt wird, wohl nicht zufällig von der ersten Frau an der Spitze des CCCB, Judit Carrera, geschnürt. Das knallige Logo ist in der ganzen Stadt plakatiert. Es greift dabei eine gerade in Spanien breit gewordene Bewegung auf, die sich 2018 formiert hat, als tausende Frauen gegen das milde Urteil für eine Gruppenvergewaltigung demonstrierten. Seither gibt es Proteste gegen Machismus, ungerechte Löhne etc. Die erhobenen Hände werden dabei zu einem dreieckigen Zeichen zusammengelegt – einem VaginaSymbol, was man hierzulande eher als asexuelle Merkel-Raute interpretieren würde.
Jedenfalls werden Spaniens Frauen als die lautesten Feministinnen Europas bezeichnet. Kein Wunder, dass die fast zur Gänze aus der Verbund-Sammlung bestrittene Ausstellung hier derart umarmt wird. Auf der zweiten Welle der Frauenbewegung surfend, schufen Künstlerinnen in den späten 1960er und 1970er Jahren die Bilder zum Topos „das Private ist politisch“, so starke, dass sie uns heute noch überraschend direkt treffen. Interessant ist, dass Künstlerinnen auf der ganzen Welt dafür ungefähr zeitgleich zu ähnlichen Methoden griffen: Zu neuen Medien, die sich von der männlich konnotierten Malerei abheben sollten, also Performance, Video, Fotografie. Und zum Motiv des eigenen
Körpers, um erstmals in der Kunstgeschichte, wie Schor immer betont, die Frau aus Sicht der Frau darzustellen. Daher auch der von der Verbund-Sammlung durch mittlerweile elf Ausstellungs-Stationen in zehn Jahren geprägte Begriff: „Feministische Avantgarde“. Diese Pionierinnen, so Schor, verdienten es, mit eigenem Begriff in den KunstKanon aufgenommen zu werden.
Dass gerade der traditionell männlich geprägte Energiekonzern „Verbund“dazu beigetragen hat, ist fast komisch. Bei der Station in Barcelona durfte das der neue Vorstandsvorsitzende-Stellvertreter Michael Strugl erklären: Er habe sich das nämlich auch schon gefragt. Und kam zum Schluss: die Kunstsammlung sei einer „gesellschaftlichen Verantwortung“des Unternehmens geschuldet; die feministische Richtung eher Zufall, dem Engagement von Sammlungsgründerin Schor zu verdanken. Sie habe inhaltlich völlig freie Hand gehabt. Was für ein Coup. Für beide Seiten.
Aus Feigenblatt wird Feigenbaum
So bekamen Künstlerinnen wie Renate Bertlmann (heuer Biennale-Venedig-Vertreterin Österreichs) oder Birgit Jürgensen erste große englischsprachige Publikationen. So bekam ein Energiekonzern mit männlichem Vorstand ein feministisches Feigenblatt. Mittlerweile ist daraus ein exzeptionell tragender Feigenbaum geworden, mit wesentlichen Werken von 67 Künstlerinnen, darunter Stars wie Cindy Sherman und Valie Export. Spannend ist der dadurch mögliche Vergleich, der die Gleichzeitigkeit des Ausdrucks sichtbar macht. Was in Barcelona in noch nie dagewesener Breite klar wird – von Rollenspielen und Verkleidungen, deformierenden Selbstverschnürungen oder dem Motiv des Cowgirls bis zur Einnahme christlicher Posen und der Zweckentfremdung oder Sexualisierung von Haushaltsgegenständen oder -Handlungen. So ist etwa ein Foto des ersten feministischen Kongresses in Barcelona 1976 zu sehen, wo eine Performerin begann, zwischen all den intellektuellen Emanzen den Boden zu schrubben. Wie es wenig später wohl auch ganz alltäglich geschehen ist. Und immer noch geschieht.
So viel, so wenig hat sich geändert. Das denkt man sich auch beim Durchschreiten der zeitgenössischen Schwesternausstellung. Zum anfänglichen Kampf der Frauen ist der Kampf um Freiheit für alle gekommen, wovon in dieser Schau, in der südlichen Hauptstadt der LGBTQ-Szene, allerdings überraschend Zahmes zu sehen ist.
Dafür kann man in der historischen Verbund-Schau viele Neuentdeckungen machen. Im Zuge der Vorbereitung hat sich Schors Team auch katalonischer Künstlerinnen angenommen und die üblichen Wege auf die Dachböden unternommen. Die Wichtigkeit dieser Recherchen unterstrich eine junge Künstlerin der Gruppe „Orgia“bei der Podiumsdiskussion: Man habe bis vor wenigen Jahren gar keinen Zugang zur Kunst dieser teils vergessenen Pionierinnen gehabt. Was für eine ungeahnte alternative Energiequelle, die gerade der „Verbund“hier erschlossen hat.
Dieser Bericht kam mit finanzieller Unterstützung des „Verbund“zustande.