„Seinen Apple hat noch keiner weggeworfen“
Vom Wert der Dinge. Der Trend zum radikalen Ausmisten ist nicht Befreiung, sondern Barbarei, sagt Autor Karl-Markus Gauß: Ein Gespräch über sein neues Buch und Geschichtsentsorgung, die sich als Anti-Materialismus tarnt.
Der Trend zum radikalen Ausmisten ist nicht Befreiung, sondern Barbarei, sagt Autor KarlMarkus Gauß.
Die Presse: Raum sei Luxus für Sie, schreiben Sie in „Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer“, „damit ich die Dinge meines Lebens ausbreiten kann“. Im Trend liegt das Gegenteil, die Leere, der Purismus, Ausmist-Experten im Internet werden zu Stars. Wie fühlen Sie sich in von Dingen „befreiten“Wohnungen? Karl-Markus Gauß: Für mich ist das eine Respektlosigkeit gegenüber den Vorfahren, von denen man auch Dinge hat, und den Dingen selbst gegenüber. Ich komme immer häufiger in Räume mit kahlen Wänden. Man erweckt gern den Anschein, als wäre das die Loslösung vom schnöden Materialismus, was nicht stimmt. Ein armer Mensch käme nie auf die Idee, dass er sich von materiellen Dingen befreit, es kostet oft sogar verdammt viel Geld, wenig zu haben. Ein Beispiel ist der Mann in meinem Buch, der statt 38 nur noch vier Hemden hat. Dafür braucht er jeden Morgen seine bosnische Putzfrau, damit sie ihm die Hemden pünktlich wäscht. Denn zur Konferenz im grindigen Leiberl zu erscheinen – das macht er nicht.
Sie haben eigens ein Buch über Dinge in Ihrer Wohnung geschrieben. Können Sie die Verklärung der Leere nachvollziehen? Ich habe einen Freund, der geht seit Langem zum Psychotherapeuten. Wenn es ihm wieder einmal schlecht geht, sagt die Therapeutin, er müsse am Wochenende zwei Müllsäcke nehmen und Dinge aus seiner Wohnung schaffen. Ihm wachsen die Dinge über den Kopf, sagt er, nach dem Ausmisten gehe es ihm wieder besser. Der Versuch, manche Wohnungen leerer zu halten als vorher, wird auch damit zu tun haben, dass die Dinge und auch die Phänomene in den sozialen Medien in einer Fülle auf einen einprasseln wie nie zuvor. Aber ich glaube, dass ich in meinen Dingen Kultur und Erinnerungen bewahre, von mir und von vergangenen Generationen. Wer diese Verbindungen kappt, ist eher ein Barbar als ein Befreier und jedenfalls kein bewundernswerter, von materiellen Bedürfnissen befreiter Mensch.
Warum ein Barbar? Man will sich damit auch von der Last der Auseinandersetzung mit der Geschichte, mit den Vorangegangenen befreien, indem man sagt: Damit habe ich nichts zu tun. Es kommt mir auch wie eine Geschichtsentsorgung vor. Familiengeschichte ist das eine. Das andere ist, dass die Dinge einen, wenn man sie sich näher anschaut, wieder aus der eigenen Wohnung in die Welt hinausführen. Die Dinge waren ja sehr früh globalisiert.
Nie zuvor wurden ganze Gesellschaften mit so vielen Dingen überflutet, dass sie diese mit enormer Energie fernhalten oder wieder wegschaffen mussten. Wertlos wurden die Dinge ja schon vor der Ausmist-Mode. Halten Sie den neuen Minimalismus nicht auch für ein Korrektiv? Vielleicht will man ja tatsächlich wieder herausfinden, was das Besondere ist. Aber was die Menschen dann am Ende in der Wohnung haben, ist oft das Gegenteil davon, das Allgemeinste. Ich hab noch keinen Menschen erlebt, der seinen Apple weggeworfen hätte. Den braucht er nämlich, um sein Programm des Minimalismus durchzuziehen.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, den Dingen in Ihrer Wohnung ein Buch zu widmen? Vor ein paar Jahren habe ich mir gedacht, wenn ich einmal alt bin und nicht mehr so gern reise, dann habe ich ja zumindest noch meine Wohnung zum Verreisen . . . Und dann wollte ich gar nicht mehr so lang warten. Es war ein bisschen eine Wette mit mir selbst, ob ich es schaffe. Und wie bei meinen Reisen war es auch hier so, dass ich etwas Bestimmtes gesucht habe und mit etwas anderem zurückgekommen bin. Ich bin ein Anhänger des Zufalls.
Beim Lesen lernt man etwa Duschhauben, einen Überseekoffer, einen Aschenbecher, Stoffservietten oder einen Brieföffner kennen. Vieles davon sind ein bisschen aus der Zeit gefallene Dinge. Die Liebe zum Vergehenden, Vergessenen hat immer Ihre Arbeit geprägt, woher kommt diese Neigung, wann hat das angefangen? Schon im Studium war ich bald der Mann für die vergessenen, aus der Mode gekommenen Autoren. Vielleicht war das Gerechtigkeitssinn, vielleicht sogar ein bisschen Eitelkeit – wenn 30 Leute sich für Bernhard meldeten, habe ich Albert Ehrenstein gesagt. Aber ich grüble nicht viel über meine Antriebskräfte. Die Lebenskunst ist für mich die höchste Kunst, auch die Literatur ist nur eine Hilfswissenschaft dafür. Ich komme die überwiegende Zeit gut mit mir aus, und dafür muss ich nicht alles über mich wissen. Es geht mir auch nicht ab, dass ich’s nicht weiß.
Die letzten Zimbern in den Dolomiten haben Sie einst „fröhliche Untergeher“genannt. Passt das auch auf Sie? Jedenfalls sehe ich mich nicht als literarischen Schöpfer neuer Welten, sondern als Rechtfertiger von untergehenden Dingen. Dabei bin ich sozialpolitisch kein konservativer Mensch, da bin ich radikal sozial. Aber in Bezug auf bürgerliche Kultur, auch ihre reiche Entfaltung von Dingen – da bin ich oft so konservativ, dass ich selbst erschrecke.
Können Sie auch dem „Reaktionären“etwas Positives abgewinnen? Reaktionär ist, glaube ich, der Wunsch, einen Zustand wiederherzustellen, der tatsächlich veränderungswürdig war. Konservativ ist, etwas bewahren zu wollen, was verschwunden ist, aber vielleicht nicht unbedingt verschwinden musste. Ich habe im Grunde eine melancholische Haltung zu den Dingen. Sie besteht darin, dass man überzeugt ist von der Notwendigkeit dessen, dass bestimmte Dinge oder auch Lebenshaltungen untergehen. Aber dass man, ohne daraus ein politisches oder soziales Programm machen zu wollen, an ihrem Wert und ihrer Würde festhält.