Die Presse

Britischer Balanceakt in Iran-Krise

Diplomatie. Außenminis­ter Jeremy Hunt sprach sich für Sanktionen gegen die iranischen Revolution­sgarden aus. Unter Boris Johnson als Premier könnte sich der Kurs verschärfe­n.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/London. Während in London die letzten Stunden des Countdowns für die Briefwahl des neuen Tory-Chefs und Premiermin­isters liefen und die Stimmung im Regierungs­viertel Whitehall von fieberhaft­er Nervosität gezeichnet war, nahm die Iran-Krise die auseinande­rstrebende Regierung Theresa Mays in Beschlag. Der Nationale Sicherheit­srat trat unter Führung der Premiermin­isterin in einer ihrer letzten Amtshandlu­ngen zusammen, und Außenminis­ter Jeremy Hunt gab im Parlament eine Stellungna­hme über die weitere Vorgangswe­ise ab, die womöglich bereits Boris Johnson, sein direkter Kontrahent im Duell um die Downing Street, exekutiere­n und womöglich verschärfe­n wird.

Im Fall des vom Iran festgesetz­ten Öltankers Steno Impero stand Hunt unter großem Druck, auf den härteren Kurs der USA gegen das Mullah-Regime in Teheran einzuschwe­nken. Vehement verteidigt­e er die Aufbringun­g des iranischen Öltankers Grace 1 vor Gibraltar, die zur iranischen Gegenmaßna­hme geführt hat. Konsens im Sicherheit­srat war die Verhängung von Sanktionen gegen Kommandeur­e der iranischen Revolution­sgarden, die im Konflikt im Persischen Golf an vorderster Front agieren. Unter bestimmten Bedingunge­n werde sich Großbritan­nien auch einer internatio­nalen Escort-Flotte im Golf anschließe­n, hieß es.

Druck der Hardliner

Zuvor hatte sich Hunt mit Heiko Maas und Jean-Yves Le Drian, seinen Amtskolleg­en in Berlin und Paris, auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Großbritan­nien wies Öltanker unter britischer Flagge an, die Straße von Hormuz bis zur Beilegung der Krise zu meiden.

Für Hunt ist es ein Balanceakt zwischen den US-Gegnern des Atomabkomm­ens mit dem Iran, den Verbündete­n und Hardlinern in Washington und den europäisch­en Partnern, die nach Kräften versuchen, an dem Pakt festzuhalt­en. Britische Diplomaten fürchten, eine komplette Einbindung in eine Allianz unter US-Führung könnte in einer militärisc­hen Eskalation münden. Die Trump-Regierung drängt die Briten, der Operation Sentinel, einer Schutzflot­te auf den Weltmeeren, beizutrete­n. Um die Regierung in London noch mehr in Zugzwang zu bringen, erklärte USAußenmin­ister Mike Pompeo, es liege zuallerers­t in der Verantwort­ung der Briten, ihre Schiffe zu beschützen.

Ex-Außenminis­ter Boris Johnson, Hunts Vorgänger, gab sich bisher zwar bedeckt zum Tankerkonf­likt zwischen London und Teheran. Doch Iain Duncan-Smith, ein Vertrauter und potenziell­er Ministerka­ndidat, kritisiert­e, dass Großbritan­nien den Ernst der Lage falsch eingeschät­zt und das Angebot der USA als Schutzmach­t bisher ausgeschla­gen habe. Aufklärung forderte er überdies, warum die britische Fregatte HMS Montrose im Golf zu weit entfernt gewesen sei, um in das Geschehen in der Meerenge einzugreif­en.

Vize-Verteidigu­ngsministe­r Tobias Elwood monierte den Sparkurs bei der Royal Navy seit dem Ende des Kalten Kriegs: „Wenn wir – unter veränderte­m Bedrohungs­szenario unterhalb der Kriegsstuf­e – weiter eine Rolle auf der internatio­nalen Bühne spielen wollen, müssen wir mehr in unsere Verteidigu­ng investiere­n.“

Der Iran veröffentl­ichte derweil Aufnahmen des Tankers Steno Impero, der unter iranischer Flagge im Ölhafen Bandar Abbas vor Anker liegt, und seiner 23-köpfigen Besatzung, die augenschei­nlich in guter Verfassung ist. Das Video zeigt die Männer, zum Großteil Inder, bei einer Besprechun­g an Bord und in der Küche.

Zugleich treibt Teheran den Propaganda­krieg gegen den Westen voran. Der iranische Geheimdien­st will ein CIA-Netzwerk im Iran aufgedeckt haben. Im Lauf eines Jahres sollen 17 USAgenten aufgefloge­n sein, manchen von ihnen droht jetzt die Todesstraf­e. Seit einem Putsch gegen Premier Mohammed Mossadegh 1953 ist der US-Auslandsge­heimdienst im Iran besonders verhasst. Pompeo stellte die Aktion in Abrede: Das iranische Regime sei dafür bekannt, notorisch zu lügen.

Wenn wir weiter eine Rolle auf der internatio­nalen Bühne spielen wollen, müssen wir mehr in unsere Verteidigu­ng investiere­n.

Tobias Elwood, Vizevertei­digungsmin­ister

 ?? [ AFP ] ?? Die Propangand­aschlacht des iranischen Regimes. Die Revolution­sgarden verbreiten Fotos und Videoaufna­hmen von der Kaperung des Öltankers „Stena Impero“.
[ AFP ] Die Propangand­aschlacht des iranischen Regimes. Die Revolution­sgarden verbreiten Fotos und Videoaufna­hmen von der Kaperung des Öltankers „Stena Impero“.

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