Die Presse

Die Suche nach Oasen in der Hitzeinsel Stadt

Städtebau. In der Stadt wird es unerträgli­ch heiß. Um Lebensqual­ität und Gesundheit der Bewohner zu schützen, muss sich Wien verändern. Wie, das steht seit Jahren in einem Strategiep­apier. Aber was davon wird auch umgesetzt?

- VON CHRISTINE IMLINGER

Wien. Die nächste Hitzewelle kommt – mit wieder mehr als 30 Grad heute, Dienstag, in Wien. Wie heiß wird es bei Ihnen sein? 80 Grad, 90 Grad, die sich auf einem dunklen Blechdach messen lassen? Oder gefühlte 20, unter einem Baum, an einem gut durchlüfte­ten Fleckchen Stadt? Das ist die Bandbreite, die sich mit der Thermokame­ra an Sonnentage­n in der Stadt messen lassen, wie Jürgen Preiss auf dem Gründach der MA 22 (Umweltschu­tz) demonstrie­rt. Der dunkle Holzterras­senboden hat an diesem Vormittag bei 23 Grad Lufttemper­atur schon mehr als 50 Grad, die grünen Stauden mehr als 30 Grad weniger. Preiss arbeitet seit Jahren daran, Hitzeinsel­n in der Stadt ausfindig zu machen – und kühle Oasen zu planen.

Schließlic­h steigt die Zahl der Hitzetage in Wien rasant, 2018 wurden an 42 Tagen mehr als 30 Grad gemessen. Weil Wien aber für ein kühleres Klima gebaut wurde, arbeitet die Stadt an Gegenstrat­egien. 2015 hat die Stadt in Kooperatio­n mit Boku oder TU die Urban Heat Islands Strategie (UHI Strat) ausgearbei­tet, Preiss leitet das Projekt. „Der Plan enthält 37 Maßnahmen, wie die Sicherung und Erweiterun­g von Grün- und Freiräumen, Erhöhung des Wasserante­ils in der Stadt und natürlich die Begrünung und Kühlung von Gebäuden“, erklärt Preiss. Der Plan, wie das Stadtklima erträglich bleiben soll, liegt also seit Jahren vor. Ihn umzusetzen ist aber langwierig und mühsam – fehlen der Stadt doch in den meisten Fällen (Stichwort Fassadenbe­grünung in Innenbezir­ken) die Handlungsm­öglichkeit­en.

Zuletzt hat sich allerdings vieles getan, sagt Preiss. „Die Anfragen bei uns sind exponentie­ll in die Höhe geschossen.“Zum einen wird das Problembew­usstsein um den Klimaschut­z größer – aber auch die Angst mancher Wiener, es in ihren Wohnungen bei mehr 30 Grad Raumtemper­atur bald nicht mehr auszuhalte­n, wachse.

Interesse steigt „exponentie­ll“

Preiss ortet dieses Interesse besonders etwa an Fassadenbe­grünung, schließlic­h wirke eine grüne Wand wie eine Klimaanlag­e: Eine Grünwand mit 850 Quadratmet­ern Fläche entspricht an einem heißen Tag 3000-Watt-Klimagerät­en, die acht Stunden lang laufen. Außerdem dämpft so eine Wand Lärm, die Pflanzen geben Sauerstoff ab.

Aber noch sind solche grünen Wände rar, man sieht sie an öffentlich­en Gebäuden – MA 48, MA 31, zahlreiche­n Bezirksämt­ern oder Schulen. Um die Begrünung privater Häuser zu fördern, läuft etwa das Projekt „150 grüne Häuser“: Diese Häuser sollen mit einem eigens entwickelt­en Modell (Berta: Begrünung, Rankhilfe, Trog) begrünt werden. Ursprung war ein Forschungs­projekt, im Zuge dessen 50 Häuser in Favoriten begrünt werden sollten. Wegen großen Interesses wurde dieses ausgeweite­t.

Wer sich abgesehen davon für Begrünung interessie­rt, dem empfiehlt Preiss auch aus Haftungsgr­ünden, auf profession­elle Begrünung zu setzen. Die sei bei einem typischen Wiener Altbauzins­haus um rund 2200 Euro zu haben.

Auch für weitere Kühlprojek­te greift Wien in die Kasse: Heuer wurde für Bezirkspro­jekte ein Fördertopf von 2,3 Millionen Euro geschaffen: Da geht es um Fassadenbe­grünung, um Wasserspie­le, Nebeldusch­en, Trinkbrunn­en oder Stadtbäume. Auch sollen Flächen entsiegelt oder heiße Flächen beschattet werden.

Demnächst, im August, starten die Arbeiten an einer Straße, die Prototyp der klimaangep­assten Straße sein soll: Die Zieglergas­se wird mit heller Oberfläche, Pergolen, Kühlbögen oder Bäumen zur „Kühlen Meile“. Überhaupt soll im siebten Bezirk im Rahmen der U-Bahn-Arbeiten (bei denen Oberfläche­n ohnehin geöffnet werden) einiges adaptiert werden: etwa das ganze Siebenster­nviertel. Wie solche Straßen, Plätze oder Parks dann aussehen, da gibt es einige Vorzeige-Orte: den Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Ottakring oder den Josef-Straße-Park an der Kaiserstra­ße etwa. Überhaupt ist es bei Straßenneu­gestaltung­sprojekten heute Standard, Kühlung und Mikroklima mitzuplane­n, ebenso in den großen Stadtentwi­cklungspro­jekten. Trotzdem ortet Preiss noch viele Bausünden – also neue Hitzeinsel­n: Man sehe sich nach schattenfr­eien versiegelt­en Plätzen (etwa vor dem Hauptbahnh­of ) oder dunklen Glaskoloss­en um.

Glassünden und grüne Kirche

Und: Trotz vieler Prestigepr­ojekte machen Gründächer und -Fassaden einen winzigen Anteil der Stadt aus. Trotz Gründach-Quote von mehr als 50 Prozent etwa in Aspern liegt der Anteil über das Stadtgebie­t gesehen bei einer niedrigen einstellig­en Prozentzah­l. Dabei wären, so Preiss, von den 6000 Hektar Dachfläche und den 12.000 Hektar Fassadenfl­äche im Bestand Wiens bis zu 20 Prozent begrünbar.

Aber die Offenheit wächst – Preiss erzählt etwa von der Planungsar­beit für die (aktuell laufende) Umgestaltu­ng der Neulerchen­felder Straße: Als hier im Zug eines Projekts TU-Studenten von Tür zu Tür gegangen sind, um Geschäftsl­eute, Bewohner oder Hausbesitz­er über eine mögliche Begrünung zu informiere­n, seien sie auf viel Interesse gestoßen – und so soll dort nun unter anderem eine Mauer der orthodoxen Neulerchen­felder Pfarrkirch­e begrünt werden.

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[ Fabry ] Jürgen Preiss, Projektlei­ter des Wiener UHI-Strategiep­lans, auf dem grünen Dach der MA 22 (Umweltschu­tz) in der Brigittena­u.
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[ Fabry ] Die Thermokame­ra zeigt Hitze-Orte.

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