Die Suche nach Oasen in der Hitzeinsel Stadt
Städtebau. In der Stadt wird es unerträglich heiß. Um Lebensqualität und Gesundheit der Bewohner zu schützen, muss sich Wien verändern. Wie, das steht seit Jahren in einem Strategiepapier. Aber was davon wird auch umgesetzt?
Wien. Die nächste Hitzewelle kommt – mit wieder mehr als 30 Grad heute, Dienstag, in Wien. Wie heiß wird es bei Ihnen sein? 80 Grad, 90 Grad, die sich auf einem dunklen Blechdach messen lassen? Oder gefühlte 20, unter einem Baum, an einem gut durchlüfteten Fleckchen Stadt? Das ist die Bandbreite, die sich mit der Thermokamera an Sonnentagen in der Stadt messen lassen, wie Jürgen Preiss auf dem Gründach der MA 22 (Umweltschutz) demonstriert. Der dunkle Holzterrassenboden hat an diesem Vormittag bei 23 Grad Lufttemperatur schon mehr als 50 Grad, die grünen Stauden mehr als 30 Grad weniger. Preiss arbeitet seit Jahren daran, Hitzeinseln in der Stadt ausfindig zu machen – und kühle Oasen zu planen.
Schließlich steigt die Zahl der Hitzetage in Wien rasant, 2018 wurden an 42 Tagen mehr als 30 Grad gemessen. Weil Wien aber für ein kühleres Klima gebaut wurde, arbeitet die Stadt an Gegenstrategien. 2015 hat die Stadt in Kooperation mit Boku oder TU die Urban Heat Islands Strategie (UHI Strat) ausgearbeitet, Preiss leitet das Projekt. „Der Plan enthält 37 Maßnahmen, wie die Sicherung und Erweiterung von Grün- und Freiräumen, Erhöhung des Wasseranteils in der Stadt und natürlich die Begrünung und Kühlung von Gebäuden“, erklärt Preiss. Der Plan, wie das Stadtklima erträglich bleiben soll, liegt also seit Jahren vor. Ihn umzusetzen ist aber langwierig und mühsam – fehlen der Stadt doch in den meisten Fällen (Stichwort Fassadenbegrünung in Innenbezirken) die Handlungsmöglichkeiten.
Zuletzt hat sich allerdings vieles getan, sagt Preiss. „Die Anfragen bei uns sind exponentiell in die Höhe geschossen.“Zum einen wird das Problembewusstsein um den Klimaschutz größer – aber auch die Angst mancher Wiener, es in ihren Wohnungen bei mehr 30 Grad Raumtemperatur bald nicht mehr auszuhalten, wachse.
Interesse steigt „exponentiell“
Preiss ortet dieses Interesse besonders etwa an Fassadenbegrünung, schließlich wirke eine grüne Wand wie eine Klimaanlage: Eine Grünwand mit 850 Quadratmetern Fläche entspricht an einem heißen Tag 3000-Watt-Klimageräten, die acht Stunden lang laufen. Außerdem dämpft so eine Wand Lärm, die Pflanzen geben Sauerstoff ab.
Aber noch sind solche grünen Wände rar, man sieht sie an öffentlichen Gebäuden – MA 48, MA 31, zahlreichen Bezirksämtern oder Schulen. Um die Begrünung privater Häuser zu fördern, läuft etwa das Projekt „150 grüne Häuser“: Diese Häuser sollen mit einem eigens entwickelten Modell (Berta: Begrünung, Rankhilfe, Trog) begrünt werden. Ursprung war ein Forschungsprojekt, im Zuge dessen 50 Häuser in Favoriten begrünt werden sollten. Wegen großen Interesses wurde dieses ausgeweitet.
Wer sich abgesehen davon für Begrünung interessiert, dem empfiehlt Preiss auch aus Haftungsgründen, auf professionelle Begrünung zu setzen. Die sei bei einem typischen Wiener Altbauzinshaus um rund 2200 Euro zu haben.
Auch für weitere Kühlprojekte greift Wien in die Kasse: Heuer wurde für Bezirksprojekte ein Fördertopf von 2,3 Millionen Euro geschaffen: Da geht es um Fassadenbegrünung, um Wasserspiele, Nebelduschen, Trinkbrunnen oder Stadtbäume. Auch sollen Flächen entsiegelt oder heiße Flächen beschattet werden.
Demnächst, im August, starten die Arbeiten an einer Straße, die Prototyp der klimaangepassten Straße sein soll: Die Zieglergasse wird mit heller Oberfläche, Pergolen, Kühlbögen oder Bäumen zur „Kühlen Meile“. Überhaupt soll im siebten Bezirk im Rahmen der U-Bahn-Arbeiten (bei denen Oberflächen ohnehin geöffnet werden) einiges adaptiert werden: etwa das ganze Siebensternviertel. Wie solche Straßen, Plätze oder Parks dann aussehen, da gibt es einige Vorzeige-Orte: den Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Ottakring oder den Josef-Straße-Park an der Kaiserstraße etwa. Überhaupt ist es bei Straßenneugestaltungsprojekten heute Standard, Kühlung und Mikroklima mitzuplanen, ebenso in den großen Stadtentwicklungsprojekten. Trotzdem ortet Preiss noch viele Bausünden – also neue Hitzeinseln: Man sehe sich nach schattenfreien versiegelten Plätzen (etwa vor dem Hauptbahnhof ) oder dunklen Glaskolossen um.
Glassünden und grüne Kirche
Und: Trotz vieler Prestigeprojekte machen Gründächer und -Fassaden einen winzigen Anteil der Stadt aus. Trotz Gründach-Quote von mehr als 50 Prozent etwa in Aspern liegt der Anteil über das Stadtgebiet gesehen bei einer niedrigen einstelligen Prozentzahl. Dabei wären, so Preiss, von den 6000 Hektar Dachfläche und den 12.000 Hektar Fassadenfläche im Bestand Wiens bis zu 20 Prozent begrünbar.
Aber die Offenheit wächst – Preiss erzählt etwa von der Planungsarbeit für die (aktuell laufende) Umgestaltung der Neulerchenfelder Straße: Als hier im Zug eines Projekts TU-Studenten von Tür zu Tür gegangen sind, um Geschäftsleute, Bewohner oder Hausbesitzer über eine mögliche Begrünung zu informieren, seien sie auf viel Interesse gestoßen – und so soll dort nun unter anderem eine Mauer der orthodoxen Neulerchenfelder Pfarrkirche begrünt werden.