Die Presse

Das Kaffeehaus als Bühne

Literatur. Die Gruppe Tinte & Kaffee will mit Lesungen die Wiener Kaffeehaus­kultur aufleben lassen. Nach 20 Jahren ist sie beinahe selbst eine Institutio­n.

- VON EVA WALISCH

Im Festsaal des Cafe´ Landtmann ist schon alles vorbereite­t. Die Werke großer Schriftste­ller im Wandregal und die gepolstert­en Sitzecken machen den Raum gemütlich, beinahe wie ein nobles Wohnzimmer aus längst vergangene­n Tagen. Ein großes Bildnis von Franz Landtmann an der Wand, der 1873 das Kaffeehaus gründete, scheint die Szenerie zu überblicke­n. Er konnte damals nicht wissen, dass sein Cafe´ in der Stadt bald legendär sein würde. Und dass fast 150 Jahre später, an einem kleinen Tisch im Festsaal, aus Briefen und Texten von Literaten gelesen werden wird, um die mittlerwei­le fast vergessene Kaffeehaus­kultur zu zelebriere­n.

Im Nebenzimme­r bringt ein junger Kellner drei Schauspiel­ern Melange und Cappuccino an den Tisch. Elisabeth Seethaler und Christoph Prückner gründeten die Gruppe „Tinte & Kaffee“, RRemi Brandner („Ein ’R’ im Namen, war mir zu wenig“) ist als Darsteller von Anfang an dabei. Seit 20 Jahren lesen sie im Sommer mit einer eingesesse­nen Truppe literarisc­he Texte in Kaffeehaus­atmosphäre. „Es hat sich mit der Zeit zu szenischen Lesungen entwickelt“, sagt Brandner. „Es gibt Auf- und Abtritte der Schauspiel­er und ganze Passagen, die auswendig gespielt werden.“

Prückner, der ursprüngli­ch aus Deutschlan­d stammt, kam in den 1990er Jahren für ein Theatereng­agement nach Wien. „Ich hatte ein romantisch­es Bild vom Wiener Kaffeehaus im Kopf, von Literaten die hier den ganzen Tag schreiben“, sagt Prückner. Doch einmal in der Stadt angekommen, wurde er bitter enttäuscht. „Es gab zwar Kaffeehäus­er, aber da saßen Touristen drinnen. Unter anderem ich.“Damit wollte er sich nicht zufrieden geben. „Ich möchte den Touristen das bieten, was ich selber vermisst habe“, erzählt Prückner. Nämlich: Literatur im Kaffeehaus, gemischt mit historisch­em Wissen.

Inspiriert von Literatur-PubCrawls in Irland entwickelt­e er mit Seethaler das Konzept um „Tinte & Kaffee“. Für das Programm recherchie­rten sie viele Monate in Archiven und Antiquaria­ten. Wie in Irland von Kaffeehaus zu Kaffeehaus zu ziehen, sei aus organisato­rischen Gründen nicht möglich gewesen. Nachdem man anfangs die Kaffeehäus­er häufig wechselte, vom Cafe´ Prückel bis zum Westend, ist man seit 18 Jahren zumeist dem Cafe´ Landtmann treu. Traditione­lle Kaffeehäus­er würde es immer weniger geben – Seethaler bedauert das. Gerne erinnert sie sich an das Cafe´ Schottenri­ng. „Das war ein Kaffeehaus, wo die Zeit stillstand“, sagt sie. „Dunkle Stoffe und ein Hauch von Monarchie.“Vor sieben Jahren musste das Cafe´ zusperren.

Dabei sei es wichtig, die traditione­lle Kaffeehaus­kultur zu pflegen – etwa das Klavierspi­elen am Wochen

Die Schauspiel­er Elisabeth und Christoph gründeten vor 20 Jahren die Gruppe. In szenischen Lesungen lauscht man Kaffeehaus­literatur und historisch­en Geschichte­n. Die Reihe findet heuer wieder bis Mitte September statt. Mit Altbewährt­em, etwa dem Urprogramm „Tinte & Kaffee“über Literatenc­afes´ und „Sünde & Kaffee“über Erotik im Kaffeehaus. Zum Jubiläum gibt es einige Specials wie „Die Adelige und die Arbeiterin“– eine Hommage an Adelheid Popp und Marie von Ebner-Eschenbach. ende. „Es hat aber auch Runden gegeben, zum Beispiel im Herrenhof, die hätten es nicht gerne gesehen, dass da ein Klavier klimpert, während sie diskutiere­n“, wirft Prückner ein. Auch das Cafe´ Landtmann hat eine rege Geschichte, hier saßen schon Intellektu­elle wie Sigmund Freud. Literaten schrieben oft stundenlan­g – bei einem kleinen Kaffee. Heute sei das kaum mehr möglich. „Es geht plötzlich um den Konsum und nicht mehr das Dasein“, sagt Seethaler. Und Prückner stimmt ihr zu: „Früher war das Kaffeehaus eine Kontaktbör­se.“

Das Gefühl, in einem Kaffeehaus zu spielen, sei nach wie vor etwas Besonderes. „Man ist näher am Publikum“, sagt Seethaler. Die Kellner würden große Rücksicht nehmen. „Es ist einfach lebendig“. Auch nach 20 Jahren seien die Abende gut besucht. Ein Aspekt im ursprüngli­chen Konzept gehe allerdings nicht ganz auf: Mittlerwei­le lauschen nicht nur Touristen, sondern auch Wiener, die mehr über die Tradition ihrer Stadt lernen wollen.

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