Showdown im Hochgebirge
Tour de France. In den Alpen fällt die Entscheidung: Rettet Julian Alaphilippe das Gelbe Trikot nach Paris? Wann attackiert Topfavorit Thibaut Pinot? Und wieso schwächelt der Titelverteidiger?
Am gestrigen Ruhetag standen die Radstars Rede und Antwort. Kampfansage wollte sich dabei aber niemand entlocken lassen. Zu umkämpft, zu offen ist das Gesamtklassement der 106. Tour de France vor den letzten sechs Etappen. Während heute (ab 13:05 Uhr, live Eurosport) noch einmal die Sprinter im Vordergrund stehen, wird die Entscheidung um das Gelbe Trikot danach in den Alpen fallen, darunter am Col du Galibier (Donnerstag) und am Dach der diesjährigen Tour, dem Col d’Iseran (2770 m, Freitag). Wer mischt im Alpen-Showdown noch um den Gesamtsieg mit?
Viele halten den Gesamtführenden aus Frankreich für den aktuell besten Radfahrer der Welt und erklären seinen Aufstieg (nach den Rängen 41 und 33 in den Jahren 2016 und 2018 fährt er heuer um den Sieg) mit der Tatsache, dass er nun erstmals auf das Gesamtklassement losgeht. Doch Alaphilippe ist kein ausgewiesener Bergspezialist, am Wochenende ist sein Vorsprung in den Pyrenäen geschmolzen. Deutlich wurde auch, dass sein Deceuninck-Team nicht für Helferdienst im Gebirge konzipiert ist. „Ich beginne, die vergangenen zwei Wochen zu spüren“, sagt der 27-Jährige.
Noch aber fährt er in Gelb und hat 1:35 Minuten Vorsprung auf den ersten Verfolger. Denn was der zweifache Etappensieger bisher gezeigt hat, war beeindruckend – egal, ob auf windanfälligen Flachetappen oder im Zeitfahren.
Stark beim ersten Kräftemessen in den Vogesen, solide im Zeitfahren, aber deutliche Schwächen bei den Bergankünften in den Pyrenäen: Ob der walisische Titelverteidiger in den Alpen noch kontern kann, ist fraglich. 1:35 Minuten liegt Thomas hinter Alaphilippe, dieser Abstand ist mit einer beherzten Attacke wettzumachen, doch dicht hinter ihm lauern starke Konkurrenten. Zudem hinterließ der Titelverteidiger bisher keinen souveränen Eindruck, sein Ineos-Team ist längst nicht so dominant wie die SkyEquipe in den vergangenen Jahren. Kann sich der 33-Jährige nicht steigern, ist sogar das Podest in Paris in Gefahr. „Wir müssen jetzt aggressiver werden“, erklärte er.
In den Bergen zeigte sich der Niederländer, 32, meist an der Seite der besten Kletterer. Sein großer Vorteil: Das Jumbo-Visma-Team hat bisher groß aufgetrumpft und kann Kruijswijk jederzeit perfekt in Position bringen. Vier Tagessiege hat die niederländische Mannschaft schon eingefahren. Kruijswijk selbst stand 2016 dicht vor dem Gewinn des Giro d’Italia, ehe ein Sturz alle Träume platzen ließ. 1:47 Minuten trennen ihn von Platz eins.
Der Franzose macht den aktuell stärksten Eindruck und ging als einziger Topstar mit mit richtig viel Aufwind in den Ruhetag. In den Pyrenäen war Pinot schließlich der überragende Mann, die Etappen 14 (Col du Tourmalet) und 15, die er als Sieger bzw. als Zweiter beendete, sind ein Vorgeschmack auf die Alpen, wo der 29-Jährige wohl so bald wie möglich attackieren wird. Schließlich läuft Pinot (Rückstand auf Gelb: 1:50 Min.) immer noch jenen 1:40 Min. hinterher, die er auf der zehnten Etappe liegengelassen hat, als der Seitenwind das Peloton in zwei Gruppen geteilt hat. „Ich bin jetzt ins Klassement zurückgekehrt. Die härtesten Etappen folgen aber noch“, sagt Pinot.
Sein Groupama-FDJ-Team rund um Edelhelfer David Gaudu ist in den Bergen stärker einzuschätzen als die Deceuninck-Equipe des Gesamtführenden Alaphilippe. Detail am Rand: Mit der „Schicksalsnummer“51 haben schon Eddy Merckx und Bernard Hinault die Tour gewonnen.
Vor der Tour wurde der junge Kolumbianer vom IneosTeam bereits zum Topfavoriten erkoren. Die Erwartungen waren wohl noch zu hoch für den 22-Jährigen, der mit Siegen bei Paris-Nizza und der Tour de Suisse überzeugte. Doch mit Bernal ist zu rechnen. Schon im Vorjahr präsentierte er sich – damals als Helfer für Thomas und Chris Froome – in der dritten Woche in starker Verfassung. 2:02 Minuten Rückstand sind durchaus aufzuholen. „Aber falls der Moment kommt, in dem ich mich opfern muss, damit Geraint die Tour gewinnt, werde ich das gern tun“, erklärte er.
Mit dem 26-Jährigen aus Ravensburg hat Deutschland nach langer Durststrecke (Jan Ullrich gewann als bisher letzter Deutscher 1997 die Tour) wieder einen starken Rundfahrer. In den Bergen ließ sich der Bora-Kapitän nicht abschütteln, seine Vorbereitung war ganz auf die dritte Tour-Woche ausgelegt. 2:14 Minuten trennen ihn von Alaphilippe. An Buchmanns Seite: die österreichischen Teamkollegen Patrick Konrad, Gregor Mühlberger und Lukas Pöstlberger. (joe)